Juli 2007 - Ausgabe 89
Herr D.
Herr D. im Urlaub von Hans W. Korfmann |
Herr D. war Beamter. Afrika, Asien, Amerika und Australien waren fremde Kontinente für ihn. Er blieb lieber in Europa, im Frühjahr ein bißchen Griechenland, im Sommer ein bißchen Österreich. Allerdings fuhr Herr D. nicht in die übervölkerten Berge Tirols, sondern in ein Bundesland, mit dem weder die wandernden, noch die skifahrenden Ausländer etwas zu tun haben wollten. Herr D. fuhr ins Burgenland, dessen höchste Erhebung kaum höher als der Kreuzberg war. Dafür gab es den Neusiedlersee. Knietief nur, doch so weit, daß das gegenüberliegende Ufer unsichtbar blieb, weshalb der See für die Einheimischen so etwas wie der Indische Ozean war. Die Menschen an seinen Ufern erzählten, daß er ganze Boote verschlucke. Für immer. Denn der morastige Ufergürtel war ein undurchdringliches Dickicht, das bis Ungarn und bis in die Slowakische Republik hineinwucherte. Schon von weitem grüßte der Kellner den »Herrn vom Auswärtigen Amt …« und machte den MoserDiener. »Ein Gulasch und die Kronenzeitung!«, sagte Herr D. Die Kronenzeitung war das alpine Pendant zur BildZeitung, die sich Herr D. im heimischen Kreuzberg nicht zu kaufen traute. Allerdings fehlte es der Kronenzeitung an aktuellen Schlagzeilen. Deshalb stocherte sie immer wieder in dieser jahrtausendealten Leiche herum und titelte: »Mordfall Ötzi! Ein politisches Komplott?« Der »Univ. Prof. Dr. Walter Leitner« hatte den »hinterhältigen Mord« so genau rekonstruiert, als hätte er Zeugenaussagen gesammelt. »Politische« Konkurrenten hätten dem »Stammeshäuptling« in den Ötztaler Alpen aufgelauert, und während einer ihn vorn mit einem Messer bedrohte, hätten zwei Bogenschützen ihn von hinten erledigt. »Im Dorf«, weiß der Professor, »streuten sie das Gerücht aus, der alte Mann habe sich im Gebirge verlaufen«. Damit hatte der Professor endlich die gängige These, daß es sich beim Ötzi um einen verirrten Fremden und somit ein historisches Opfer von Fremdenfeindlichkeit gehandelt habe, widerlegt. Herr D. saß vor den gigantischen Semmelknödeln, der See war grau und spiegelglatt, keine winzige Welle durchbrach die endlosgerade Linie, kein Segel störte den Frieden am Horizont. Auf dem Wannsee wären an so einem Tag 300 Segler unterwegs gewesen. Der Kellner brachte gerade die Melange und erkundigte sich nach dem Befinden des Gastes, und Herr D. rief: »Prima!«, da drängte eine Art Holzfäller den Kellner beiseite. »Prima, was? Deutschland, was? Berliner, stimmts? Kreuzberger, stimmts? Wie wärs, wenn du einfach wieder nach Hause fährst zu deinem schwulen Bürgermeister. Blöder Ausländer! Wir brauchen hier keine Ausländer, verstehst du das. Wir brauchen keinen Multikultiumzug, wir kommen auch ohne so was aus!« Der Kellner hob die MoserSchultern. »Machen Sie sich nichts draus«, sagte er, »der meint das nicht so. Hier ist ja sonst nichts los!« Aber der Holzfäller schob ihn wieder beiseite: »Ich will ihnen mal was sagen, Sie Piefke, Sie: Wir haben schon die Türken aufgehalten. 1525. Sonst hätten die Deutschland nämlich schon damals plattgemacht. Bis zum Knöchel stand uns das Blut. Bis zum Knöchel. Aber wir haben sie zurückgedrängt. Und jetzt kommen sie wieder. Und zwar mit eurer Hilfe! Weil ihr ihnen die Tür aufhaltet, ihr ScheißBerliner, Scheißkreuzberger, Türkenpack! Aber wir werden das nicht zulassen, Österreich wird das nicht zulassen, das garantiere ich Ihnen, wir werden das nicht zulassen, kein Österreicher wird das zulassen …« Herr D. kam gerne ins Burgenland. Er liebte diese einfachen Leute. Hier wußte man noch, woran man war. Ganz anders als in diesem aufgeschlossenen Kreuzberg. |