Februar 2007 - Ausgabe 84
Die Reportage
Prominenz im Händlerdorf von Michael Unfried |
Es sah so aus, als wäre die Halle in panischer Eile verlassen worden: Offensichtlich hatte man keine Zeit mehr gehabt, die großen gelben Kürbisse mitzunehmen, die akkurat geflochtenen Knoblauchzöpfe einzupacken, erst recht nicht die Kisten und Kartons mit faulem Obst. Aber auch praktischere und unverderbliche Ware wie Suppenteller, Gießkannen, Blumentöpfe oder ein Fernseher, der verlassen inmitten eines leeren Standes stand, blieben zurück. Die langen Reihen der Marktstände, in denen vor zwei Tagen noch Obst und Gemüse, Fisch und Fleisch, Kurzwaren und Tabakwaren angeboten wurden, waren jetzt menschenleer. Die Zeit schien endgültig abgelaufen zu sein für die große Schultheissuhr, die Jahrzehnte lang in der Mitte der Halle von der Decke hing und den Marktfrauen und Marktmännern zeigte, wieviele Stunden es noch waren bis zum Feierabend. Jetzt war endgültig Feierabend. Foto: Dieter Peters
Kritische Worte waren an diesem Samstag nicht angebracht. Von einem Unikat in Berlin war die Rede, von einem humanen Prozeß, und von der Demokratie. Nur ein oder zwei Stimmen aus dem Volk erhoben Einspruch, und selbst Klaus Brünger und Angela Spreu, die einst ebenso eloquenten wie kritischdistanzierten Abgeordneten der vereinigten Händler der Markthalle, fanden an diesem 13. Januar auf der kleinen Bühne lediglich Dankes und Lobesworte. Am Ende ließen sie es sich nicht nehmen, dem Herrn Bürgermeister gar eine Aufmerksamkeit in Form eines kleinen Hammers zu überreichen. Einige Umstehende begannen zu diskutieren, ob nicht vielleicht doch eine verborgene Symbolik in dem Präsent steckte. Sonst aber herrschte Langeweile. Selbst die Händler in ihren Containern von den Markthallenmanagern lieber »Pavillons« genannt schenkten den Politikern kaum Gehör. Sie waren bereits mit ihren Geschäften beschäftigt und machten Foto: Dieter Peters
Angela Spreu ist eben immer dabei! Einige alte Bekannte aber, wahre Institutionen aus der Halle, suchten die Bewohner Kreuzbergs an diesem Tag vergeblich: die Blumenläden, den »Radiofritzen«, das italienische Feinkostgeschäft Bancarella und auch Mona vom Hinterausgang mit ihrem Kaffee und ihren Würsten und den alten Männern. Bei Mona kam sie noch zusammen, die berühmte Kreuzberger Mischung, da standen die Alten und die Jungen, die Dicken und die Dünnen, die Arbeitslosen und die paar, die noch Arbeit hatten, alle zusammen. Selbst der dicke Kanzler Kohl soll hier schon gestanden haben. Bei Mona fand man für jeden ein passendes Wort. Mona und Bancarella wären wohl auch gern dabeigewesen an diesem Tag. Aber sie hatten sich nicht einigen können mit der Berliner Großmarkt GmbH. Die exklusiven Mieten in der verglasten ersten Reihe, in die sie hätten ziehen müssen, und die vorgeschriebenen Öffnungszeiten bis zum späten Abend waren für sie nicht akzeptabel gewesen. Auch vom alteingesessenen Gasthaus Friedrich Hertz ist jetzt nichts mehr zu sehen: Vor der denkmalgeschützten Fassade der Halle türmen sich die Container der BGM. Der Wirt sitzt jetzt allein in seinem neuen Gasthaus in der Friesenstraße und starrt aus dem Fenster. Von jenen, die nicht mitkommen konnten ins sogenannte Dorf, sprechen die Männer am Mikrophon nicht. Sie sprechen von 60% der Händler, die ins neue Konzept hätten übernommen werden können. Und von diesen 60% sind 100 % zufrieden. Sie haben eine anstrengende Woche hinter sich, mußten sägen, schieben, improvisieren, einräumen. Aber sie haben erstmals seit Jahren wieder einen Mietvertrag in der Tasche. Auch wenn einige von ihnen für den neuen Vertrag nun doch ein paar Euro mehr hinlegen müssen als vorher. Aber wer denkt jetzt schon an morgen? An die neue Halle? Die ist noch Zukunftsmusik! Jetzt denken alle nur an eines: an den Erfolg des Containerdorfes. Und da zahlen sie keinen Cent Miete. Das haben sie sich erkämpft. Sie, und Christoph Schulz vom vielgescholtenen Mieterrat, der mit seiner Veranstaltung in der Passionskirche die Aufmerksamkeit der Medien auf das Schicksal von Halle und Händlern lenkte. An den denkt an diesem ersten Markttag keiner der Händler. Der Andrang der Neugierigen ist zu groß, der Umsatz an diesem ersten Tag für viele eine angenehme Überraschung. Und einer wagt schon mal die scherzhafte Prognose, daß das Provisorium aus Containern am Ende vielleicht besser funktioniere als später die neugestaltete Halle. Auch der amtierende Bürgermeister Dr. Franz Schulz hält es für wahrscheinlich, daß sich im Sommer auf dem Platz innerhalb des RingDorfes mit seinen spanischen, griechischen und französischen Salamis, Schinken, Käse, Oliven, Feigen, Croissants und Baguettes ein Eigenleben entwickeln könne. Selbst die kritischsten Beobachter der Szene können sich die Wiese mit dem Spielplatz und den Bänken im Sommer schwerlich menschenleer vorstellen. Der einzige, der sich über die neuen Perspektiven auf dem Marheinekeplatz zu ärgern scheint, ist ein ehemaliger Stadtrat. Etwas abseits von der Bühne und der Infobox, wie sie seit dem Bau des Potsdamer Platzes jede größere Baustelle schmückt, steht Werner Orlowsky und schüttelt den Kopf über die Container, die sich vor der denkmalgeschützten Fassade türmen und jenen Platz zustellen, den er Anfang der Achtzigerjahre mittels Volksentscheid und in einem wirklich demokratischen Prozeß einmal gestaltet hat. Die taz hatte sich kürzlich daran erinnert und geschrieben: »Nur einmal hat am Marheinekeplatz das Volk entschieden«. Ein anderes Mal entschied die CDU. »Da sah es hier so ähnlich aus wie jetzt!«, erzählt Orlowsky. Nur, daß es damals keine schmucken Container waren, sondern Zelte, und daß es damals keine Geschäftsleute, sondern Hausbesetzer aus einem GSWHaus in der WillibaldAlexisStraße waren, die hier eine Notunterkunft einrichteten. »Ich frage mich, wie die BGM dafür überhaupt eine Genehmigung bekommen konnte!« »Wir müssen«, sagt wenig später Dr. Franz Schulz am anderen Ende des Platzes, »den Händlern die Stange halten.« Auch Wirtschaftsstadtrat Beckers wünscht Dorf und Halle »viel Erfolg« und beschwört die dreißig Zuhörer: »Beteiligt Euch! Kauft!« Allerdings ist das Kaufverhalten vieler Kreuzberger kein freiwilliges, sondern eben abhängig von der vielzitierten Kaufkraft. Und die ermöglicht schon lange nicht mehr jedem, in der Halle einzukaufen. Sondern gerade noch bei Plus und Penny. Nur darin, in der neuen Armut, und nicht wie die BGM behauptet im staubigschönen Charakter der Halle, lag der Grund für den Kundenschwund. Werner Orlowsky Foto: Dieter Peters
Foto: Dieter Peters
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