Juni 2006 - Ausgabe 78
Die Geschichte
Das Ballhaus Rixdorf von Alwin Singer |
Das Ballhaus Rixdorf, man findet es nicht so einfach. Man erwartet etwas mondänes, Gründerzeit, ArtDeco. Oder vielleicht auch nicht, denn die Adresse lautet: Kottbusser Damm Ecke Pflügerstraße. Das ist »ReuterKiez«, oder, wie unser Innenminister sich ausdrückt: »Slum«. Showeventplakate kleben im Durchgang von der Straße in den Hinterhof. Die Shows, die auf den Plakaten angepriesen werden, finden aber alle woanders statt. Sogar in der Wuhlheide. Im Ballhaus selbst sieht es nicht anders aus. SiebzigerjahreBeton, diverse Werbezettel von Tanz und EsoterikVeranstaltungen. Trostlos siehts aus, und das wird sich laut Betreiber Wolfgang Redel auch nicht so schnell ändern: »Wir sind ja eher ein StudioBetrieb, und wenn keine Veranstaltungen sind &« Studiobetrieb, das sind meist Film und Fotoaufnahmen, gelegentliche Theaterproben, aber nichts für die Öffentlichkeit. Die Ausnahmen: Einmal die Woche die lange TangoNacht und ab und an ein Konzert. Das Ballhaus Rixdorf hat die besten Zeiten offensichtlich hinter sich. Nur zwei Säle und die renovierte Fassade erinnern noch an vergangene Zeiten. Es »wurde 1910 nach den Plänen des Architekten Egon Fröhlich als :Hohenstaufen-Festsäle9 am Kottbusser Damm erbaut. Namensgeber war der gegenüber, schon in Kreuzberg liegende Hohenstaufenplatz. Im heute nicht mehr bestehenden repräsentativen Vorderhaus gab es das :Hohenstaufen-Café9, das auf die dahinterliegenden Festsäle aufmerksam machte.« wie der »Kiezspaziergänger« im Internet schreibt. Aber das vergißt man als Kreuzberger ja gerne, daß die östliche Seite des Kottbusser Damms schon Neukölln ist. Doch da, wo sich heute Kreuzberg und Neukölln treffen, trafen sich damals Berlin und Rixdorf, und deshalb heißt das Gebäude seit den 50er Jahren auch Ballhaus Rixdorf. Wer aber an Rixdorf denkt, der denkt gleich an jenen Gassenhauer, der beschreibt, daß in Rixdorf die Musike ist. uff den sonntag freu ick mir, ja dann jeht et raus zu ihr, feste mit verjnüchtem sinn pferdebus nach rixdorf hin. dort erwartet rieke mir ohne rieke keen pläsier! Allerdings machte Rixdorf schon 1874 von sich reden, als mit der Zusammenlegung der Gemeinden DeutschRixdorf und BöhmischRixdorf ein Dorf entstand, das mit 80.000 Einwohnern bald als das größte Preußens galt. Doch noch weiter zurück reicht die Geschichte: Schon im August 1543 das damalige Richardsdorf war gerade in den Besitz der Stadt Cölln übergegangen stand an der Südseite des heutigen Hermannplatzes ein Wirtshaus mit Pferdeställen zum Wechseln der Kutschpferde auf dem langen Weg nach Sachsen. Um 1737 entstand an gleicher Stelle das Wirtshaus Rollkrug, doch erst hundert Jahre später folgte der wirkliche Aufschwung: 1854 wurde die Pferdebus und spätere Pferdeeisenbahnlinie vom Halleschen Tor zum Rollkrug gebaut. Jetzt war in der bis dahin eher menschenleeren Hasenheide ständig was los, dagegen waren die NeuköllnerMaientage nichts mehr. In der Hasenheide verlustierten sich die Menschen im Grase und picknickten, da boten Fliegende Händler Essen und Getränke an, während Gaukler, Artisten und Musiker ihre Künste vorführten. Mit der Zeit entstanden unter den Bäumen der Heide Tanzplätze, Schießbuden und Pferdekarussels. Die Drogenhändler witterten schon damals ihr Geschäft: Eine Brauerei nach der anderen eröffnete und richtete Biergärten ein, am 25. April 1880 auch die Neue Welt, Bergschloßbrauerei Hasenhaide. Foto: Dieter Peters
Überhaupt waren die Festsäle am Kottbusser Damm eine eher kleine Angelegenheit, wenn man bedenkt, daß einen Kilometer weiter an der Hermannstraße Ecke Rollbergstraße mit dem Mercedes-Palast 1927 das damals größte Filmtheater Europas seine Pforten öffnete. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg blieb die Gegend eine Kinomeile, bis Ende der sechziger Jahre das große Kinosterben begann. Auch das nun Ballhaus Rixdorf lautende Etablissement, in dem sich zum Kriegsende ein Kino eingerichtet hatte, blieb davon nicht verschont. In der Folge dienten die Räume dem türkischen Tanzclub 1001 Nacht, aber auch Drafi Deutscher fand Verwendung für die Räumlichkeiten und betrieb einen BeatClub am Kottbusser Damm. Ende der sechziger Jahre produzierten einige Bands ihre Platten in der charmelosen Atmosphäre des Damms, die bekannteste Aufnahme war wohl eine von Ton, Steine, Scherben: »Macht kaputt, was Euch kaputt macht«. Auch das ist jetzt schon Geschichte. Rixdorf, an dessen vergnügungsselige Zeit noch immer das »Tanzende Paar« auf dem Hermannplatz erinnert, wurde 1912 in »Neukölln« umbenannt, weil die Stadtväter mit dem Namen die Erinnerung an Lust und Laster vor den Toren Berlins ein für allemal tilgen wollten. Heute aber denken einige Neuköllner darüber nach, den Stadtteil, der wie kein anderer mit »Immigration« und »MultiKulti« verbunden ist, erneut umzubenennen in »Rixdorf«. Aber Musike kommt dadurch auch nicht mehr in die Gegend und Rieke erst recht nicht. Die wohnt jetzt in Kreuzberg. |