Juli 2007 - Ausgabe 89
Die Reportage
Paten gesucht von Horst Unsold |
Patenschaften sind ein gängiges Modell geworden, wenn es darum geht, zumindest finanziell für etwas Sorge zu tragen. Immer öfter bieten in den Zeiten wachsender Armut die Zoos ihre Bären, Löwen und Nilpferde an, für deren Unterhalt man sonst keine Mittel mehr hätte. Auch die Tierheime werben nicht selten mit Patenschaften, um Waldi und Wuffi vor dem Einschläfern zu retten. Darüber hinaus gibt es Patenschaften für Bäume, Bauwerke, für Veranstaltungen und Projekte, sowie für Kinder, wenn sie nur weit genug entfernt von Deutschland leben. Patenschaften für jene Kinder jedoch, die in unserer unmittelbaren Umgebung leben, sind noch verhältnismäßig neu. Sie fordern mehr als nur einen kleinen monatlichen Obolus: Sie fordern die Aufmerksamkeit des Paten. »In der Regel sind es alleinerziehende und berufstätige Mütter, die zu uns kommen und eine Patin oder einen Paten suchen«, sagt Andrea Brand, eine der beiden Koordinatorinnen des Projektes. Allerdings geht es bei der Vermittlung von Patenschaften nicht allein um die Entlastung der vielbeschäftigten Mütter, sondern zumindest ebenso um die Kinder, denen eine zweite erwachsene Bezugsperson fehlt. Diese Lücke soll geschlossen werden. Der Pate ist also so etwas wie ein Freund der Familie, er übernimmt die Rolle des Onkels oder der Tante. Denn um ein Kind zu erziehen, bedarf es mehr als nur einer Mutter. »Um ein Kind zu erziehen, braucht man ein ganzes Dorf«, sagt das afrikanische Sprichwort, das »biffy« seiner Arbeit als Motto vorangestellt hat. »Große Freunde für kleine Leute Big friends for youngsters«, kurz »biffy«, nennt sich der Verein, der im Rahmen der Freiwilligenagentur im Nachbarschaftshaus Urbanstraße Patinnen und Paten für Kinder vermittelt und betreut. Die Idee dazu kam, wie so oft, aus Amerika, nannte sich »Big Brothers, Big Sisters« und wandte sich vor allem an schwer integrierbare Kinder. Die großen Brüder und Schwestern waren ein Selbsthilfeprojekt in einem Staat, der seiner Verantwortung nicht gerecht wurde. Die International Youth Foundation wurde auf die USOrganisation aufmerksam, und im Jahr 2001 wurden mit Unterstützung der Deutschen Kinderund Jugendstiftung 6 Pilotprojekte in Deutschland gestartet, eines davon in Berlin. Drei Büros wurden in Prenzlauer Berg, Weißensee und Kreuzberg eingerichtet, doch als 2004 die Fördermittel weitgehend gestrichen wurden, gaben Weißensee und Prenzlauer Berg auf. In Kreuzberg gründete man den biffy e. V. und versucht seitdem, auch ohne größere finanzielle Unterstützung die Idee zu retten. Und die Nachfrage ist groß. Immer öfter wird in Schulen, den Kitas und den Jugendeinrichtungen auf das Patenschaftsprojekt hingewiesen. »Sogar Eltern aus anderssprachigen Kulturen haben sich deutsche Paten gesucht« – um die Sprachkenntnisse ihrer Kinder zu verbessern. Aber sie haben dabei wesentlich mehr gelernt als nur die deutsche Sprache. Vor allem aber sind es alleinstehende deutsche Mütter, die auf der Suche nach einem Freund für ihren Sohn sind, einem erwachsenen Mann an der Seite ihres Kindes. Daher sind männliche Paten sehr gefragt. Doch zwei Drittel der Paten sind weiblich und Frauen um die Vierzig, die im Berufsleben stehen und plötzlich merken, daß ihnen die Zeit davongelaufen ist. Und daß es mit der Bilderbuchfamilie wahrscheinlich nichts mehr werden wird. Aber auch das männliche Drittel kommt nicht allein aus Sorge um die Kinder, sondern mit sehr persönlichen Interessen. Regelrecht beliebt unter den Berliner Müttern sind die Schwulen, eine Gruppe, die einerseits sensibel genug zu sein scheint für die Aufgabe, andererseits durchaus nachvollziehbare Gründe für ihr Interesse an einer Patenschaft aufführen kann: Viele der Schwulen hätten eigentlich selbst gerne Kinder. Tatsächlich sind viele der Paten Schwule, und tatsächlich scheinen sie die geborenen Väter zu sein. Aber es gibt auch weniger philosophisch Orientierte, die nach dreißig Jahren unter Erwachsenen im Büro »einfach mal wieder Kind sein möchten. Die Quatsch machen möchten, mal wieder in Kinderfilme gehen, und sich allein nicht trauen!« Und natürlich gibt es die Einsamen unter den Bewerbern. Auch die verspüren nicht selten plötzlich den dringenden Wunsch nach Kindern. Aber »wenn jemand gerade zwei Monate im Krankenhaus war, weil er aus dem zweiten Stock gesprungen ist«, dann wird Andrea Brandt sagen: »Ich glaube, das wäre jetzt doch noch etwas zu früh für Sie.« Der Pate soll nicht schwermütig sein, im Gegenteil, er soll jeden Blödsinn mitmachen, auch »Stierspielen im Schwimmbad«. Andrea Brandt ist keine Psychologin, aber sie scheint das nötige Gespür für die richtige Wahl von Kind und Pate mitzubringen. Einfühlungsvermögen verlangt sie auch von den großen Freunden. In zwei sogenannten Workshops werden sie auf Herz und Nieren geprüft, Begriffe wie »Zuverlässigkeit«, »Vertrauenswürdigkeit« und »Verbindlichkeit« stehen im Vordergrund, man will sie »noch genauer kennenlernen«. Man spricht über den »beruflichen Hintergrund«, über Erfahrungen mit Kindern, Interessen und Vorstellungen im Zusammenhang mit der Patenschaft und verlangt neben einem polizeilichen Führungszeugnis von den Anwärtern auch offene Worte zur Sexualität. »Leider hat nicht jeder Erwachsene gute Absichten im Umgang mit einem Kind, und emotionaler und sexueller Mißbrauch sind nie ganz auszuschließen.« Erst nach diesen Prüfungen entschließen sich die Koordinatorinnen zu einer Vermittlung. Dennoch findet das erste Treffen nicht selten ohne Kind statt. Man ist überaus vorsichtig. Es geht um mehr als nur einen Kontakt, es geht um Erziehung, es geht um die Kinder und deren Zukunft. »Patenschaften sind kleine Bildungsprogramme«, heißt es in einer Informationsbroschüre, »in denen durch Gespräche Bildung vermittelt wird, für die im Schulunterricht mit einem berufsorientierten Lehrprogramm oft kein Platz mehr ist. Bildungsforscher betonen die besondere Bedeutung solcher Formen informellen Lernens, das ganz beiläufig etwa im Austausch mit Erwachsenen geschieht.« Auch dem zunehmenden Frauenüberschuß in Kindertagesstätten, Schulen und Familien möchte das Patenschaftsmodell Rechnung tragen, indem es »den regelmäßigen Kontakt mit einer männlichen Bezugsperson« herstellt. Doch die Grenzen des vielversprechenden Programms hat man erkannt. Die Patenschaften für Kinder können zwar »Begleitung, Anregung und Rückhalt bieten«, jedoch nur in einem zeitlich und inhaltlich begrenzten Rahmen. »Patenschaften sind daher kaum geeignet für Kinder mit bereits gravierenden gesundheitlichen, familiären oder sozialen Problemen.« In diesem Punkt unterscheidet sich die deutsche Variante des Big Brothers Big Sisters International vom amerikanischen Ansatz. Mit den Berliner Patenschaften sollen ausdrücklich »alle Kinder und Jugendlichen« angesprochen werden, nicht nur Problemfälle. Die deutsche Variante geht deutlicher auf die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen und die Ursachen möglicher Fehlentwicklungen ein, sie wird noch vor dem Ernstfall aktiv. Darüber hinaus zeigt das Kreuzberger Modell weniger carikativen Charakter. Sie sieht nicht nur in einer Kindheit ohne Väter und ohne männliche Pädagogen ein ungesundes Ungleichgewicht und eine lauernde Gefahr. Sie sieht auch die Gefahren für Männer und Frauen, die ohne Kinder leben müssen. Biffy kommt beiden entgegen, den Großen und den Kleinen. Denn auch die Großen lernen von den Kleinen. Sie machen Erfahrungen mit der anderen Generation. Nicht nur die Eltern, auch die Paten behaupten, durch »ihre« Kinder jung zu bleiben. Herr Müller und Jan kennen sich jetzt fünf Jahre. Müller hätte »Starwars« nie gesehen ohne Jan, er wüßte nicht, was es mit dem Berliner Rapper Bushido auf sich hat, und für Computerspiele hätte sich Müller wahrscheinlich auch nie interessiert. Nicht immer sind die beiden einer Meinung, und Müller hat sich noch nie mit Jan an den Computer gesetzt, um zu spielen. Aber er weiß, was da gespielt wird. »Und das wird weitergehen«, das ist eine echte Freundschaft geworden. »Wenn irgendwas passiert, dann ruft er am Abend an. Der Jan.« 16 Jahre ist er jetzt alt. Eines Tages wird vielleicht auch Müller anrufen. Wenn einmal etwas passiert ist. Wenn er einmal jemanden braucht. Etwa fünfzig solcher Patenschaften gibt es derzeit in Berlin, zweihundert insgesamt konnten seit der Gründung des Projektes im Jahr 2001 vermittelt werden. Das sind wenige. Es könnten aber wesentlich mehr sein, wenn sich nur Paten finden würden. Denn Mütter und Kinder gibt es genug! Horst Unsold |