Kreuzberger Chronik
Dez. 2007/Jan. 2008 - Ausgabe 93

Essen, Trinken, Rauchen

Ochsenbäckle


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von Michael Unfried

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Du mußt unbedingt diese Ochsenbäckle essen!« »Hm …« »Ich sag dir, die Ochsenbäckle, sind ein Genuß« »Kann schon sein!« »Ich hab noch nie so gute Ochsenbäckle gegessen!«

Die beiden Gestalten, die gerade die mysteriöse Baustelle am Südstern passiert haben, über die sie so lautstark diskutiert haben, daß man es bis zum Friedhof an der Bergmannstraße hören konnte, laufen zielstrebig, wenn auch nicht geradlinig, in die Körtestraße ein.

»So etwas wie diese Ochsenbäckle gibt es nicht noch einmal in der Stadt!«, sagt der eine. »Ich hätte eigentlich Lust auf einen Salat!«, sagt der andere. Als sie im »Weißen Haus« von Jacques ankommen, sind alle Plätze im Raucherabteil bereits besetzt. Der Liebhaber der Ochsenbäckle zieht ein langes Gesicht. Dann sagt er: »Naja, für ein fürstliches Essen kann man sich ja auch mal in die Nichtraucherecke setzen.«

Die Kellnerin mit den pechschwarzen Haaren inspiziert die neuen Gäste zuerst skeptisch, entscheidet sich dann aber für ein freundliches Lächeln. »Haben Sie Ochsenbäckle?« »Heute nicht!«, sagt die Kellnerin, aber sie lächelt nett. »Möchten Sie vielleicht schon etwas trinken?« »Ja, sehr gern bitte!« Als die schöne Kellnerin die Flasche Rotwein auf den Tisch stellt, haben die beiden Gäste die Speisekarte bereits eingehend studiert. »Schade, daß Sie keine Ochsenbäckle haben. Aber sagen Sie, diese Vorspeise mit dem Wildschwein und dem Knödel – wie groß ist denn so eine Vorspeise?«

»Das kann ich nicht genau sagen, ich arbeite noch nicht lange hier. Warten Sie mal …« Wenig später stehen zwei Frauen am Tisch. » Ja, also der Knödel ist …« sie formt mit den Händen einen stattlichen, aber fiktiven Knödel, – »und rundherum ist etwa soo viel« – sie beschreibt mit beiden Händen einen großen Kreis, der an alles andere als an eine Vorspeise denken läßt. »Ok, das nehmen wir«, entscheidet der Liebhaber der Ochsenbäckle.

»Du weißt ja, daß sich heutzutage in den besseren Lokalen die Größe der Teller umgekehrt proportional zur Größe der Portionen verhält«, warnt der begeisterungsunfähige Skeptiker, als die Kellnerinnen in ausreichender Entfernung sind. Einen Moment lang wartet der Salatesser die Wirkung seiner Worte ab, aber der Freund schweigt. »Die Teller werden immer größer und die Portionen immer kleiner! Nur, damit du nicht enttäuscht bist.«

»Du wirst schon sehen!«, antwortet der Begeisterungsfähige und geht dazu über, seinem Sportkameraden einen Vortrag über dessen Motivationslosigkeit beim Badminton-Doppel zu halten. Bis der Salatesser endlich warm würde, wäre die Spielzeit um. Der Salatesser verteidigt sich vergeblich, bis endlich die großen Teller kommen. In der Mitte liegt je ein stattlicher Knödel, umgeben von einem tiefbraunen, duftenden Saft und großen Würfeln vom Wildschwein. Es duftet ein bißchen nach Orange, ein bißchen nach Wald und nach Pilzen und Moos und Tannen und Lichtungen, und der dampfende Knödel ein bißchen nach frischem Brot.

»Ist das wirklich die Vorspeise?«, fragt vorsichtig der Skeptiker. »Ja doch«, lächelt die Kellnerin. »Sie haben ein gutes Wort für uns eingelegt!« »Nein, wirklich nicht. Ganz bestimmt nicht!« Glücklich und Arm in Arm verlassen die beiden Sportler noch später am Abend das Maison Blanche und torkeln dem Südstern zu, wo sie sich lautstark voneinander verabschieden. »Das Essen war phantastisch!«, sagt der Skeptiker. » Aber ich sag dir … wenn du die Ochsenbäckle gegessen hättest …«, entgegnet der Optimist.

Michael Unfried


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