Juni 2006 - Ausgabe 78
Die Geschäfte
Das Spiel mit den Kugeln von Hans W. Korfmann |
»Monster Bash«, »No Fear« und »Dracular«, diese Namen klingen für Jens Domke noch immer ein bißchen nach Freiheit. Denn diese Namen gab es drüben nicht. Es gab überhaupt keine Flipperautomaten drüben im Osten Berlins. Flipperautomaten waren Ausgeburten der Hölle. Flipperautomaten aber spielen im Leben von Jens Domke eine große Rolle. Dennoch waren nicht sie der Grund für die Republikflucht, die ihm erst 7 Monate Gefängnis und dann die Freiheit brachte. Aber es gab sie tatsächlich, diese Abende, an denen er dann mit seinem Freund am Kudamm im Inside vor dem Automaten stand und manchmal die kompletten Einnahmen aus der Kneipe in den kleinen Schlitz des zuckenden, blinkenden, zischenden und dudelnden Monsters warf. Weil im Inside immer die neuesten Automaten standen. Die kleinen, silbernen Kugeln kosteten den jungen Mann aus dem Osten die eine oder andere Westmark Lehrgeld, bis der Tag kam, an dem Jens Domke einen ersten Blick hinter die glitzernde Oberfläche des Spielzeugs warf und die schmucklosen Platinen sah, das Gewirr der Kabel und Leitungen, der Federn und Züge: Domke und sein Freund hatten sich einen eigenen Flipperautomaten in ihre eigene Kneipe gestellt, und der mußte ständig repariert werden. Weil der Mechaniker der »Löwen« nie richtig fertig wurde mit dem alten Klapperkasten, machten sie sich bald selbst daran, ihrem Flipper auf die Beine zu helfen, und als die Kneipe dann das Schicksal so vieler Berliner Kneipen ereilte und sie schließen mußte, war Domke gut genug geworden, um bei den Löwenautomaten anzufangen. So wurde der Mann, der aus dem Osten kam, allmählich zum Spezialisten für die Automaten aus dem Westen. Es gibt wohl kein Modell der letzten zehn Jahre, das er nicht kennt, und er hört schon am Anschlag der zwei kleinen Flipper, die das Aus der Kugel bedeuten oder sie noch einmal zurück ins Leben schleudern, ob da demnächst der Deckel aufgeschraubt werden muß oder nicht. Und den »Attack from Mars«, seinen absoluten Lieblingsautomaten mit den grünen Marsmännchen, der fliegenden Untertasse und dem Weißen Haus, »zerlege ich im Schlaf und mit geschlossenen Augen. Ich hatte mal sieben Stück hier stehen!« Er spielt ihn auch mit geschlossenen Augen. Und wenn er ein bißchen üben würde, dann hätte er vielleicht sogar einmal eine Chance bei der Deutschen Meisterschaft. Einmal wurde er immerhin schon Sechster von 132 Teilnehmern. Als Sieger hätte er zur Amerikanischen Meisterschaft reisen können. Da hatte der letzte Deutsche Meister allerdings nicht einmal die Qualifikation geschafft! »In Amerika spielen die Cracks.« Da haben Hobbyflipperer nichts verloren. Domke allerdings ist gar kein Hobbyspieler. Er sagt, daß er spielen muß. »Testen!« Etwa eine halbe Stunde am Tag drückt er in der kleinen Werkstatt in der Monumentenstraße auf die beiden kleinen Knöpfe, die die Flipper auf und abbewegen und jenes Geräusch fabrizieren, das alle Flipperspieler dieser Welt lieben. So, wie die Hobbyrennfahrer vor dem Start an der Ampel den Motor noch im Leerlauf schon einmal hochdrehen, so lassen auch die Männer an den Flipperautomaten ihren nervösen Mittelfingern schon vor der ersten Kugel freien Lauf: Klack, klack, klack, klack, klack ... Eigentlich hab ich nen Traumjob«, sagt Domke. »Ich hab mein Hobby zum Beruf gemacht.« Und zwar zu einem Beruf, von dem man leben kann. Schon jetzt gilt Domke als Spezialist, es wird nicht lange dauern, dann hat er so etwas wie ein Monopol in der Stadt, dann stehen da nur noch Flipper von Domke, weil er der einzige »Automatensteller« ist, der sie noch ordentlich zu warten versteht. Dann ist er der »Pinballkönig« von Berlin. Klack, Klack, klack, klack, klack, klack & Auch wenn die Flipper gegenüber den geldspuckenden Spielautomaten eine unbedeutende Spezies im Automatengeschäft sind. Inzwischen gibt es nur noch eine einzige Firma im einstigen Flippereldorado Chicago, und die bringt gerade mal vier neue Modelle pro Jahr auf den Markt, »wovon man drei vergessen kann, meiner Meinung nach«. Foto: Dieter Peters
Natürlich gibt es noch andere Legenden unter den Flipperautomaten, Automaten wie die »Addams Family« mit den Konterfeis der gruseligen Amerikaner, der 30.000mal verkauft wurde, und von dem es eine limitierte SammlerEdition, den sogenannten »Addams mit Goldrand«, gibt. Oder »Tommy, the pinballwizzard«, mit den Melodien aus der gleichnamigen Rockoper von The Who aus jenen Jahren, als Rockmusik und Flippern noch zusammengehörten. Heute sind die Automaten selten geworden, es stehen nur noch wenige in einigen Kneipen in Kreuzberg, ein paar am Boxhagener Platz und am Prenzlberg. Doch vom Aussterben bedroht sind sie nicht. Zumindest nicht in Berlin. Dafür wird Domke sorgen. Denn die liebenswerten Klapperkisten sind wichtig. Sie erinnern an eine Zeit, als man nicht an Automaten mit rasenden Scheiben stand, um mit ein wenig Glück die leere Geldbörse zu stopfen. Sondern als man am Automaten stand, um Spaß zu haben. An eine Zeit klack, klack, klack, klack... als Spielautomaten noch Spielautomaten und kein bitterer Ernst waren. |