Kreuzberger Chronik
April 2007 - Ausgabe 86

Herr D.

Herr D. und das Geheimnis der Currywurst


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von Hans W. Korfmann

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Herr D. hatte Lust auf eine Curry. Aber am Kottbusser Tor gab es keine Curry. Er lief den gesamten Kottbusser Damm ab, aber es gab nur Döner und Falafel, überall Döner und Falafel. Selbst beim »Imbiss International« bestand die berühmte Berliner Mischung der Kulturen aus einer Mischung von Pommes und Döner, von der heimatlichen Curry fehlte jede Spur in »Klein Istanbul«.

Lediglich der Mann mit den Büchern schien dem Herrn D. etwas kosmopolitischer. Er hatte neben der Straße auf einem Karton einen Bücherstand errichtet und verkaufte, wie er mit Kugelschreiber auf dem Pappendeckel ankündigte, christliche Literatur. Und zwar in hebräischer, türkischer und arabischer Sprache! Herr D. wollte gerade ein Buch in die Hand nehmen, sah sich jedoch, von blutrünstigen Medien irritiert, vorsichtshalber um, ob nicht hinterrücks ein Attentäter lauerte, da fiel sein Blick auf wahrhaft paradiesische Vokabeln: Hinter ihm warb »Curry 1« in schrillen Mc-Donaldsfarben für »Pommes«, »Frankfurter«, »Hotdogs«, »Cheeseburger« und »Currywurst«. Sogar Bratwürste qualmten auf dem Grill und ließen die sensiblen Schleimhäute des Herrn D. in Tränen vor Glück ausbrechen.

Allerdings mußte der Wurstverkäufer verrückt sein, »so mitten unter all diese Muslime einen Currystand zu pflanzen«, dachte Herr D. Soviel Zivilcourage hatte er deutschen Wurstverkäufern gar nicht zugetraut. Allerdings besaß der Mann mit dem T-Shirt, auf das er kunstvoll »Curry 1« hatte sticken lassen, auch einen durchaus stattlichen, geradezu muselmanisch großen Schnurrbart.

Da überkam den Herrn D. ein Verdacht: Sollte dieser Currywurstverkäufer eventuell gar kein deutscher Currywurstverkäufer sein? Mißtrauisch untersuchte Herr D. das Warenangebot nach kleinasiatischen Einflüssen, doch fand er keinen einzigen Hinweis auf eine türkische Unterwanderung der Currywurst. Im Gegenteil: Außer einer »Colaturk«, die im amerikafeindlichen Kreuzberg nichts Ungewöhnliches war, und einem Becher des beliebten Yoghurtdrinks »Ayran«, gab es keine verdächtigen Anhaltspunkte. Kein Falafel, keinen Döner, kein Fladenbrot. Stattdessen die kleinen, aufgeblasenen, mit Sesam bestreuten Brötchen, die ein einziges dazwischengequetschtes Salatblatt, ein dünner Fleischfladen und ein Spritzer Ketchup zum erfolgreichsten Imbiß der Welt machen: zum Hamburger.

Neugierig und hungrig, wie Herr D. war, bestellte er eine Curry, einen Hamburger und einen Cheeseburger. Der Mann am Grill lächelte in seinen muselmanischen Schnauzbart. Wahrscheinlich hatte der megalomane Currybudenbesitzer vorsichtshalber türkisches Personal eingestellt. Das war ja auch um einiges günstiger.

Glücklich biß Herr D. zu. Der Hamburger war spitze! Der Cheeseburger auch! Und die Pommes von der Curry, die sich die Mädchen mit den Kopftüchern und den Schultaschen gerade bestellt hatten, sahen auch ziemlich gut aus. Erst, als sich der Herr D. endlich die langersehnte Curry zwischen die Zähne schob, und als die irgendwie viel fester war als sonst und auch ganz anders schmeckte, da fiel ihm ein, daß er noch nie ein türkisches Schulmädchen mit Kopftuch und Curry und Pommes gesehen hatte. Und endlich kam ihm die erlösende Idee, erleichtert rief er dem Mann vom alternativen Wurststand zu: »Sagen Sie, ist das alles aus Rindfleisch?« – »Ja, wir machen keine Schweinereien. Die Würste lassen wir extra produzieren. Unsere Mädchen sollen ja auch mal ne Curry essen, wenn sie schon hier sind!«

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