Mai 2006 - Ausgabe 77
Strassen, Häuser, Höfe
Die Boeckhstraße von Werner von Westhafen |
Der Verwaltungsbeamte August Boeckh war keine schillernde Persönlichkeit. Er ist den meisten Berlinern ebensowenig bekannt wie die Friedrich-Wilhelms-Universität, mit der Boeckh ein Leben lang verbunden war. Schon im Sommer 1811, in der Gründungsphase, dozierte der gelernte Philologe Boeckh an der Berliner Universität und hielt der Bildungsstätte dann ganze 56 Jahre lang die Treue. Bereits 1814 wurde er in den Elitekreis der Akademie der Wissenschaften berufen und blieb auch hier über fünfzig Jahre lang treues Mitglied. Er wurde sechsmal zum Dekan der philosophischen Fakultät und fünfmal zum Rektor berufen. Auch als Altphilologe machte sich Boeckh international einen Namen und wurde in die Akademien und wissenschaftlichen Gesellschaften Neapels, Kopenhagens, Turins, Lissabons, Bostons, Wiens, Petersburgs, Stockholms, Uppsalas, Utrechts, Dublins, Den Haags, Athens usw. aufgenommen. Boeckhs berufliche Biographie ist schnörkellos und geradlinig verlaufen, für Überraschungen scheint der Professor ungut gewesen zu sein. Als Sohn eines Pfarrers besucht er trotz des frühen Todes seines Vaters und erheblicher finanzieller Schwierigkeiten das Gymnasium. Er beginnt, unterstützt durch ein Stipendium der badischen Kirchenbehörde, mit dem Studium der Philologie und der Platonischen Philosophie, die zu jener Zeit die deutschen Schöngeister in Literatur und Wissenschaft beflügelte. Seine erste Veröffentlichung, angeregt durch die Vorlesungen Schleiermachers, beschäftigt sich mit dem pseudoplatonischen Dialog »Minos«, und auch in den folgenden Jahren recherchiert und publiziert August Boeckh mehrere Arbeiten zur Naturphilosophie und zur Kosmologie Platons. Doch während andere Dichter und Philosophen sich ein Leben lang mit dem alten Griechen beschäftigen konnten, stößt Boeckh bei seinen Studien auf pragmatischere Themen, die ihm eher liegen, und veröffentlicht 1817 sein wichtigstes Werk über die »Staatshaushaltung der Athener«, das 1828 unter dem Titel »The Public Economy of Athens« sogar in London erscheint. Mit der Publikation seiner komplizierten Berechnungen der Getreidepreise, der Münz- und Edelmetallvorräte und den daraus abgeleiteten Thesen über den Handel, die Bevölkerung und die Finanzkraft im vorchristlichen Athen fließen erstmals wirtschaftshistorische Fragestellungen in die Altertumswissenschaft ein und schaffen die Grundlage für alle späteren Forschungen über das Finanzwesen Athens und Attikas. Wesentlich bedeutungsvoller als die Forschungen des Philologen Boeckh waren jedoch seine verwalterischen Leistungen. In seiner Eigenschaft als Dekan und Mitglied der Akademie der Wissenschaften nahm der Gelehrte wesentlichen Einfluß auf die Entwicklung der Berliner Bildungsinstitutionen, und »die Fähigkeit Boeckhs, auch schwierige Verwaltungsaufgaben zu bewältigen, fand unter den Berliner Professoren allgemeine Anerkennung.« Obwohl es Boeckh offensichtlich gut verstand, sich unbeliebt zu machen. Der im Grunde brave Beamte geriet am Ende sogar mit dem König und den Ministern aneinander. Vielleicht lag es an seiner zutiefst unzufriedenen Natur, an diesem stets klagenden Unterton, der sich durch alle Briefe zieht, und der sich auch schon bei seinem ersten Auftritt als außerordentlicher Professor in Heidelberg zeigt. Während Boeckh sich mit dem Direktor Friedrich Creuzer gut zu verstehen scheint, gerät er mit anderen Kollegen schnell in Streit und beschwert sich: »Voss ist hier der wahre Hausteufel der Universität, der nichts tut als Samen der Zwietracht streuen. Der Sohn hat einen milderen Charakter, aber die alberne Anbetung des Vaters macht, daß er es nie zu einer eigenen Idee bringen wird. Ich gehe meinen Weg und bin von Natur aus Protestant gegen alle menschliche Autorität. Darum kann ich diesem Affen (&) nimmermehr gefallen.« Und etwas später: »Diese verdammten Händel, die doch überall nur in Selbstsucht gegründet sind, verbittern alle wissenschaftliche Tätigkeit.« Auch die Kollegen Schelling und Hegel sind Boeckh ein Leben lang ein Dorn im Auge, er fordert, daß »dem Streuen des Weihrauches für Hegel (&) Einhalt geboten werde.« Die einzigen, mit denen sich Boeckh zu vertragen scheint, sind die Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt, die dem Dekan mit Achtung begegnen. Unter seinen nahstehenden Kollegen jedoch findet der Verwalter keine Freunde. Auch die Arbeit macht ihm im Grunde keinen Spaß, ständig beklagt er sich über Zeitmangel, und daß er der vielen Verwaltungsarbeit wegen nicht mehr zum Forschen komme. Er schreibt: »Wenn Sie mein elendes Leben in der Nähe sehen könnten, (&) so würden Sie mir zugeben, daß ich nichts nötiger habe, als mich auf die Arbeiten zu konzentrieren.« Die »ewige Wiederholung der Pflichtstücke« treibt Boeckh »zur Verzweiflung«, »am langweiligsten sind die Geschäfte der Akademie der Wissenschaften. Diese Institute sind und blieben in Deutschland tot, und alle Anstrengungen, ihnen Leben einzuhauchen, vergeblich« - »die Akademie der Wissenschaften ist eine Leiche.« Als 1840 mit Eichhorn ein streng konservativer Kultusminister sich in seine Geschäfte einmischt, hat der Dekan »Lust, alles hinzuwerfen.« Mehrmals wird er gezwungen, liberale Passagen aus seinen Lesungen und Reden öffentlich zu widerrufen, womit er wiederum den Argwohn der freiheitlich denkenden Studenten auf sich zog. Boeckh gerät zwischen die Fronten und schreibt: »Überdies darf man nichts mehr sagen, ja es wird einem noch obendrein gesagt, was man sagen soll!« Nach dem Tod seiner Frau im Sommer droht der ewig Unzufriedene völlig zu vereinsamen. Ihm ist »allmählich vieles hier zuwider. Von der Griechischen Gesellschaft, die mir den hauptsächlichsten Verkehr gewährt, bin ich ausgeschieden, weil sie mir nicht mehr behagte; und meine Specialkollegen, Becker und Lachmann, sind nicht nach meinem Sinn. Auch Schleiermacher ist mir zu sehr mit denen verbunden, die ich nicht leiden mag, als daß ich noch mit ihm stimmen könnte. Da ich eines gemütlichen häuslichen Verhältnisses beraubt bin, müßte ich Freunde haben, die eine wohlwollende Gemütlichkeit zeigten; diese sind in dieser Gesellschaft nicht zu finden.« Dennoch bleibt August Boeckh dieser Gesellschaft bis zu seinem Tod 1867 treu. Die Stadt Berlin würdigt sein jahrelanges Durchhalten auf dem Posten anläßlich seines fünfzigjährigen Doktorjubiläums mit der Ehrenbürgerwürde, und zehn Jahre später erhält Boeckh sogar die höchste Auszeichnung, die einem deutschen Akademiker verliehen werden konnte: Er wurde zum Kanzler der Friedensklasse des Ordens pour le mérite. Wenige Tage später stirbt der Glücklose. Werner von Westhafen |