Mai 2006 - Ausgabe 77
Die Geschäfte
Damanhur am Kreuzberg von Michael Unfried |
Die Katzbachstraße ist unbestritten exotischer als die Bergmannstraße oder die Oranienstraße. Zuerst Saïdi mit all den verführerischen Utensilien, die eine Frau zum Bauchtanz braucht; dann das Café mit den dampfenden Wasserpfeifen; das asiatische Kochstudio, in dem die Berliner lernen, mit Wok, Zitronengras und Chili umzugehen; neben all dem der Alptraum an der Ecke zur Monumentenstraße, eine der letzten echten Berliner Kneipen. Und dann dieser Laden gegenüber vom Park, in dem es eine Zeitlang Schwarze Witwen und Vogelspinnen gab, gigantische Heuschrecken und anderes Lebendfutter für die Freunde unbeweglich auf der Lauer liegender wirbelloser Raubtiere. Jetzt geht es friedlicher zu in den Räumen, allerdings nicht weniger exotisch. Im Schaufenster des Infozentrums Damanhur in Berlin liegen »magische Objekte« aus Kupfer, sogenannte Selfe. Es gibt sie in Form von schmuckähnlichen Armbändern, Halsreifen, oder auch als Tischobjekte. Sie helfen gegen Menstruationsbeschwerden oder radioaktive Strahlung, sie schützen, »mindestens 6 Stunden täglich« an der rechten Hand getragen, die menschliche Aura vor der Vergiftung durch elektromagnetische Strahlung. Sie können aber auch, je nach Form und Windung, das Leben der Topfpflanzen versüßen oder das menschliche Immunsystem stärken. Sie heißen »Car journey self« und schützen den Fahrer auf der Autobahn vor Müdigkeit und Konzentrationsmangel, sie heißen »Memory self« und überlisten das überforderte Gedächtnis, oder sie heißen »multifunction self« und helfen gegen alles. «Selfica«, so heißt es in einer Informationsbroschüre, »wurde sehr umfassend in Atlantis benutzt. Aber auch in Ägypten, bei den Arabern und den Kelten lassen sich Spuren dieser Disziplin bis zum 8. Jahrhundert vor Christus nachweisen. Durch den spirituellen Meister Oberto Airaudi ist dieses Wissen in Damanhur verfügbar. Basierend auf der Spiralform, unter Verwendung von Metallen, Farben, Spezialtinten und Mineralien werden Strukturen gefertigt, die in der Lage sind, intelligente Energien zu beherbergen. (...) Das Self leitet günstige Bedingungen in das physische Leben des Individuums, indem es sich mit der Aura über die Mikrolinien (die Energielinien des menschlichen Körpers) verbindet.« Was all diese »Selfe« miteinander gemein haben, sind ihre spiralförmigen Kupferdrähte und Röhren. Die größeren von ihnen sehen aus wie Miniaturlaboratorien und erinnern an Dr. Jekyll und Mr. Hyde, Frankenstein oder die Zeitmaschine. Der sogenannte »Spheroself« ist eine komplizierte Maschine zum Aufladen von sogenannten »Pentakel« (einer Art Glücksmünzen mit magischen Funktionen), und kommt den technischen Raffinessen aus der Science Fiction nicht nur äußerlich nah. Innerhalb von nur 20 Minuten nämlich kann man in der geheimnisumwobenen Apparatur im Hinterzimmer zum Beispiel das »Pentakel« für die partnerschaftliche Beziehung exakt »auf die persönliche Frequenz einstellen und ein individuelles Kraftschild für den Träger aufbauen«. Man benötigt dazu lediglich die Geburtsdaten des zukünftigen Trägers, seinen Vor- und Nachnamen. Doch auch ohne diesen Sphärenapparat kann man in der Katzbachstraße andere Welten betreten. Denn bei Damanhur gehören weder Zeitreisen noch Wiedergeburten in die Welt der Phantasie. Weder die Vortragsreihen noch die Wochenendseminare scheuen vor jenen Themen zurück, die von allzu materialistisch eingestellten Individuen in der Regel arrogant belächelt werden. Von Einführungen in die Meditation wobei in der Katzbachstraße allerdings nicht die handelsüblichen Gebrauchsanweisungen zum Streßabbau gemeint sind, »wo nur gegen Bezahlung konsumiert wird« geht es über die »Magie des Tarot« (8 Euro Eintritt) und die Seminare »Tarot Level 1 und 2« (jeweils 75 Euro, erm. 65), und über »Kommunikation mit Pflanzen« (Ein Tagesseminar für 75 Euro) bis hin zu Veranstaltungen zu den Themen Astralreisen, Heilpraktiken oder Wiedererinnerungen an vergangene Leben; um einige besonders spektakuläre Sitzungen zu nennen. Im Mittelpunkt des Infozentrums Damanhur stehen also weniger die zum Verkauf angebotenen Selfe für 30 oder 40 Euro. Mit den esoterischen Schmuckstücken im Schaufenster versucht die Gesellschaft Bürgerlichen Rechts nur, die Mietkosten zu senken. Es sind vor allem diese aufklärenden Veranstaltungen, auf die es den ehrenamtlichen Mitarbeitern von Damanhur ankommt. Sie sind von der Richtigkeit der Philosophie Damanhurs überzeugt. Sie sind schon mehrmals dort gewesen, in Damanhur, dieser in den Siebzigerjahren gegründeten Föderation in einem kleinen Tal Piemonts. Heute kommen Fans aus aller Welt nach Italien, um den »Tempel des Menschen« zu besuchen, ein gewaltiges, unterirdisches Gewölbe mit sieben großen Sälen, »welches über die Zeitdauer von 16 Jahren ausschließlich von den Bewohnern der Gemeinschaft von Hand erbaut wurde.« Der Tempel wurde nicht etwa zufällig in dem verlassenen Tal erbaut, sondern weil sich just an dieser Stelle die Energieflüsse aller Erdteile miteinander verbinden und »eine Verbindung des Planeten Erde mit dem Rest des Universums herstellen.« Foto: Dieter Peters
Allerdings hat der Besucher bei diesem Dreitageaufenthalt keine Möglichkeit, die selfische Kabine aufzusuchen. »Dabei handelt es sich um eine sehr komplexe therapeutische Struktur, die aus einer Kombination von magnetischen Feldern und selfischen Technologien besteht, welche eine vollstaendige seelische und körperliche Regeneration ermöglicht. Der Besuch dieser Kabine ist nur auf Anfrage und Bestellung möglich.« Allerdings kann in der Katzbachstraße auch eine siebentägige Reise an den »geweihten Ort« vermittelt werden. Für 550 Euro zzgl. Reise- und Verpflegungskosten. Nur die begehrten Zeitreisen allerdings stehen in der Katzbachstraße noch nicht im Programm. Noch nicht. |