Kreuzberger Chronik
Dez. 2007/Jan. 2008 - Ausgabe 93

Witzels Geschichten

Müller im Knast


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Autor unbekannt

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Übrigens war Kriminalhauptkommissar Bernd Müller neulich mit seiner Frau im Kreuzberg Museum gewesen und hatte sich die liebevoll aufbereitete Kressmann-Ausstellung angeguckt, und seine Frau wollte wissen, wo denn die gleichberechtigte Kressmann- Zschach-Ausstellung sei, und da mußten sie passen, die Jungs und Mädels vom museumspädagogischen Team für Erwachsenenbildung.

»Wir greifen deine Idee sofort auf, Genossin Müller«, sprach die Frau vom Bezirksamt, und deshalb trällerte Frau Müller schon am frühen kommenden Morgen »Die Gedanken sind frei!« vor sich hin. Ihr Mann knurrte, er hielt nicht viel von solchen politischen Liedern, und sie solle es mal nicht so laut singen, sonst werde sie nachher noch in Urlaub geschickt auf Wunsch der SPD. Und er brauche sie schließlich noch als seine tugendhafte Vorgesetzte und Geliebte und überhaupt. Das war Musik für die Hausfrau, denn ihr Lieblingsplatz war im Herzen ihres Mannes.

Und nun saßen sie also da beim Frühstück in ihrer Belletage-Wohnung im Vorderhaus der Skalitzer Straße 98, kurz vorm Lausitzer Platz mit der backsteinroten Emmauskirche, und rührten in ihren Tassen. Und während draußen orange wie ein Sanyasin die U-Bahn vorbeibretterte und Müller sein Frühstücksei entkalkte, salzte und pfefferte, ja, in diesen magischen Minuten murmelte Müller: »Ich hab diese Nacht von dir geträumt, Schatz.«

Ihre Kastanienaugen schalteten auf Hochglanz. Als erstes wollte sie wissen: »Und – was hatte ich an?« »Du trugst das kleine Grüne mit den Hertha-BSC-Punkten«, brummte Müller, »und ich hatte diese graue Uniform an mit einem von diesen Berliner Bären, die uns der Senat immer wieder aufbindet. Ich war nämlich Justizvollzugsangestellter.« »Im Frauenknast bei RTL?« »Nein, im Männervollzug an der Seidelstraße. Die Knackis nannten mich ›Schließer‹. Meine Dienststelle war im Haus Zwei. Wo auch Vater Staat sitzt.« »Hat da nicht auch Tute Schultz eingesessen?« fragte seine Frau mit verträumtem Blick nach Müllers altem Nebenbuhler.

»Weiß nicht«, meint Müller, »hab ich doch alles nur geträumt. Jedenfalls sang Johnny Cash gerade im Anstaltsradio: ›Ob sie dich lieben oder hassen, eines Tages müssen sie dich doch entlassen!‹ – das war übrigens nicht nur in St. Quentin auf Platz siebzehn bei den Wunschkonzerten gelandet, sondern auch auf dem ersten Arbeitsmarkt ein ziemlicher Hit gewesen – da kam die Durchsage, daß alles dafür spricht, die Kirche vom Haus Zwei der JVA in eine Moschee umzuwandeln, und dann kamst du. Du standst plötzlich da vor meinem Schreibtisch und hast gesagt, du willst jetzt den Staat sehen.« »Wirklich?«

»Nee, hab ich alles nur geträumt. Und dann hab ich gesagt: ›Das geht nicht.‹ Und dann hast du gesagt, wenn du schon die Alimente für ihn bezahlst, dann willst du gefälligst auch sehen, was aus ihm geworden ist. Und dann hast du deine Verzauberaugen eingeschaltet und ich bin aufgestanden und hab das Schlüsselbund geschnappt und bin mit dir zum Haftraum von Vater Staat und hab aufgeschlossen.

Da saß also nun der Staat im Blaumann auf blanker Hartholzpritsche und im blaß-karierten Licht vom Gitterfenster, angekettet und die Füße im Holzblock.« Müller aß einen gelben Happen vom Ei. - »Und dann?« fragte seine Frau. »Erst hast du ›Ach was?‹ gestaunt und mich dann gefragt: ›Ist das der Staat? Echt? Den hatte ich mir viel freier vorgestellt.‹ ›Tja‹, lachte der Staat dazwischen. ›Das sagen so einige, wenn sie mich persönlich kennengelernt haben.‹«


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