Juni 2007 - Ausgabe 88
Das Essen
Kaffee im Ludaccio von Horst Unsold |
Es ist nicht der Geschmack des Kaffees! Es ist die Atmosphäre. Sie muß sein wie 1987, als der Wirt in dem schmuddligen Restaurant in Genua nach dem Essen an den Tisch kam und sich, ohne zu fragen, setzte und zwei Tassen Espresso auf den Tisch stellte: eine für sich und eine für den Gast. Auf der Suche nach solchen Sommertagen laufen die Kaffeetrinker durch die Stadt, und manchmal landen sie im Ludaccio. Obwohl nur vier kleine Tische im Schatten stehen. Doch Kaffeetrinker haben ein Gespür, und spätestens, wenn die Signora mit diesem Gemisch aus Deutsch und Italienisch nach »Milch oder Zucker« fragt und dem Gast im gleichen Atemzug etwas über den Nachbarn zu erzählen beginnt, weil der Gast der erste Gesprächspartner ist an diesem menschenleeren Morgen, spätestens dann huscht ein Lächeln über das Gesicht des Kaffeetrinkers. Als die Signora plötzlich abbricht, weil sie bemerkt, daß sie schon wieder Italienisch spricht, fühlt sich der Kaffeetrinker schon wie zuhause bei der Signora, die sich über die Kaffeesteuer zu beschweren beginnt, die beim Illies schon ordentlich zu Buche schlage, denn Illies sei schließlich schon in Italien etwas teurer. »Aber dafür bekommen Sie auch keine Magenprobleme!« Die Signora ist noch nicht lange genug in Berlin, um das Schweigen gelernt zu haben. Und sie wäre auch nie auf die Idee gekommen, nach Deutschland zu gehen, »Italien ist wunderbar«. Aber das Schicksal…! – Mit ihren Möbeln, das hat auch nicht geklappt. 15 Monate lang kam kein Mensch in die Yorckstraße, um auch nur einen Stuhl zu kaufen, und jetzt, wo sie die Möbel aus- und Kaffee und Wein einsortiert hat, kommt plötzlich jemand rein, ignoriert die wunderschöne Kuchenvitrine und geht schnurgerade nach hinten und kommt gleich wieder zurück und fragt: Wo sind denn die Möbel? »So ein Quatsch!« Die Signora bringt einen Zitronenkuchen zum Kaffee, keinen selbstgebackenen, »aber fast«, und dann macht sie sich selbst noch einen kleinen Capuccino mit Sahnehäubchen. Und weil die meisten Kreuzberger noch schlafen, setzt sie sich zum Gast an den Tisch. Denn wenn der Kaffeetrinker den Kaffee hätte allein trinken wollen, dann hätte er ihn auch zuhause trinken können. Obwohl: Vielleicht schmeckt er dort ja nicht so italienisch. Selbst wenn der Kaffeetrinker einen Illies im Regal haben sollte. Das liegt dann vielleicht an der Kaffeemaschine. Oder an den Tassen. Oder daran, daß die Straße zu weit weg ist, wenn man im vierten Stock wohnt. Oder an der Wirtin mit ihren kleinen Erzählungen und ihrem kleinen Lachen. »Wunderbar!«, sagt der Kaffeetrinker. Die Signora nickt. Gerade möchte sie etwas Wichtiges mitteilen, da kommt der Hausmeister des Weges, die Signora springt auf. »Kennen Sie den?«, fragt sie den Kaffeetrinker. »Das ist mein Hausmeister, der wohnte hier schon, als die Straßenbahn noch über die Yorckstraße rollte. Und als im Hinterhaus noch die Kaserne war, voller Soldaten. Und…« »Na komm Se ma mit!«, sagt der Hausmeister, und führt den Kaffeetrinker in den Hinterhof, wo noch immer die alten Waschbecken an der Wand hängen, mit grüner Ölfarbe lackiert und mit Geranien bepflanzt. Soldaten sind keine mehr da, nur noch eine skurrile Versammlung von Gartenzwergen, großen und kleinen, dicken und dünnen, ganz vielen Gartenzwergen ohne Garten. Die gehören alle dem Hausmeister. »Schön, oder?«, fragt die Signora, die noch immer am Tisch sitzt, als ihr Kaffeetrinker endlich zurückkommt. Der Kaffeetrinker nickt. Später geht er. Aber er kommt wieder. Jeden Tag jetzt. Horst Unsold |