April 2007 - Ausgabe 86
Der Mensch
Xanthe Hall Berlin ist ein Farbfilm im Gegensatz zu Birmingham
von Waltraud Schwab
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Die Achterbahn, auf der Xanthe Halls Emotionen herumgeschleudert werden, sieht so aus: Auf Krieg folgt Protest folgt Hoffnung folgt Eskalation folgt Diskussion folgt Aufrüstung folgt Protest folgt Warnung folgt Hoffnung. Das ganze Leben der 47-Jährigen geht das schon so. »Libanon, Israel – für mich kommt das nicht überraschend.« Schon früh, vor zwei Jahren schon, sorgte sie sich, daß jederzeit Bomben fallen könnten auf den Iran. »Alarmismus«, sagten viele damals. Hall interessiert das nicht. Sie weiß es besser: »Ich alarmiere nicht, ich warne.« Es geht ihr nicht darum, dann gegen den Krieg zu sein, wenn er begonnen hat. Ihr geht es darum, Krieg zu verhindern. Sie ist eine von denen, die immer wieder von vorne beginnen. Als lebte sie nach einem Motto von Samuel Beckett: »Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern.« Eine, die sich das zumutet, muß stur sein. Schwierig – difficult nannte man sie früher. »You are difficult!« Britische Kinder aus gutem Hause wie sie, denen dieser Satz entgegengeschleudert wird, spüren das erste »i« im Wort wie einen Messerstich. Noch heute erinnert sich Xanthe Hall mit einer Mischung aus Stolz und Schauder daran, daß sie zu den Schwierigen zählte. Denn als Tochter eines Universitätsprofessors durfte sie vieles sein, »difficult« aber auf gar keinen Fall. Angekommen in Berlin Foto: Privat
Heute glaubt die Jüngste von drei Schwestern, daß sie schwierig war, weil sie Gefühle ansprach. »Ich wollte die Wahrheit auf den Tisch gepackt sehen. Das ist sehr unenglisch. Auf Auseinander- setzungen läßt man sich dort in nüchternem Zustand nicht ein.« Deshalb lebt die 1959 in Schottland geborene und in Yorkshire aufgewachsene Hall seit zwanzig Jahren lieber in Berlin. Jahrelang lebte sie gern in Kreuzberg, weil man »hier sagen darf, was man denkt. Hier darf man sogar streiten.« Streiten, für Hall ist das etwas anderes als »zuschlagen«. Sie meint reden, diskutieren, tausendundeine Nacht. Eine Eskalation muß vermieden werden. »Ich finde, es bringt nichts, wenn man mit Gewalt Gewalt beenden will.« Die Welt indes ist um einiges komplizierter: Eine universelle Kultur des Diskutierens gibt es nicht, wohl aber eine des Kämpfens. Deshalb steht Hall vor einem Problem. Denn Gewaltfreiheit ist nicht nur die Maxime ihres Denkens, sondern auch die ihrer Arbeit. Sie ist die Abrüstungsexpertin der deutschen Sektion der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW). Halls aufblasbarer Meiler mit "Raketenschornstein" Foto: Privat
Allein in Deutschland hat der Verein 7.500 Mitglieder. Die Aufgabe, der sich die IPPNW-Mitglieder stellen, ist klar: Nie wieder Hiroshima. Allerdings ist die Abkehr von den Atomwaffen nach 1945 keine Selbstverständlichkeit geworden. Im Gegenteil: Vom Kalten Krieg über die Stationierung von Mittelstreckenraketen in Europa bis zur Gegenwart wird mit dem Bau und dem Zünden der Bombe gedroht. Daß die Bush-Regierung bis jetzt nicht dementierte, eine Bombardierung iranischer Atomanlagen mit atomaren Waffen in Erwägung zu ziehen, und daß auf der anderen Seite viel darauf hinweist, daß es Ziel der iranischen Regierung ist, die Bombe zu bauen, zeigt, wie aktuell die Gefahr ist. Xanthe Hall steht schon lange mitten drin in diesem Konflikt, der auch mit der Eskalation an der libanesischen Grenze vor einem Jahr wieder einmal neuen Zündstoff erhielt. Auch damals kam ihr zugute, daß sie mit Protest gegen Atombomben und mit gewaltfreiem Widerstand gegen Krieg seit einem Vierteljahrhundert Erfahrung hat. Sie ist immer beim Thema geblieben, allen Niederlagen zum Trotz. Denn eine, die stur und schwierig genannt wird, ist aus anderer Perspektive gesehen eben standhaft und sich selbst treu. 1979, es war das Jahr, als Margaret Thatcher an die Regierung kam, begann Hall, sich in England in der Kampagne für atomare Abrüstung (CND) zu engagieren. Bei dieser Organisation wächst die Studentin der Theaterwissenschaften in die Antikriegsarbeit hinein. »Ich habe verstanden, daß mich das Atomkriegsszenario als Horrorvision mein ganzes Leben begleitet.« Zum wichtigsten Fixpunkt für sie wird in dieser Zeit Greenham Common in Berkshire. Nachdem dort 1981 Mittelstreckenraketen stationiert werden, entschließen sich Frauen, die Militärbasis zu belagern. Sie bleiben jahrelang, campieren unter primitivsten Bedingungen in den Wäldern entlang des Stacheldrahtzauns, der das Gelände begrenzt, blockieren immer wieder die Tore der Militärbasis, durchtrennen Zäune, organisieren Sitzblockaden vor Raketentransportern. Das Militärareal auf dem Greenham Common ist riesig. Trotzdem sind die wenigen Dauerbelagerinnen dem Militär ein Dorn im Auge. Sie stören durch ihre schiere Präsenz. »Ich war oft in Greenham Common«, sagt Hall. »Was ich dort gelernt habe an gewaltfreien Techniken, das habe ich weitergegeben.« Zwei Jahre lang ist sie die Brückenperson zwischen Greenham Common und anderen belagerten Militärbasen in England sowie dem CND. Sie lebt von Sozialhilfe. Am Ende jedoch zerstreitet sie sich mit ihren politischen Gefährten bei der Frage, ob man sich bei den Widerstandsformen persönlich so weit in Gefahr bringen soll, daß Todesopfer nicht ausgeschlossen werden können. »Viele Leute, die Stützpunkte belagert haben, fingen an, militärisch zu denken.« Hall ist dagegen. In dieser Situation fährt sie nach Berlin. »Ein Farbfilm im Gegensatz zu Birmingham«, sagt sie. »Ich hatte ja noch gar nicht viel vom Leben gehabt.« Vier Wochen später zieht sie in die Mauerstadt und kämpft sich ohne ein Wort Deutsch durch die Szene. Sie kellnert im Irish Pub, sie unterrichtet Englisch. Und sie bekommt einen Job in der Druckerei, die direkt unter den Büros der IPPNW liegt. Irgendwann braucht man dort ihre Hilfe. So landet sie zum zweiten Mal bei der Friedensbewegung, 14 Jahre ist das her. Vom Zaun um Greenham Common aber, der nach dem Vertrag zur Verschrottung der Mittelstreckenraketen von 1987 und dem Abzug der US-Streitkräfte 1992 obsolet wurde, hat sie sich ein Stück zur Erinnerung mitgenommen und ein Mobile für ihren Sohn daraus gebaut. Klimpernd hängt es in seinem Zimmer im Wind. Mit ihrem Sohn Foto: Privat
Obwohl Hall die Sackgasse sieht, in der die internationale Politik steckt, kann sie jedoch mitunter optimistisch sein. »Als ich vor 25 Jahren für den Frieden auf die Straße ging, galt noch die Einstellung: Krieg ist notwendig. Aber meine Erfahrung zeigt mir, daß mehr Menschen damit nicht mehr einverstanden sind.« Ihre positive Sicht hat etwas mit ihrer Biografie zu tun. »Ich komme aus einem Land, das zu meinen Lebzeiten oft im Krieg war.« Sie zählt auf: »Falkland, Golfkrieg, Irak, Nordirland. Nordirland durfte man ja noch nicht einmal Krieg nennen, obwohl es einer war.« In Deutschland war die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg anders. »Man hat wohl gedacht, daß so etwas wie Krieg hier nicht mehr passieren kann.« Daß die Friedensidee nicht der Wirklichkeit standgehalten hat, hat viele Leute gelähmt, meint Hall. »Ich hab gesehen, wie Pazifismus in Deutschland demontiert wurde.« Dabei mag sie das Wort Pazifismus selbst nicht richtig. »Pazifismus hört sich passiv an.« So nach dem Motto, da lassen wir die Finger von. »Ich plädiere stattdessen für aktive Gewaltfreiheit.« Das paßt auch besser zu ihr. Und jetzt? Hall weiß, wie die Menschen reagieren. »Wenn es Krieg gibt, werden mehr von ihnen auf die Straße gehen«. Das sagt sie immer, wenn man ihre Warnungen in den Wind schlägt. Wie vor zwei Jahren, als sie vor einem Iran-Krieg warnte. Heute hat sich die Situation schon verändert: »Plötzlich sind wir wieder gefragt.« |