April 2007 - Ausgabe 86
Straßen
Die Alte Jakob Straße von Werner von Westhafen |
So ganz genau weiß man es nicht, wer der alte Jakob war, der dieser alten Straße den Namen gab, deren Bebauung schon im 17. Jahrhundert begann und die bereits auf einer Karte aus dem Jahr 1716 unter dem Namen Jacobs Straße verzeichnet ist. Der Archivar und Historiker Carl Ernst Fidicin (vgl. Kreuzberger Chronik Nr. 2 vom April 1999) schreibt, der holprige Verkehrsweg sei zuvor die einzige Verbindung vom Rixdorfer Damm zu den beiden Landstraßen gewesen, die Berlin mit den Dörfern Tempelhof und Schöneberg verbanden. Heute ist die Alte Jakobstraße aus verkehrspolitischer Sicht eher unbedeutend, und an einer ihrer Seiten erstreckt sich beinahe wie einst eine Wiese mit Zaun und Pferden und Federvieh. Die Straße soll im Lauf der Jahrhunderte mehrmals Verlauf und Aussehen, aber auch ihre Namen geändert haben. Bis zum Jahr 1778 hieß sie Jacobs Straße, davor Cöpnicksche Vorstraße, und zwischen 1699 und 1723 wurde sie aufgrund ihrer Länge in drei Teile gegliedert und erhielt drei verschiedene Namen: »An der Counterscarpe«, »Gegen der Kirche« und »Am Kirchhofe«. Diese Kirche spielte in der Geschichte der Straße stets eine bedeutende Rolle, weshalb man in der Gemeinde auch mehrheitlich der Meinung ist, daß eine Figur aus dem Alten Testament der Straße ihren Namen gab. Die Gläubigen glauben, daß Jakob, der Sohn Isaaks und spätere Stammvater der zwölf israelitischen Stämme, Patron der Straße ist. Andere glauben, daß sie ihren Namen nach dem nahegelegenen Jakobshospital erhielt, und wieder andere sind der Meinung, daß die Straße den Bürger Jakob Stücker ehren sollte, von dem aber keinerlei Nachrichten in das 21. Jahrhundert überliefert wurden. Es wird vermutet, daß er einige Wiesen an der Straße besaß, womöglich auch einige wenige Quadratmeter Grün zum Bau der Straße zur Verfügung stellte. Woraufhin ihn ein ähnliches, weil damals übliches Schicksal ereilte wie den Bäckermeister Koch, der seine Kuhweiden für die Kochstraße opferte: Man bedankte sich beim Wiesenspender, indem man das Sträßlein mit seinem Namen schmückte. So wenig über den alten Namensgeber bekannt ist, so viel wird von der alten Straße erzählt. Der lehmige Weg, der schon im 17. Jahrhundert außerhalb der Stadtmauern durch Äcker und Wiesen zu den Dörfern vor Berlin führte, erhielt durch Kurfürst Friedrich Wilhelm, der zum Schutz vor Eroberern Gräben ziehen und Wälle errichten ließ, einen ersten Knick zwischen der heutigen Annen- und der Sebastianstraße im Bezirk Mitte. Häuser befanden sich noch wenige am Straßenrand, die meisten von ihnen an ihrem nördlichen Ende, der südliche Teil der Straße war eher von Tieren bevölkert. Selbst der Kurfürst kam auf keine bessere Idee, als inmitten der Wiesen einen kurfürstlichen Hammelstall, wenn auch mit praktischer und zukunftsweisender Verkehrsanbindung, anzulegen. Später vermachte er den Stall der kurfürstlichen Amme als »Freihaus«. Die Gegend war indes noch immer einsam, die Nachbarn der Amme waren die Leute vom Grünen Baum, einer Schankwirtschaft, sowie die stillen Pfarrleute aus der damaligen Sebastianskirche und späteren Luisenstädtischen Kirche. Menschen waren in der Gegend nur bei Tages Foto: Postkarte
Lebhaft wurde es in der Gegend vor der Stadt erst, als sich Handwerker an der Straße ansiedelten. An der Jacobs Straße waren dies vor allem die Gerber. In der Nähe des Festungsgrabens entstand die Lederfabrik des Herrn Lutze. Aber auch Weber und Färber ließen sich in der neuen Straße nieder, die Firma Henniger & Co handelte erfolgreich mit Neusilber aus eigener Produktion, und in einer der ersten Nebenstraßen der Alten Jakobstraße brannte der Ofenbauer Tobias Christoph Feilner jene kunstvollen Keramikkacheln, die später viele Schinkelsche Bauten zierten. Heute trägt dieser kleine Zweig der Alten Jakobstraße seinen Namen. So kam allmählich Leben in die Straße, tagsüber und vor allem an den Wochenenden lockten immer mehr Gaststätten die Menschen ins Grüne, und der vom königlichen Gartenmeister gestaltete Kurgarten wurde ein beliebtes Ausflugsziel. Aber auch abends wurde die Straße immer attraktiver. Im turbulenten 18. Jahrhundert warfen die ersten Gaslaternen ihr Licht in die südliche Vorstadt, die ersten Tanzlokale eröffneten. Das Hundeleben war bekannt für seine »Keilerei mit Tanzvergnügen«, und das Orpheum für seinen großen gläsernen Saal, aus dem später das Central-Theater wurde, in dem der noch unbekannte und bettelarme Paul Lincke endlich eine Anstellung als Fagottist fand (vgl. Kreuzberger Chronik Nr. 39 vom Juli 2002). Aber nicht nur Handwerker und erste Ausflügler, auch das Militär nutzte den alten Feldweg. Bereits 1837 wurde eine Verbindung zur sogenannten Husarenstraße hergestellt. Fortan galoppierten Pferde zur Kaserne der Garde Kürassiere vor dem Halleschen Tor oder zum königlichen Reitstall in der Ritterstraße über die Jacobs Straße. Und als die Soldaten endlich ihr Quartier in den neuen Kasernen am Tempelhofer Feld aufschlugen, entstand auf den verlassenen Grundstücken an der unscheinbaren Jacobs Straße ein erstes stattliches Gebäude. Es war gleich eines der größten der Stadt: Das kaiserliche Patentamt (vgl. Kreuzberger Chronik Nr. 30). Aber auch da, wo die Alte Jakobstraße auf die Oranienstraße stößt, entstand ein überaus wichtiges Gebäude. Es ist bis heute eines der bedeutendsten Gebäude nicht nur für die Berliner: 1859 siedelte sich hier mit einem über hundert Meter hohen Schornstein die Preußische Staatsdruckerei an. Heute steht hier – auf einem Gelände von 41.000 Quadratmetern – die Bundesdruckerei. Doch so gewichtig und groß die bundesdeutsche Gelddruckanlage auch sein mag: Berlin ist arm, und Kreuzberg mit seiner Alten Jakobstraße ist am ärmsten. Werner von Westhafen |