März 2006 - Ausgabe 75
Die Reportage
Der Klotz in der Bergmannstraße von Eckhard Siepmann |
Für die Bewohner der Bergmannstraße wird ein Albtraum wahr. Im März fährt schweres Gerät in der beliebten Flaniermeile vor, um Platz für eine Tiefgarage und einen 15.700 Quadratmeter großen mehrstöckigen Neubau zu schaffen. Abgerissen wird dabei ein neben der ehemaligen ReicheltFiliale liegendes historisches Kleinod, das kaum noch jemand kennt, weil es mit zugemauerten Fenstern und graubraunem Putz hinter Plakatwänden wie eine vergessene Lagerhalle aus den 50er Jahren wirkt: die 1880 erbaute Habelsche Trinkhalle. Der vordere Teil der Straße mit ihren Cafés und Trödelläden soll also zur Großbaustelle werden. Denn schon seit Jahren bemüht sich der Grundstücksbesitzer Reinhard Wagner mit seiner WABE Bauentwicklung GmbH das 30 Millionen Euro teuere Projekt eines Gesundheits und Ärztezentrums inklusive Supermarkt und Discounter, inklusive Wellness und FitnessBereichen sowie inklusive einer unterirdischen, allerdings kostenpflichtigen Parkplatzanlage zu verwirklichen inmitten des mit hohen Subventionen und nach strengen Denkmalschutzkriterien sanierten Gründerzeitviertels. Bis zum Ende des Jahres 2003 hatte Wagner sich an die für das Sanierungsgebiet geltenden Auflagen halten müssen. Dann aber wurde das Quartier aus dem Sanierungsgebiet und auf den freien Markt entlassen, worauf Wagner einen Plan B entwickeln konnte, der nach Abstimmung durch die Bezirksverordneten den bis dahin gültigen Bebauungsplan für das 7.000 Quadratmeter große Grundstück ersetzen soll. Foto: Postkarte
Die Entscheidungsträger im Kreuzberger Rathaus allerdings konnten sich dennoch mit dem geplanten Projekt in der Bergmannstraße anfreunden, denn immerhin sollen 250 neue Arbeitsplätze entstehen. Auch die Aussicht auf Steuereinnahmen wird angesichts der leeren Kassen nicht unwesentlich zur unverständlichen Entscheidung der zu Orlowskys Zeiten noch so bürgernahen Kreuzberger Regierung beigetragen haben. Daß es sich bei den neuen Arbeitsplätzen häufig nur um eine Arbeitsplatzverlagerung aus bereits existierenden Arztpraxen und Apotheken sowie Supermärkten in das neue Center handelt, wird dabei offensichtlich übersehen. Und auch die Frage, ob tatsächlich mehr Steuereinnahmen zu erwarten sind, ist somit noch nicht geklärt. Die heutige Gesundheitsreform aber, so die Verteidiger des Zentrums in einer öffentlichen Anhörung, mache es notwendig, daß Ärzte gemeinsame Strukturen nutzen, um wirtschaftlicher arbeiten zu können. Solchen eventuellen Vorteilen einerseits stehen jedoch andererseits die wesentlich höheren Mietpreise im neuen Zentrum als Belastung gegenüber. Darüber hinaus argumentiert der Baustadtrat Dr. Franz Schulz mit sogenannten SynergieVorteilen für die Anwohner und meint die »kurzen Wege, weil wir doch alle mal krank werden«. Vom Onkologen zum Zahnarzt zum Gesichtschirurgen zum Podologen in wenigen Schritten an einem Vormittag, so sollen sich die Anwohner die schöne neue Welt der Gesundheit vorstellen. Was im Rathaus als Chance und Aufwertung für den Kiez empfunden wird, ist in den Augen vieler Anwohner nur ein aufgeblasener Investorenklotz aus Beton, Stahl und Glas. Die Zunahme des Verkehrs wegen der 112 Tiefgaragenstellplätze und des LKWAnlieferverkehrs für die Discounter, und damit die Veränderung des Charakters der Bergmannstraße als Schlendermeile mit ihren Lädchen, Cafés und der vielseitigen Gastronomie wird von politischer Seite dabei bedenkenlos in Kauf genommen. Obwohl man erst vor wenigen Jahren mit der Unterbrechung der Bergmannstraße auf Höhe der Markthalle für eine Verkehrsberuhigung gesorgt hatte. Auch der Abriß der Habelschen Trinkhalle mit ihren Stuckdecken und Resten alter Wandmalerei, die unverständlicherweise nicht unter Denkmalschutz gestellt wurde, stellt für die Stadtplaner kein prüfenswertes Problem dar. Dabei gab es auch andere, kleiner dimensionierte Nutzungsideen, die den Erhalt der historischen Trinkhalle und des Biergartens zwischen den backsteinernen Industriebauwerken vorsahen, der zuerst zum Geheimtip und dann zur Attraktion der Straße avancierte und sich im Sommer eines regen Besucherandrangs erfreute. Auch die Ansiedlung eines kleinen Supermarktes, der Neubau eines Ärztehauses mit Anschluß von Seniorenwohnungen und ein Umbau des BewagDenkmals zu einem Hotel hätten zu einem auf Kreuzberger Bedürfnisse zugeschnittenen Konzept gepaßt. Der neue Investor jedoch will klotzen. Selbst, wenn das Risiko einer weiteren Investitionsruine bei fehlendem Finanzpolster nicht gering ist. Denn Banken wollen bedient werden. Auch, wenn es sich um ein Grundstück in der angeblichen Goldgrube Bergmannstraße handelt. Wenn ab März abgerissen wird, verschwindet ein Stück historischer Stadtkultur. Ebenso verschwinden drei alte Kastanien, eine Ulme und eine Lorbeerpappel, die wohl noch aus der Zeit des alten Biergartens stammen und das Mikroklima nicht unwesentlich verbessern. Auch der Fledermausschwarm, der sich in den alten Fabriketagen eingerichtet hat, wird sich eine andere Bleibe suchen müssen. Als Ausgleichsmaßnahmen sind Dachbegrünung und Nistkästen geplant. Ein grünes Alibi am Neubau mit einer Quadratmeterfläche, die der von zehn Gründerzeithäusern entspricht. Profit gegen Kultur, Discounter gegen die Markthalle, Betonklotz gegen gewachsene städtebauliche Strukturen: das scheinen die Gebote der neuen Berliner Gründerzeit zu sein auch in Kreuzberg. Was die Anwohner bei alledem besonders ärgerte, waren die geringen Auswirkungen ihrer Proteste. Trotz fünfmaliger Anhörung und zweier Eingabentermine hatten sie am Ende fast nichts erreichen können. Obwohl doch das neue Baugesetz der Behörde eine öffentliche Bürgerbeteiligung vorschreibt, um mehr Mitspracherecht der Betroffenen und mehr Demokratie bei großen baulichen Veränderungen zu erreichen. Doch die vielen kritischen Einwände der Bevölkerung wurden mittels zweier vom Eigentümer in Auftrag gegebener Gutachten zu Verkehrsverträglichkeit und Einzelhandelskonkurrenz ausgeräumt. Der Biergarten Foto: Privatarchiv
Abweichungen vom neuen Bebauungsplan wurden seitens der Behörden nur soweit gefordert, als sie sich ohnehin aus Sachzwängen wie etwa dem verweigerten Zufahrtsrecht oder denkmalrechtlichen Erwägungen ergaben. Den Bürgern allerdings versuchte man das als einen Erfolg ihrer Proteste zu verkaufen. Die Tiefgarage des Investors zum Beispiel sollte ursprünglich für 280 Pkws angelegt werden, doch mußte er sich »wegen der Bürgerproteste« mit 112 Plätzen begnügen. Ein detailliertes Verkehrsgutachten des Mieterrates jedoch wurde nicht berücksichtigt. Stattdessen wurde den Anwohnern vorgerechnet, wieviel ein und ausfahrende Autos die Bergmannstraße zusätzlich vertrüge. Als Ausgangspunkt für die Berechnungen diente den Gutachtern eine vergleichbare Durchgangsstraße. Die besondere Aufenthaltsqualität der Bergmannstraße und die Tatsache, daß sie eben keine Durchgangsstraße ist, wurden dabei nicht berücksichtigt. Ähnlich fiel das Gutachten zur gesamtwirtschaftlichen Verträglichkeit großer neuer Supermarktflächen im Kiez aus: Demnach dürfen sich die Einzelhändler der Markthalle darüber freuen, daß so das Gutachten ihnen Umsatzverluste nur in Höhe von 8,9 Prozent ins Haus stehen. Erst bei einem Verlust von über 10 Prozent wäre die Ansiedlung der Konkurrenten regelwidrig gewesen! Ein besonderes Schmankerl bot die öffentliche EntscheidungsSitzung des Planungsausschusses im Januar. So zahlreich wie die Bürger, die im Bezirksverordnetensaal Politik live erleben konnten, so zahlreich waren auch die Fragen, die von den abstimmungsberechtigten Politikern nicht beantwortet wurden. Stattdessen ergriff immer wieder der Investor das Wort, unterstützt vom grünen Baustadtrat des Bezirkes. Daß ein Großteil der Anwohner sich ärztlich, einkaufs und wellnessmäßig gut versorgt fühlt, wurde zwar zur Kenntnis genommen, änderte aber nichts daran, daß zum pünktlichen Abschluß der Sitzung um 20 Uhr die Volksvertreter aller Fraktionen bei nur zwei Gegenstimmen das Bauvorhaben Bergmannstraße 57 absegneten. Das Volk konnte abtreten, an die zwanzig neue Nichtwähler wurden an diesem Abend gewonnen. In einigen Kneipen jedoch wurde weiter debattiert. Als letzte Hoffnung tauchte die mögliche Finanzierungsunfähigkeit des neuen Investors auf. Tatsächlich konnte Reinhard Wagner auch Ende Januar noch keinen Finanzierungsnachweis vorlegen, und so verschob sich die Entscheidung im Rathaus noch einmal auf den 22. Februar. Dann aber verlief alles planmäßig. In einer offiziellen Pressemitteilung der SPD FriedrichshainKreuzberg verkündete Dimitrios Goumagias noch am selben Abend: »Das Ärztezentrum paßt in die Gewerbeinfrastruktur des Bergmannkiezes und die Finanzierung ist gesichert. Deshalb hat die SPDFraktion dem Vorhaben zugestimmt.« Doch auch unabhängig vom Ausgang zeigt diese Geschichte, mit welcher Ignoranz sich Investoren, unterstützt von der Politik, über die Interessen der Anwohner hinwegsetzen. Edith Siepmann |