Juni 2006 - Ausgabe 78
Die Literatur
Das Prinzenbad von Matthias Oloew |
Die PolePosition ist längst besetzt. Noch eine Viertelstunde, bis es losgeht. Aber wer sich einbildet, um diese Zeit allein vor dem noch geschlossenen Kassenhäuschen des Prinzenbads zu warten, der kennt die Stammgäste nicht. Um zehn vor sieben stehen die Ersten schon ohne Schuhe da und stecken in ihren Badelatschen. Kein Augenblick soll ungenutzt verstreichen, bis sie endlich eintauchen können. Auf der Gitschiner Straße staut sich hupend der Berufsverkehr. Die Sonne tut sich schwer. Nur einige fahle Strahlen schaffen es durch den Morgendunst. Aus der UBahn kommen Grüppchen, plaudernd, mit Tüten, Koffern oder Körben, im Anzug, Blaumann oder Jeans, gerade so, als würden sie gleich durchs Werkstor zu ihren Arbeitsplätzen schreiten, im Büro oder an der Werkbank. Eine alte Frau stellt ihren Zeitungsständer auf, zieht eine weiße »Tagesspiegel«Jacke an und rückt ihr Kopftuch zurecht. Sie hat noch nicht alle ihre Zeitungen zum Verkauf bereit, aber wünscht allen »einen guten Morgen«. Manchmal ballt sie auch die Faust: »& und viiiel Kraft!«. Radler fahren Slalom zwischen den Wartenden, die Schlange wird immer länger. Um fünf vor sieben sind schon drei Dutzend Leute da. Ganz vorne knöpfen sie sich jetzt die Hemden und Blusen auf. Nun ist es ja nicht so, dass die Becken des Prinzenbads eine Stunde nach der Öffnung wieder schließen, dass man sich also beeilen muss, um schnell seine Bahnen zu schwimmen. Es ist auch nicht so, dass alle, die hier vor dem Eingang stehen, um Punkt acht in ihren Büros sitzen müssen und deshalb so hektisch an ihrer Kleidung nesteln. Der wichtigste Grund, sich auf der Straße auszuziehen, weil das Bad noch nicht geöffnet hat, ist ganz einfach der: Jeder will der Erste sein, ins Wasser springen, wenn noch kein anderer drin ist, kein Kräuseln das perfekte Bild der glatten Wasseroberfläche stört. Kurzum: für einen kleinen Moment der Illusion den Eindruck zu haben, das Prinzenbad gehöre einem allein. Nur so erklärt sich das, was sich um Punkt sieben abspielt. Das Eisengitter wird geöffnet, und die aus der ersten Reihe spurten mit einem flüchtigen »Morgen« an der Kasse vorbei. Überflüssig zu erwähnen, dass sie seit einer Minute ihre Saisonkarte griffbereit haben und als Erste durch die Drehkreuze gehen. Wer sich jetzt in der Schlange nicht ordentlich eingereiht hat, dem bedeuten die Gesten der Stammgäste: hinten anstellen. Macht aber alles nichts, denn es geht sehr schnell an der Kasse. Die meisten müssen sowieso nicht zahlen, sondern schieben ihre Sammel oder Saisonkarten in die elektronischen Schlitze ein PiepKonzert in unregelmäßigem Takt ergibt das. Wer um zwei nach sieben seine Eintrittskarte löst und jetzt am Drehkreuz angekommen ist, um Einlass zu bekommen, steht staunend da: Die von der PolePosition laufen, ach was, sie rennen, komplett umgezogen, ihre Siebensachen in die Spinde eingeschlossen, die Schwimmbrille exakt positioniert, den Damen der Cafeteria winkend, das Wasser in den Durchschreitebecken spritzend, schnurstracks auf ihren VorzugsPool zu und hüpfen hinein. Vorne das Sportbecken, das immer ein paar Grade kälter als die beiden anderen ist und deshalb von einigen Stammgästen »Bergsee« genannt wird. Weiter hinten, für Anfänger ein wenig versteckt hinter einer Mauer, direkt unter den Augen der Schwimmmeister auf dem Beobachtungsturm, das so genannte Mehrzweckbecken. Das ist noch größer als das Sportbecken, und hat einen Nichtschwimmerbereich, in dem das Wasser seichter ist. Wer um fünf nach sieben irgendwo der erste sein will, hat im dritten, dem Nichtschwimmerbecken, eine gute Chance. Entnommen aus Matthias Oloew, Prinzenbad, Verlag an der Spree, 2006, ISBN 3-9809951-4-3, 11,90 ¤ |