Juli 2007 - Ausgabe 89
Die Geschäfte
Das Atelier des Heinz Meier von Hans W. Korfmann |
Alle zwei Jahre zieht Heinz Meier weiter. Manchmal wechselt er Länder, manchmal sogar die Kontinente. Und manchmal wechselt er nicht einmal die Straßenseite. Die letzten drei Arbeitssitze lagen alle in der Bergmannstraße, und in der kleinen Schneiderei von Milena Geburzi hängen noch immer einige seiner bunten Kunstwerke im Schaufenster. In die Bergmannstraße kam Meier, weil Schreiber dort seinen Großhandel hatte. Bei Schreiber gab es alles, was Meier zum Leben brauchte: Lötzinn, Werkzeuge, Flachglas – vor allem Glas und »alte Schmucksteine«. Es war schön in der Bergmannstraße gegenüber den Friedhöfen, aber Meier fand kaum noch Zeit zum Arbeiten, so viele Leute kamen zum »Kaffeetrinken« herein. Erst schloß Meier die Tür ab, dann verließ er die Bergmannstraße ganz. Heute hat er sein Atelier in der Hasenheide Nr. 50, in einem jener Lokale, die einst gegenüber der Hasenjagd lagen. Unauffällig liegt das Schaufenster hinter dem Vorgarten, lediglich die zwei hölzerne Bären lassen darauf schließen, daß hier Ungewöhnliches passiert. Die Bären sind Gegenentwürfe zu den Plastikgestalten, die überall in der Stadt herumlungern und Meier allmählich auf die Nerven gehen. Auf dem Weihnachtsmarkt in Wien hatte er die Bildhauerin mit der Kettensäge kennengelernt, und als in der Hasenheide die große Pappel fiel, zögerte er keinen Moment, sie nach Berlin zu rufen. Meier ist jedes Jahr auf dem Weihnachtsmarkt am Karlsplatz, die Wiener Kinder kennen ihn schon: »Wo sind denn die Schmucksteine, die günstigen?« Manchmal schicken Eltern ihre Kinder vor – weil sie wissen, daß Meier den Kindern die Steinchen gern auch mal für ein oder zwei Euro gibt. Eigentlich sollte das Lokal mit den vielen Toiletten in der Nr. 50 nur Meiers Lager werden. Denn vor 20 Jahren hat Meier so etwas wie einen kleinen Schatz gekauft. »Mehrere Millionen Schmucksteine!«, über zwei Tonnen, unzählige Kisten und Kartons voller bunter, geschliffener, glitzernder, wertloser Glassteine. Alles, was noch übriggeblieben war von der Firma Stuchlik in Schwäbisch Gmünd, einer der letzten, die solche künstlichen Klunker noch herstellte. Heute kommen die bunten Glassteine aus Indien oder China und sind wieder teurer geworden. Meier aber hat noch genug davon. Sie liegen überall, neben Kupfer und Drahtrollen, Werkzeug, einem alten Ziegenhorn und diversen Fundstücken vom Flohmarkt. Sie liegen auf dem Boden, auf Tischen und Stühlen, in den Ecken und in den vielen Toiletten des alten Gartenlokals, eingewickelt in braunes Packpapier, in graue Kartons gestopft und in vom Alter längst undurchsichtige Plastiksäckchen verpackt. Zwei Drittel der Steine hat der Kunsthandwerker bereits zu Lampen und anderen Schmuckstücken verarbeitet und verkauft. Die 15.000 Mark, die er damals bezahlte, waren eine gelungene Investition. Nicht immer hat Meier beim Einkauf so ein glückliches Händchen gehabt. Die vermeintlichen Fernrohre, die er für zwanzig Mark ersteigerte, entpuppten sich als drei Paletten nutzloser Halterungen für die Kameras von Aufklärungsflugzeugen, und auch die 10.000 lammledernen Bundeswehrhandschuhe verrotteten, weil Meier sie zu lange in einem feuchten Foto: Dieter Peters
Andererseits hat Meier unvergeßliche Erlebnisse gehabt auf dem Rücken des Pferdes: sonnenbeschienene, blühende Felder, mondbeschienene Auen, oder diesen Förster, der sich ihm mit seinem Mercedes in den Weg stellte und fragte, was er zu suchen habe in seinem Wald. Der Waldmann klärte Meier an Ort und Stelle über die Flurordnung auf, und daß ab 20 Uhr niemand mehr im Wald unterwegs sein dürfe, ohne sich der Landstreicherei verdächtig zu machen. Am Ende aber lud er Meier und Hella in die Försterei ein, wo sie bis zum Morgengrauen Rotwein tranken, um dann zum Hochsitz zu pilgern, wo der stolze Förster dem Lampenmacher Meier sein Rotwild zeigte. Meier redet nicht viel. Dabei hätte er so viel zu erzählen: von den Siebzigerjahren und den Fahrten nach Afghanistan im MercedesKonvoi, von den Reisen im hölzernen Zirkuswagen mit Baldachin und Unimog vor der Deichsel; von den ersten Jahren in Berlin, als er zum politischen Sprecher im besetzten Haus am KaiserWilhelmPlatz wurde; von der Zeit, als er damit aufhörte, Elektroteile für Siemens zusammenzulöten und stattdessen Glasscherben auf dem Markt am 17. Juni verkaufte; von seinem Österreichaufenthalt oder von seinem Atelier im Münchner Botanicum, einem Gewächshaus, in dem es »im Winter immer ein bißchen kalt war, dafür wuchsen im Sommer die Bananen.« Meier ist ein unsteter Geist, alle zwei Jahre wechselt er den Standort, und »eigentlich wäre es jetzt wieder so weit«. Aber vielleicht wird er doch noch einmal seßhaft. Schließlich gibt er sich alle Mühe, sein Atelier endlich fest zu etablieren in der Stadt. Um das Geschäft anzukurbeln, hat er sogar die Kronprinzessin von Schwe den angeschrieben, die einige Monate in Berlin verbrachte, und ihr eines seiner Lämpchen vermacht. Wochenlang wartete er auf einen Dankesbrief, dann wandte er sich an die Botschaft. Dort zeigte man sich erstaunt: »Was glauben Sie denn, wieviele Geschenke eine Prinzessin tagtäglich bekommt?« Resigniert mußte Meier zur Kenntnis nehmen, daß die Schwedin seine kleine Aufmerksamkeit womöglich nicht einmal gesehen hatte. Andere aber sind regelrecht verliebt in die kleinen Lampen aus bunten Steinen. So wie Milena Geburzi. Oder die Wiener am Karlsplatz. Die ersten dieser Lampen baute er 1976 in München. Es waren kleine Stehlampen, deren Schirme er aus Schmucksteinen zusammenlötete. Die Herstellung war aufwendig, entsprechend teuer waren die Stücke. Doch auf dem Markt an der Dachauer Straße fanden sich Käufer. Später, wieder in Berlin, begann er, kleinere Lämpchen zu bauen, bis er eines Tages darauf kam, die gläsernen Schirme umzudrehen, mit Kerzen auszuleuchten und aufzuhängen. So sehen sie noch heute aus, die kleinen, funkelnden Lampen aus der Schatztruhe des Heinz Meier – nur funkeln sie jedes Jahr ein bißchen mehr. Hans W. Korfmann |