Oktober 2006 - Ausgabe 81
Kreuzberger
Gerhard Tenzer Mein Vater sagte schon immer: Junge, verzettel dich nicht!
von Hans W. Korfmann
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Gerhard Tenzer wohnte nicht immer in der Nähe des Yorckschlösschens. Aber wenn er einmal nicht in Kreuzberg wohnte, dann achtete er stets darauf, am 119er Quartier zu beziehen. Denn der 119er fuhr die halbe Nacht nach Kreuzberg und irgendwann im Morgengrauen auch wieder zurück. Aber vor 20 Jahren etwa bezog er seinen festen Wohnsitz in der Yorckstraße, im legendären Bermudadreieck zwischen Nulpe, Delirium und Yorckschlösschen. Selbst trinkfeste Seemänner sollen in diesem sagenumwobenen Dreieck verlorengegangen sein. Auch Tenzer tauchte hier gern unter, ungefähr ebensooft, wie er hier auftauchte. Die Kreuzberger Kneipen hatten es ihm angetan, obwohl er hier für 30 oder 40 Mark die Sticks wirbeln lassen mußte, während er in Hamburg schon 150 bekam. Hamburg war ihm »zu quadratisch«. Als im Leierkasten zum ersten Mal das Tablett über seinen Kopf hinwegsegelte, als morgens die Leute an der Bar wie die Dominosteine umfielen und dann Jürgen, der Zapfer, sagte, er hätte schon als Zwölfjähriger im Goldenen Kegel hinterm Hamburger Hauptbahnhof die Kegel aufgestellt, da ließ der nur für ein Konzert angereiste Schlagzeuger von der Alster das Ticket für die Rückfahrt kurzerhand verfallen. »Der Jürgen Grage«, lacht Tenzer, »weiß eben, wie man sich durchschlägt. Ich war immer nur mittwochs auf der Kegelbahn, da gabs längst nicht so viel Geld wie am Wochenende. Sonst wären Grage und ich uns schon in Hamburg über den Weg gelaufen!« Aber auch Tenzer hat sich gut durchgeschlagen, seit er im Wohnzimmer mit seiner Schwester Blockflöte für die Geschäftsfreunde seines Vaters spielte und für Happys Happy Hokum Band im Keller der Christlichen Vereinigung junger Männer das erste mal die Schlagzeugstöcke in die Hand nahm. 1965 spielte er bereits für richtiges Geld mit den Hot Oawls in der Jailhousetaverne, die früher mal Café Haschmich hieß und eine Schwulenkneipe war und heute der Cotton Club ist. Andere lokale Highlights mit Tenzer am Schlagzeug nannten sich Ballroom oder Ratcatchers Dance Orchestra. Tenzer fand immer einen Job, nicht zuletzt wegen dieses Hutes, den er schon damals trug. Noch heute reden ihn die, die sich nicht auskennen in Kreuzberg, mit »Hallo Udo« an, worauf er dann gern antwortet: »Nee, ich trag den länger als der Lindenberg.« Das wahre Leben also begann ungefähr 1968, als Tenzer nach Kreuzberg kam. Er spielte mit der Johnnys Screw Jazz Band und lernte im Bermudadreieck Jon Marks kennen, der immer wieder Jobs auf den Kreuzfahrtschiffen auftat. Da legte Tenzer den Schlapphut ab, kämmte sich die leichtgegeelten Haare, legte Smoking und Krawatte an und spielte Dixie und Tanzmusik. Abends standen sie auf der schwankenden Bühne, tagsüber lagen sie am Swimmingpool und spielten Shuffleboard. Zwei, drei Monate Shuffleboard, denn »nicht mal Mädchen gab es da, und die wenigen, die in Frage kamen, wurden von ihren Vätern behütet.« Und die Prominenten, die den italienischen Luxusliner mit ihren Hubschraubern anflogen und mit denen es hätte unterhaltsam werden können, waren auch bei Sonne meistens unter Deck in ihren Suiten oder spielten Bingo. »Manchmal war es richtig langweilig«, nicht einmal stürmisch wurde es auf See. Nur in der Straße von Gibraltar riß sich der Flügel aus der Lilian Boutté & her musicfriends Foto: Privat
Sie fuhren zwar um die halbe Welt, aber sie sahen nichts von ihr. »Jeden Abend sagten wir uns: Morgen stehen wir mal früh auf und sehen uns die Insel an! Aber dann kam doch wieder keiner hoch. Wir mußten einfach zu viel arbeiten«. Nur einmal, während einer Tournee mit Lillian Boutté in den Achtzigern, blieben sie länger auf einer Insel hängen, weil der Veranstalter mit der Kasse durchgebrannt war und Tenzer & Co. kein Retourticket hatten. Jetzt mußten sie sehen, wie sie wieder runterkamen von diesen verdammten Färöern irgendwo zwischen Grönland und Island. »Ich mein, die Luft war wirklich gut, ich vergesse das nie, diese frische Luft und dieses milde Klima &« Aber die ganze Insel war trocken. Es gab nirgends was zu trinken. Lillian Boutté & her music friends schliefen in der Seemannsmission, »da gabs nur geschmacklosen Milchkaffee und Weißbrot. Dabei war das Asyl voller Alkoholiker.« Doch keiner kam dahinter, wo die ihren Sprit herhatten, und deshalb mußten sich Tenzer & Co mit dem Bier begnügen, das für ausgewiesene Ausländer an ausgewählten Orten ausgeschenkt wurde und »wie ausm Nichtschwimmerbecken« schmeckte. Beinahe drei Wochen brauchten sie, bis sie sich mit kleinen Auftritten das Geld für den Rückflug verdient hatten und im Flugzeug die erste Flasche Jim Beam bestellen konnten. Tenzer hat die Färöer nie wieder besucht, »obwohl ja die Luft wirklich gut war. Das war da ja alles nur Baum und Strauch damals. Und dieses milde Klima...« Zuviel Seeluft war nichts für den Hamburger. Der fühlte sich im Kreuzberger Bermudadreieck wohl. Wo man jeden Abend neue Leute traf, wo sich ständig neue Formationen gründeten. So wie irgendwann auch die White Eagle Band, mit der Tenzer durch halb Europa flog. Mit den Adlern schaffte er es sogar über den Atlantik und spielte auf dem berühmten New-Orleans-Festival. »Wir waren die einzige deutsche Band da, und nachts, bei den Gigs im French Quarter, waren wir die einzigen Weißen überhaupt auf der Bühne.« Mit der White Eagle Band kam er eines Tages auch wieder nach Hamburg. Aber Hamburg hatte sich verändert, an der Alster gab es nur noch Einbahnstraßen. Tenzer fand den Weg nicht mehr, und sie waren wieder mal ziemlich spät. Die musikalische Belegschaft im Auto begann zu maulen, »typisch Tenzer«. Dabei konnte er wirklich nichts dafür. Das war schon ein hartnäckiges Vorurteil, daß dieser Tenzer einen gewissen Hang zur Verspätung hätte! Bereits in der Schule, kaum war er zwei Minuten zu spät und drückte die Türklinke herunter, rief der Lehrer schon: »Ah, Tenzer kommt!« Es »genügte eine rote Ampel, dann war ich zu spät. Ich bin immer im letzten Moment gestartet. Dafür bin ich dann aber gleich voll da. Während die Bläser sich vielleicht noch stundenlang einspielen müssen.« Dennoch: Pünktlichkeit ist seine Stärke nicht. »Kann schon sein«, sagt er, wenn Wolfgang Rügner ihn daran erinnert, wie sie zu einem Gig am Kudamm fuhren und wirklich einmal eine komplette Stunde vor dem Auftritt eintrafen. Rügner wollte seinem Schlagzeuger gerade zu der außerordentlichen Leistung gratulieren, da sagte Tenzer: »Ich hab meine Sticks vergessen.« Also fuhren sie zurück nach Kreuzberg, Tenzer stürmte in die Wohnung hoch, aber nicht wieder herunter. Als er dann endlich kam, fragte Rügner: »Wo warst Du denn so lange?« »Ich mußte mir noch zwei Spiegeleier machen!« Solche Geschichten können sie einige erzählen, Tenzers Freunde. Sie sagen, er tanze immer auf tausend Hochzeiten gleichzeitig. Manchmal erhebt er Einspruch und sagt, das sei nicht sein leerer Koffer gewesen, auf den sie am Airport in Amerika zwei Tage hätten warten müssen, sondern der leere Posaunenkoffer von Claudius Littbarski, dessen Neffe nicht Posaune, aber ziemlich erfolgreich Fußball spielte. Mit dem Claudius aber hatte es immer Ärger gegeben. Schließlich leben Musiker ja alle ein bißchen außerhalb von Raum und Zeit. Echte Musiker jedenfalls. Aber wenn die andern darauf insistieren, daß es Tenzers Koffer war und nicht Littbarskis, dann gibt er eben nach und sagt: »Kann schon sein.« Auch zu der Geschichte über seine Geliebte hebt er die Schultern. »Kann schon sein, daß ich ihren Geburtstag vergessen habe.« Auch zweimal hintereinander. Im gleichen Lokal. Er hat ihr »dann schnell noch was auf nen Bierdeckel gemalt«, aber sie ist gleich beleidigt abgezogen. »Und Fummelwerner schnurstracks hinterher, um sie zu trösten.« Kann schon sein. Man kann schon mal durcheinanderkommen, bei so vielen Menschen, so vielen Frauen, so viel Arbeit. Das ist verständlich. Obwohl er vielleicht wirklich eine gewisse Veranlagung zu Verspätungen mitbringt. Schließlich hatte ja schon sein Vater immer gesagt: »Verzettel dich nicht, mein Junge«. Damit er sich nicht verzettelt, hängt Tenzers Wohnung voller Zettel. Voller Arbeitsnotizen, Ideen, Skizzen, die er noch weiterverfolgen möchte. Nach zwei Tagen allerdings sind die Notizen nur noch Hieroglyphen. Es sind einfach zu viele Ideen. Gerhard Tenzer ist ja nicht nur Musiker. Er ist auch Texter und Zeichner. Er hat in Berlin nicht nur die Rückfahrt verpaßt oder verfallen lassen, wie er erzählt , sondern er hat sich ja schließlich auch gleich auf den Weg zur Hochschule für Bildende Künste gemacht und mit dem Graphikstudium begonnen. Er hat das Poster zur 750-Jahrfeier der Hauptstadt entworfen und dann hat ihm der Bundespräsident die Hand gereicht. Die »Barbara« aus der BZ berichtete über ihn, und einige Titelbilder für die zitty hat er auch gezeichnet. Seine meterhohen Bilder von Jazzmusikern und Rocklegenden hingen im unvergeßlichen Leierkasten, noch heute hängt eines im Yorckschlösschen, ein anderes im Robbengatter. Immer wieder hat er nicht nur Musik gespielt, sondern Musiker porträtiert. In seiner Stammkneipe, gegenüber von seinem Atelier und seiner Wohnung, hat er Thomas, den Wirt vom Rat Pack, ganz groß auf einer Spanwand verewigt und als Frontman neben Sammy Davis Junior, Dean Martin und Frank Sinatra gestellt: und damit aus dem legendären Rat Pack Trio ein Quartett gemacht. Witzig und genial hängt es da unscheinbar in einer der interessantesten Kneipen Kreuzbergs. Am Schlagzeug sitzt Tenzer jetzt nur noch selten. Manchmal nimmt er sich das Mikrophon und zieht den Schlapphut ins Gesicht. Auch zum Sänger hätte er Talent gehabt. Aber am liebsten malt er. Und korrespondiert auf seine Art mit den ganz Großen, mit Armstrong, Lennon, Hendrix. Und eigentlich macht er jetzt genau das, was er schon damals hatte machen wollen, als er vor 37 Jahren auf der HfBK zu studieren begann: Zeichnen. Es ist eben nur ein bißchen später geworden. Wie immer. Aber verzettelt hat er sich nicht. |