Kreuzberger Chronik
Juni 2007 - Ausgabe 88

Die Reportage

Anti Gipfel-Puppen


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von Saskia Vogel

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Es ist ein kalter, grauer Märznachmittag. Ein trister, langweiliger Sonntagnachmittag. Die Wege am Landwehrkanal sind vom ewigen Regen aufgeweicht, kaum jemand ist unterwegs. Nur im Statthaus Böcklerpark ist noch etwas in Bewegung an diesem 18. März. Da ist man emsig am Sägen und am Hämmern, am Streichen und am Leimen. Denn die Zeit drängt: Sechs Wochen sind es noch bis zum G8-Gipfel in Heiligendamm. Sechs Wochen noch, bis die Welt vielleicht auch auf das blicken wird, was die Leute hier in Kreuzberg gerade fabrizieren.

»Ich will Angela Merkel mit Peitsche darstellen!« Karin Seiffert sitzt an der Nähmaschine, Nadeln zwischen den Zähnen, eine Tasse Kaffee neben sich. Für die grauhaarige Dame ist Deutschland der »neoliberalste Akteur« der EU. Karin ist die einzige der 15 Workshop-Teilnehmer, die zackig nähen kann. Alle anderen aus »der Bewegung«, die Aktivisten von Attac, die Entwicklungshelfer oder der Wolfgang von AntiAtom, sind des Nähens eher unkundig. Obwohl es diesmal nicht nur auf agitative und ideologische Geistesarbeit, sondern auch auf handwerkliche Geschicklichkeit ankommt. Und es müssen noch einige Riesen geschaffen werden, bevor im Juni in Heiligendamm der Protest beginnt, bei dem die Kreuzberger Pappmaschégestalten an vorderster Front stehen und in den Blickwinkel der Öffentlichkeit geraten sollen. Egal, wohin die Kameras schwenken, immer sollen über den Köpfen der Demonstranten diese Riesenmenschen schweben und lächeln, grotesk anmutende »Globalisierungsmonster«, biestige Konzernchefs, ein Syndikat von Politikern aus aller Welt, darunter die Karikaturen der Staatschefs aller G8-Länder.

Foto: Dieter Peters
Das Haus am Landwehrkanal ist nur eine von vielen »Geburtsstätten« der Anti-Gipfel-Puppen. In ganz Deutschland haben Gipfelgegner zum Puppenbau zusammengefunden. Kaum eine der Werkstätten aber paßt besser zum Protest als das Statthaus Böcklerpark. Seit Jahren ist das aus Kriegsschutt zusammengezimmerte Bezirkseigentum Treffpunkt einer alternativen Szene. Regenwasser tropft in den romantisch-wilden Wintergarten, Mäuse sausen durchs Bild, die Nachbarschafts-Bar ist verraucht wie in den Siebzigern. Lautstark klappert das Geschirr, während eine junge Türkin von Tisch zu Tisch zieht und Unterschriften für die »Revolutionäre 1. Mai Demo« sammelt. Nicht umsonst heißt es »Statthaus« – und nicht »Stadthaus«.

Auf die Idee, das Statthaus zum Puppenbasteln zu nutzen, kam »Karin aus dem Attac-Café« im Graefekiez. »Das Statthaus ist für jeden offen, außerdem nehmen wir keine Saalmiete«, sagt Horst Panick, der das alternative Zentrum mit dem »niederschwelligen Bereich ohne Hierarchie« leitet. Die kostenlosen Gruppenräume sind in Kreuzberg bekannt und beliebt, und während die »Puppetistas« an ihren Globalisierungsmonstern schrauben, drängen nebenan die Schnäppchenjäger auf die Comic-Messe, schrauben im Hinterhof mit seinen graffitiverzierten Wänden und der Fahrradwerkstatt Jugendliche an ihren Rädern herum, wiehern die Ponys und stürmt eine Horde Pubertierender bei wummernder Rap-Musik lautstark um den Billardtisch.

Die alternative Bastelszene ist davon unbeeindruckt. Obwohl Erich und Kerstin nach zwei Tagen offensichtlich schon etwas erschöpft sind. Sie haben für die Kreuzberger Städtepartnerschaft San Rafael del Sur einen gewaltigen Hai gebaut, der den Kleinbauern das letzte Stück Brot wegschnappt. Drei Personen sind nötig, um die schweren Flossen zu tragen. Die beiden Aktivisten aber sind nicht nur Großpuppenkonstrukteure, sondern auch deren Träger: Beim letzten Karneval der Kulturen trugen sie das Mythoswesen ›Cabezón‹ durch Kreuzbergs Straßen, bis der Rücken schmerzte. Aber Erich hat ein gesundes Durchhaltevermögen, schon seit den 80ern kämpft er für Nicaragua. Er ist bereit, Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen, wenn es um politische Ziele geht. Der große Hai, der in seinem kleinen Büro in der Naunynritze zwischengelagert werden soll, wird ihn bei der Arbeit nicht stören. Im Gegenteil: Das Feindbild könnte ihn inspirieren. Zudem könnte dieser Hai einmal zur Berühmtheit werden, zum Aushängeschild der Protestaktion. Jedenfalls schickte der Stern vorsichtshalber schon einmal seine Fotografen in die Werkstatt am Landwehrkanal, um die Entstehung des Raubtieres aus Pappmasché zu dokumentieren – für den Fall, daß der Fisch im Juni dann ganz groß rauskommt.

Der Hai auf den Titelseiten von Times und Stern, das wäre ein Erfolg. Dabei ist das Prinzip simpel: »Zuerst werden alte Holzlatten zu einem Skelett verschraubt, dann wird ein Netz aus fein- maschigem Draht darübergezogen. Dann kommen viele, viele Lagen Pappmasché!« – Workshopleiter Alexis Passadakis erklärt den Teilnehmern aus Kreuzberg, worauf es ankommt beim Puppenbau. »Denkt an die klebrigen Hände! Und vor allem denkt daran, daß eure Puppen eine eindeutige Botschaft aussenden müssen.« Damit sie auch wirklich ins Fernsehen kommen.

In Deutschland ist die »Tradition des Puppentheaters als Protestform ja eher unbekannt«, erzählt Helen Schumann. Hier dominieren Transparente und Megaphone. Und der Karneval am Rhein mit seinen Politiker-Karikaturen ist längst kein Protest mehr, sondern nur noch Geschäft. In New York aber, berichtet Schumann, tanzen die Puppen schon lange auf den Straßen. Bereits während der Vietnamdemonstrationen in den 60er Jahren wurde das Bread and Puppet Theatre von Peter Schumann mit seinen bis zu 5 Meter hohen
Foto: Dieter Peters
Foto: Dieter Peters
Puppen weltweit berühmt. Die Kulturpädagogin Helen Schumann hat die Ideen ihres Namensvetters aufgegriffen, heute ist sie die künstlerische Leiterin des Projektes. Als Honorarkraft reist die agitierende Leipzigerin nun durch ganz Deutschland. »Die Puppen erzeugen mediale Aufmerksamkeit. Sie sind verspielt und scheinen harmlos, aber ihre Kritik ist eindeutig«, meint auch Nicole Piepenbrink von FIAN, dem FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk gegen die globale Armut und für ein Recht auf Nahrung. Friedlich. So wie die Demonstranten unter den Puppen auch. Friedlich, aber mit einer klaren Ansage.

Foto: Dieter Peters
Auch die Antifaschisten von der »Roten Hilfe«, die nun im Statthaus auftauchen, haben eine »eindeutige Botschaft« im Gepäck. Aktivisten in schwarzen Lederjacken strömen in den großen Saal zum »Tag der politischen Gefangenen«. Kiezpunker Florian, Iro auf dem Kopf und Hund an der Hand, kämpft für die Freilassung der letzten gefangenen RAF-Mitglieder. Überhaupt: »Stammheim steht für Isolationsfolter und vertuschten Mord an den Gefangenen.« Das findet auch Baki Akgül von der »We want freedom Campaign«. Mit Flugblättern und Buttons informiert er über die Verhaftungswelle gegen linke Aktivisten in der Türkei im Herbst vergangenen Jahres. So treffen sich im Statthaus all jene, die noch nicht aufgegeben haben. Die noch daran glauben, daß Protest weiterhilft.

Als am Abend die Sonne untergeht, sind die Puppen noch immer nicht ganz fertig. Man bastelt noch emsig an kleinen Details und Accessoires, einigen Gesichtern fehlt es noch an Farbe, anderen Figuren an Jacken und Hosen. Doch man sieht, daß es eine starke Truppe geworden ist, daß diese Puppen zusammenhalten werden, und daß sie etwas zu sagen haben. Mit grotesker Körperkomik machen sie sich stark für ein gemeinsames Anliegen: den gerechten Welthandel. Der Hai, der den kleinen Fisch verschlingt; der Januskopf mit den zwei Schafsgesichtern, der die Doppelgesichtigkeit der Globalisierung symbolisiert, und die Figur eines abgemagerten Plantagenmädchens, an der die junge Frau von Terre des Hommes so lange gebastelt hat: Sie alle zielen in eine Richtung. Auf ein großes Schild, das jetzt noch unauffällig in der Ecke steht, hat jemand Worte geschrieben, die so etwas wie der Leitspruch der Kampagne sein könnten. Im Juni dann, in Heiligendamm, wird dieses Schild nicht mehr in der Ecke lehnen. Dann werden sie es hoch halten, all die, die an diesem 18. März im Statthaus waren und Puppen bauten. Sie werden es vor die Kameras halten, damit jeder es lesen kann: »Es geht auch anders.«

Saskia Vogel


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