Kreuzberger Chronik
September 2006 - Ausgabe 80

Strassen, Häuser, Höfe

Schleiermacherstraße


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von Werner von Westhafen

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Arbeitsam und ehrgeizig waren sie wohl beide, die theologischen Streithähne Marheineke und Schleiermacher. Auch waren beide Frühaufsteher, obwohl Schleiermacher beim Aufstehen womöglich die Nase vor Marheineke hatte. Zumindest schrieb einer von Schleiermachers Biographen, daß der Professor »sommers wie winters« bereits um fünf Uhr aufstand und um sieben die erste Vorlesung vor Studenten hielt. Im Sommer allerdings hatte er es sich zur Gewohnheit gemacht, ein Stunde zuvor noch ein kleines »psychologisches Kolleg über Dialektik oder Psychologie« abzuhalten. Daß der Rastlose nicht tatenlos in einer Kutsche sitzen konnte, um morgens zur Universität zu fahren, sondern daß er zu Fuß durch den Tiergarten zum Arbeitsplatz trabte, versteht sich von selbst. Aber daß er zudem ein Freund ausgedehnter Tischgespräche und langer Abende bei Wein und Gesang war, das wunderte die Zeitgenossen dann schon etwas.

Blättert man in Friedrich Daniel Ernst Schleiermachers Leben, entsteht schnell der Eindruck einer schillernden Persönlichkeit, aus deren Schatten auch der intelligente Kollege Marheineke nur in Seitensprüngen treten konnte. 30.000 Berliner sollen dem Sarg Schleiermachers durch die Bergmannstraße gefolgt sein, der als Hansdampf in allen Gassen nicht nur die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit, sondern auch die seiner Arbeitgeber auf sich zog. Zu sehr mischte sich dieser Mann in weltliche Angelegenheiten: Kaum waren die Schlachten von Auerstedt und Jena verloren, rief er dem Volk von der Kanzel der Dreifaltigkeitskirche zu, es solle weiter Widerstand leisten gegen die napoleonische Fremdherrschaft. Er nahm Kontakt zu den Aufständischen auf, warb auf Rügen für die neue vaterländische Bewegung und schloß sich in Berlin den »Patrioten« an, einer Verbindung revoltierender Intellektueller. 1808 reiste er für vier Wochen nach Königsberg, um mit Kriegern wie Gneisenau und Scharnhorst die verschiedenen Strategien gegen Napoleon zu beraten, und sogar die Königin Luise empfing ihn in dieser Angelegenheit.

Wie ein Pater Brown des 18. Jahrhunderts mischte sich Schleiermacher immer wieder in Dinge ein, die einem demütigen Christen nicht zustanden. Er bekannte sich offen zum Prinzip der »Dialektik« und lehnte als Mitglied der preußischen Akademie der Wissenschaften eine Einmischung der Kirche in die Bildungspolitik vehement ab. Er erörterte die Schriften und Thesen von Leibniz, Kant und Hegel, er übersetzte Platon oder gebärdete sich als Literaturkritiker und rezensierte Schillers Übersetzung des »Macbeth« und die Aphorismen Lichtenbergs.

Doch auch Schleiermachers Privatleben erregte das Mißtrauen der Kirchenbehörden, insbesondere seine enge Verbindung zu der jüdischen Salondame Henriette Herz. Das angeblich platonische »Liebesbündnis des christlichen Theologen mit der schönen Jüdin war ein Affront gegen die gesellschaftliche Konvention« und lieferte den Klatschspalten der Berliner Presse reichlich Stoff. Die Wohnung teilte er ausgerechnet mit dem Philosophen und Schriftsteller Friedrich Schlegel, dessen 1799 veröffentlichter Roman »Lucinde« für Aufruhr im gebildeten Berlin sorgte, da der Autor in verwegener Ausführlichkeit über sein Liebesleben und die »Lehrjahre der Männlichkeit« berichtete. Schlegel und Schleiermacher jedoch schienen unzertrennlich. Beide waren glühende Verfechter des »Symphilosophierens«, womit das kollektive Verfassen von Texten gemeint war, bei dem die Autorschaft nur noch zweitrangig war. Anonym erschienen dann auch Schleiermachers Beiträge zum »Athenäum« und die berühmten »Reden über die Religion«.

Kein Wunder also, daß die Kirche das weltliche Wirken des Mannes aus den eigenen Reihen mit Argusaugen verfolgte. Es dauerte nicht lange, da geriet der liberale Pfarrer auch ins Visier der Polizei, die den vermeintlichen Revolutionär während der Predigten bespitzeln ließ und anschließend zu Verhören lud. 1815 drängte man Schleiermacher, den Mitbegründer und amtierenden Rektor der Berliner Universität, zunächst einmal aus dem Unterrichtsministerium, 1816 bezichtigte man ihn, gemeinsam mit dem glühenden Patrioten, Turner und Dichter der Freiheitsgesänge Ernst Moritz Arndt, der »demagogischen Umtriebe«, und 1823 schrieben seine Widersacher einen Antrag an den König, in dem sie forderten, den Theologen endlich »aus allen Ämtern zu entlassen.«

Vielleicht war es allein der starken Fan-Gemeinde des Pfarrers zu verdanken, die geschlossen hinter ihrem großen Redner stand, daß der Brief nie abgeschickt wurde und Schleiermacher in einigen Ämtern verblieb. Vielleicht aber hatten seine Feinde nur erkannt, wie wichtig dieser Mann war, der die Religion stets verteidigt hatte und dies auch im Titel seiner vielleicht berühmtesten Schrift deutlich machte: »Über die Religion  Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern«.

Foto: Dieter Peters
Womöglich stimmte auch sein Wirken als Seelsorger, der nicht nur zu predigen verstand, sondern sich auch aktiv um das Wohl seiner Schäfchen bemühte und sie im Armenhaus und am Krankenlager besuchte, die Kirchenchefs milde. Auch war er, bei aller ausgelebten Hyperaktivität, stets ein Mann des Geistes und des besonnenen Wortes. »Daß ich rede, ist die innere unwiderstehliche Nothwendigkeit meiner Natur, es ist ein göttlicher Beruf, es ist das, was meine Stelle im Universum bestimmt und mich zu dem Wesen macht, welches ich bin«, hat er einmal gesagt.

Sein Publikum bestätigte das. Schleiermacher war ein großer Redner. Er ließ »durch den dialektisch kunstvollen Aufbau seiner Predigten (...) die Hörer am Zustandekommen seiner Gedanken teilnehmen«. Lediglich ein paar Zettel und Stichpunkte habe er bei sich gehabt. Denn »ein Professor, der abliest und abschreiben läßt«, hatte er einmal gesagt, »mahnt uns sehr ungelegen an jene Zeit, als es noch keine Druckerei gab.« Den durchschlagenden Erfolg, den er als Redner hatte, kommentierte er dennoch lieber bescheiden: »In meine Kirche kommen hauptsächlich Studenten, Frauen und Offiziere. Die Studenten wollen meine Predigt hören, die Frauen wollen die Studenten sehen, und die Offiziere kommen der Frauen wegen.«

Beliebt und betrauert, doch nach einem wirkungsvollen und ereignisreichen Leben, starb Schleiermacher 63jährig etwas zu früh an einer Lungenentzündung. Die vielen Menschen, die ihm das letzte Geleit zum Dreifaltigkeitsfriedhof gaben, sollen aus »allen sozialen Schichten und Generationen« gekommen sein.


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