April 2007 - Ausgabe 86
Die Geschichte
Der Berliner Don Quichotte von Werner von Westhafen |
Immer wieder in der Berliner Geschichte stößt man auf seinen Namen. Begraben ist er neben E.T. A. Hoffmann und Adalbert von Chamisso, eine Kreuzberger Schule ist nach ihm benannt. Eine Straße fehlt ihm noch, dem Mann mit dem bissigen Humor, dem Herausgeber unzähliger Publikationen, dem Querkopf aus der Luisenstadt: Adolf Glaßbrenner. Der verräterische General Wrangel, der Glaßbrenners Freie Blätter nach 1848 verbieten ließ, steht dagegen schon lange auf einem Kreuzberger Straßenschild. Vielleicht war dieser Glaßbrenner für die Benennung einer Straße tatsächlich zu unbequem gewesen, wie es die Intellektuellen von 1968 vermuteten. Als im März 1848 das Volk auf die Barrikaden ging und sich gegen die Obrigkeit erhob, da jedenfalls hatte man Glaßbrenner bereits aus der Stadt verwiesen. Er war längst in Neustrelitz, als ihn die Nachrichten aus Berlin erreichten. Trotz Einreiseverbots fuhr er in die Hauptstadt und schrieb über die Ereignisse an seine daheimgebliebene Frau: »Versäume ja nicht, die Schilderungen derselben in den Zeitungen zu lesen und dich vor dem Volke zu beugen.« Glaßbrenner war schließlich selbst ein Sohn des Volkes. Geboren wird Berlins berühmter Satiriker in einem Wirtshaus, dem Fliegenden Rosse in der Leipziger Straße. Der Vater verdient den Lebensunterhalt mit Schmuckfedern, dennoch kann Adolf das Friedrich Werdersche Gymnasium besuchen. 1824 aber zwingt die Not den Jungen in eine kaufmännische Lehre. Um geistig nicht vollends zu verarmen, besucht er die Vorlesungen Hegels, er scheint zu wissen, wohin er will. 1827 veröffentlicht er erste literarische Arbeiten im Berliner Courier, drei Jahre später hängt er den Kaufmannsberuf an den Nagel, um mit 22 Jahren als Verleger aufzutreten, und veröffentlicht den »Berliner Don Quichotte«. Der Titel dieser ersten Publikation könnte ebenso über dem Leben Glaßbrenners stehen. Denn von jenem »Berliner Don Quichotte« an bis zu seinem Tode sollte Glaßbrenner mit seinen Zeitungen einen hoffnungslosen politischen Kampf gegen die »Rrrrreaktion« kämpfen. Er erschöpfte sich in »ununterbrochener Propaganda«, wie es Claus P. Mader anläßlich des 100. Todestages des Kritikers formulierte, vorangetrieben von der ebenso edlen wie naiven Vorstellung, Kleinbürger, Handwerker und Arbeiter zu einer revolutionären Widerstandsgruppe vereinigen zu können. Er hoffte, sie zu einer »spontanen Tatgesinnung für die Ideale der Demokratie zu begeistern. (...) Unerbittlich drängte er auf den Umbruch der bestehenden Verhältnisse.« Und obwohl der Don Quichotte sich an ein gebildetes, mittelständisches und gemäßigtes Publikum wandte, wurde der Herausgeber mehrmals ermahnt, keine »iniuriösen Artikel« zu veröffentlichen. Glaßbrenner aber ließ sich nicht vom Weg abbringen, weshalb er 1833 mit einem fünfjährigen Berufsverbot belegt wurde. Ein Jahr zuvor hatte er ein Gedichtbändchen mit dem Titel »Berlin, wie es ist und trinkt« veröffentlicht. Nun schloß er mit einer Buchhandlung einen Vertrag über zwölf weitere Hefte ab und unterzeichnete mit dem weniger der Tarnung als der Provokation dienenden Pseudonym »Adolf Brennglas«. Deshalb war »Berlin, wie es ist und trinkt« auch schon nach dem Heft Numero 6 auf dem Index. Daraufhin publizierte Glaßbrenner tatsächlich einige unauffälligere Hefte mit Titeln wie »Buntes Berlin« oder »Deutsches Liederbuch«, doch auch nach den fünf verordneten Schweigejahren ließ man ihn nicht mehr zu Wort kommen. Sein Antrag auf die Herausgabe einer Zeitschrift wurde vom Preußischen Oberzensurkollegium mit der Formulierung »nicht würdig« abgelehnt. Die politische Haltung des Berliner Don Quichotte spielte indes auch im privaten Leben des Schriftstellers eine immer größere Rolle. Als die Wiener Schauspielerin Adele Peroni, die am Berliner Königstädtischen Theater engagiert war, im Jahre 1840 den »berüchtigten Volksaufwiegler« heiratete, kündigte die Intendanz ihren Vertrag. Am Ende gingen die Jungvermählten ins Exil nach Neustrelitz. Von dort aus allerdings versorgt Glaßbrenner die Berliner mit bissigen Kommentaren und scharfsinnigen Satiren. Er wird zu einer bedeutenden Figur des Vormärz, zum Wegbereiter der Märzrevolution. Seine Texte stehen denen Freiligraths in Schärfe und Provokation um nichts nach. Als sich die Ereignisse in der Hauptstadt zuspitzen, stellt er mehrere Anträge auf Wiedereinreise, doch die wird ihm verweigert. Erst als der Aufstand losbricht, setzt er sich über das Verbot hinweg und schreibt an seine Frau: »Meine Aufregung ist furchtbar. Die Barrikaden wachsen aus der Erde. Nicht nur die Männer, auch die Frauen greifen zu den Waffen – das Ereignis ist groß.« Glaßbrenner liebte die Berliner, einmal schrieb er: »Der Berliner ist stolz auf sein Berlin wie nur ein Spanier stolz auf seine Ehre sein kann. (...) Er kann in Enthusiasmus geraten, wenn er von dem Kreuzberg spricht.« Adolf Glaßbrenners Publikationen und Herausgaben sind unzählig. Es waren Bücher, Hefte, Zeitschriften, sie nannten sich – um nur einige zu nennen – »Verbotene Lieder«, »Die Freimüthigen«, »Guckkästner«, »Neuer Reineke Fuchs«, »Phosphor«, »Berliner Volksleben«, oder einfach die »Freien Blätter«. Darüberhinaus kämpft er in Einzelveröffentlichungen, Büchern und Gastbeiträgen in anderen Blättern für die gemeinsame Sache. Doch der Kampf wird nie zum Selbstzweck. Immer dachte Glaßbrenner beim Schreiben ans Volk. Nicht die politischen Ideologien kommen bei ihm zu Wort, sondern die kleinen Leute. Es sind klatschbasige alte Weiber, Fuhrleute, besoffene und politisierende Eckensteher, die hier reden. Manch einer wurde sogar berühmt, so wie der Dienstmann Ferdinand »Nante« Strumpf, der stets vor der Destillation Eulner an der Neuen Friedrichstraße stand. So blieb Glaßbrenner immer nah am Volk. Und anders als in politischen Agitationsschriften wie dem befreundeten »Krakehler«, der »Tante Voss mit dem Besen« oder dem »Kladderadatsch« mischen sich bei Glaßbrenner oft sanfte Töne in die kritisch-harten Worte: Es war einmal Bruder und Schwester der Reichtum und die Not Er schwelgte in tausend Genüssen sie hatte kaum trocken Brot Die Schwester diente beim Bruder viel hundert Jahre lang Ihn rührte es nicht, wenn sie weinte noch wenn sie ihr Leid besang Er fluchte und trat sie mit Füßen er schlug sie ins sanfte Gesicht Sie fiehl auf die Erde und flehte: »Hilfst du, 0 Gott, mir nicht?« Das ist das Ende vom Liede, vom Reichtum und der Not; An einem schönen Morgen schlug die Not ihren Bruder tot Werner von Westhafen |