Juni 2007 - Ausgabe 88
Die Geschäfte
Barefoot von Horst Unsold |
Sie blicken noch nicht lange aus den kleinen Schaufenstern des Souterrains in der Kreuzbergstraße: die Tiere von Barefoot. Allen voran eine fast kindergroße, spitzschnauzige, etwas altmodisch gekleidete Maus, die aus den Kinderbüchern der frühen Sechzigerjahre entsprungen sein könnte. Einige Stufen tiefer sind die Regale voll mit Tieren. Doch bevölkern keine Mäuse, Pferde oder Katzen das Lager, sondern exotische Gestalten wie Leguane, Nashörner, Giraffen, Papageien, Löwen und Schlangen. Bei der größten von ihnen handelt es sich um das noch nicht ganz ausgewachsene Exemplar einer etwa fünf Meter langen Boa, die sich über die ganze Breite des Ladens schlängelt. Auf dem Boden, an die Wand gelehnt, sitzt ein anthropomorpher Elefant und streckt die Beine aus wie ein Bauarbeiter, der gerade in sein Butterbrot beißen möchte. Und von der Decke läßt sich an einem fast unsichtbaren Faden eine fette Spinne herab, wie sie so riesig eigentlich nur zwischen den Lianen dichtester Urwälder vorkommen kann. Tatsächlich kommen die bunten Stofftiere des Russel Liebman direkt aus dem Dschungel. Scharenweise sind sie in das kühle, halb unterirdische Lager in der Kreuzbergstraße eingefallen. Schon hat der Amerikaner eine Tür zu den Nebenräumen in die Wand schlagen müssen, Foto: Dieter Peters
So ist alles politisch korrekt, »alles Fair Trade«: das Holzspielzeug, die Kautschuktiere, die Stoffpuppen, auch die Taschen und die kleinen Accessoires. »Und so was mitten in Kreuzberg«, sagt Liebman, »das muß doch einfach funktionieren!« In der Tat hat das Bio-Spielzeug längst schon die Regale der Kreuzberger LPG erobert. Es findet Beachtung, weil es nicht in diesen blassen Biofarben daherkommt, sondern in kräftigen Tönen, die »in der Schweiz hergestellt, in England auf ihre Verträglichkeit geprüft und dann in Sri Lanka verarbeitet werden«. Alles an den Puppen ist Handarbeit und Heimarbeit, über 600 Frauen weben und nähen an den großen Puppen für die Kleinen. »Und die Frauen bekommen einen ordentlichen Lohn für ihre Arbeit«, dafür kann Liebman die Hand ins Feuer legen. Die Schöpferin der Stofftiere ist nämlich Katholikin. 1958 hat sie mit den Nonnen von »The Good Shephards« das Unternehmen Barefoot begründet, in erster Linie, um Arbeitsplätze zu schaffen für die Frauen der Insel, die damals noch Ceylon hieß. Heute ist die Malerin, Autorin und Designerin Barbara Sansoni, Sprößling einer alten Einwandererfamilie, über 90 Jahre alt, und das CaféBarefoot und ihre Galerie sind eine weltweit bekannte Adresse. Deshalb machte 2003 in den Ausstellungsräumen der katholischen Künstlerin auch die Wanderausstellung »World Press Foto« Station. Eine der Fotografinnen, die zu den programmbegleitenden Workshops eingeladen wurde, war Barbara Stauss vom Kultmagazin Mare. Als sie die vielen bunten Tierfiguren sah, packte die junge Mutter gleich den Koffer mit ihnen voll. Unter den Urwaldbewohnern, die nun nach Berlin reisten, waren eine Maus, eine Spinne und eine Schlange. Daß die Pioniere noch heute da sind, ist kein Zufall. Sie standen am Anfang eines komplett neuen Kapitels im Leben des Fotografen Russel Liebman, der eigentlich 1989 nach Berlin kam, um den Fall des Eisernen Vorhangs zu dokumentieren. In den folgenden Jahren reiste er für Geo und Spiegel durch die Welt und arbeitete an der Seite von Volker Handloik, der später in Afghanistan ums Leben kam. Aber als Liebman herausfand, was der Vorstand von Gruner & Jahr verdiente, während man bei den Fotografen ständig einzusparen versuchte, verlor er allmählich die Lust. Die goldenen Zeiten des Fotojournalismus schienen vorüber, und da kamen Liebman die Stofftiere gerade recht, die seine Frau zur Freude des Nachwuchses im Wohnzimmer ausbreitete. Das Bild vom Sohn inmitten der Urwaldgesellschaft ziert noch heute die Rückseite der Visitenkarten von BarefootBerlin. Es dauerte nicht lange, da telefonierte Liebman nach Sri Lanka, und bereits im Oktober 2003 kam die erste Lieferung. Auch dem Chef vom Wochenmarkt am Kollwitzplatz gefielen die bunten Eidechsen und grauen Mäuse gut genug, um der Familie Liebman sofort einen der begehrten Stände anzubieten. »Der Kollwitzplatz war gerade am boomen!«, und es dauerte nicht lange, da hatte Liebman einen ganzen Stapel Visitenkarten von Geschäftsleuten, die seine Tiere in ihre Schaufenster und Regale stellen wollten. So wurde aus dem erfolgreichen Fotografen ein erfolgreicher Importeur. »Natürlich war das Fotografieren abenteuerlicher. Das hier, das ist einfach ein Geschäft«, sagt Liebman, aber er grinst dabei ein bißchen. Er hat schließlich nicht nur Fotografieren gelernt in Amerika, er hat auch Betriebswirtschaft studiert. Er weiß, daß ein neues Geschäft erst mal nur Arbeit macht. Beim Fotografieren war das anders, da kam die Arbeit hinterher: »Sortieren, bearbeiten, beschriften.« Das Fotografieren selbst, das war nur Talent. Man zog los, sah die Welt und drückte ab. »Fotografieren, das kann man, oder man kann es nicht!« Der Rest ist Technik. Der Rest läßt sich erlernen. Zum Beispiel an der Lette-Schule, wo Liebman zwei Mal die Woche unterrichtet. Weil er so ganz ohne das Fotografieren doch nicht leben kann. Aber wenn eine neue Lieferung Tiere aus Asien ankommt, dann ist er ganz Importeur. Ganz der Händler. Und wer in diesem Moment anklopft, kommt entweder zu früh oder zu spät. Liebman muß sich jetzt konzentrieren, er muß die Ware durchsehen, die Listen durchgehen, und er läßt sich nicht gern ablenken dabei. Auch, wenn es sich nicht mehr um Bilder handelt, die uns die Welt zeigen, wie sie wirklich ist. Sondern um Puppen zum Spielen. Aber Russel Liebman nimmt die Sache ernst. Er kann über die Puppen ebenso ernsthaft diskutieren wie über Fotografie. Er ist so einer, der keine halben Sachen macht. Vielleicht schickt man ihn deshalb auch jetzt noch immer wieder los. Man weiß, er wird 100% engagiert sein. Und dann reist er wieder um die halbe Welt und fotografiert. Und denkt nur noch selten an seine vielen Tiere im Souterrain der Kreuzbergstraße. Horst Unsold |