Kreuzberger Chronik
Mai 2006 - Ausgabe 77

Herr D.

Herr D. auf der Party


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von Hans W. Korfmann

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Eigentlich war die Zeit der vielen Partys für Herrn D. vorbei. Aber ab und zu, wenn ihn das Fernsehen mal wieder gehörig nervte, ging er dann doch. Auf einer dieser Partys, zu denen er, gar nicht mehr erwartet, dann doch erschien, traf er kürzlich eine seiner alten Nachbarinnen wieder. Er erinnerte sich noch gut an Anna Rauschenbach, sie war ihm immer sympathisch gewesen, nur viel zu jung für so einen alten Hasen wie Herrn D. Deshalb fügte er sich ohne viel Bedauern in die Rolle des »netten alten Herren«, wie sie einmal, die Tür schon in der Hand, im Gehen gescherzt hatte.

Besonders ihre Fröhlichkeit gefiel ihm. Dieser unerschütterliche Optimismus, der sich auch darin zeigte, daß sie zwei Jahre lang beinahe an jedem Wochenende zu ihm herauf kam, um ihre Bewerbungen auszudrucken. Denn ihr Drucker funktionierte so gut wie nie, und genügend Geld für irgendwelche Neuanschaffungen hatte sie auch so gut wie nie. Also kam sie eben jeden Samstag zu Herrn D. und druckte fünf bis fünfzehn verschiedene Bewerbungen. Sie machte das durchaus professionell, und Herr D. verstand eigentlich gar nicht, weshalb diese hübsche Frau nie einen Job bekam. Dennoch traf er seine Nachbarin nie bei schlechter Laune an, sie hatte immer ein Lächeln auf den Lippen. Kein Stewardessen-Showmasterinnen-Verkäuferinnenlächeln. Sondern ein ganz natürliches Lächeln. Das imponierte Herrn D. Doch jetzt saß Anna Rauschenbach unbeteiligt auf einem Stuhl am Tisch in der Küche, wo sich die Gäste Brote schmierten und Biere holten. Herr D. erschrak, lief gleich zu ihr hinüber und nahm väterlich ihre Hand: »Frau Nachbarin, was ist passiert?«

Sie lächelte herzerweichend, und Herr D. fragte sich, ob er nicht vielleicht doch etwas zu früh in die Liga der »netten alten Herren« gewechselt war. »Haben Sie immer noch keinen Job?«, fragte er. »Doch doch«, nickte Anna Rauschenbach, »einen Job schon. Aber den beschissensten der Welt!« »Ist er wenigstens gut bezahlt?«, fragte Herr D. und fürchtete schon, sie würde gleich von einem Euro sprechen. Aber Anna Rauschenbach schüttelte nicht den Kopf. »Doch, gut bezahlt ist er schon. Ich arbeite bei der Job-Vermittlung. Beim Arbeitsamt sozusagen. Schon seit zwei Jahren.«

»Und wie viele Jobs hast Du schon vermittelt?« Das war die richtige Frage. Jetzt fing sie an zu erzählen, daß sie seit vier Monaten nicht einen einzigen Job vermittelt hatte, daß die Jobs entweder so schlecht bezahlt waren, daß sie keiner wollte, oder daß sie längst schon vergeben waren und nur deshalb bei ihr auf dem Schreibtisch landeten, weil sie offiziell ausgeschrieben werden mußten. »Von all den gut bezahlten, interessanten Jobs habe ich in diesen ganzen zwei Jahren nicht einen einzigen vermittelt. Diese Stellen gab es nämlich schon längst nicht mehr. Aber ich muß mich trotzdem dransetzen und diesen ganzen Blödsinn bearbeiten. Ich muß den Leuten gegenübersitzen und ihnen einen Job anbieten, der schon längst vergeben ist. Wissen Sie, wie man sich da fühlt? Und Sie wissen doch auch noch, Herr D., wie oft ich bei Ihnen war und Bewerbungen geschrieben habe! Und dann bekommen Sie eines Tages mit, daß das alles umsonst war, daß das nie einer gelesen hat! Daß Sie regelrecht betrogen wurden, und daß alles eine Farce ist.«

Sie lächelte noch ein bißchen, seine Nachbarin, aber dieser strahlende Optimismus, der hatte sich aus ihrem Gesicht gestohlen.


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