Juli 2006 - Ausgabe 79
Die Geschichte
Das Kaufhaus am Moritzplatz von Werner von Westhafen |
Warenhausgründungen waren von jeher von großem öffentlichen Interesse begleitet. Sowohl ihre potentielle Kundschaft als auch die Geschäftswelt beobachtete die Entwicklungen einerseits mit skeptischen Befürchtungen, andererseits mit fortschrittsgläubigem Enthusiasmus. Die feierlichen Eröffnungen der Kaufhäuser mit Sonderangeboten, Musik und Tanz wiesen schon in den Zwanzigerjahren den Weg in eine neue Konsumära. Waren es zuerst die Markthallen, die um die Jahrhundertwende Lebensmittel, Textilien und Haushaltswaren von der Straße holten und in loser und liebenswerter Ordnung unter einem Dach vereinigten, so lösten schon bald die wesentlich luxuriöser ausgestatteten Großkaufhäuser die alten Hallen ab und machten ihnen mit ihren traumhaft dekorierten Schaufenstern das Leben schwer. Das Sterben der Markthallen begann schon wenige Jahre nach ihren Eröffnungen, obwohl sie verkehrstechnisch oft günstig lagen. Schließlich war es niemand anders als der Eisenbahnkönig Henry Bethel Strousberg gewesen, der gleich in der Nähe eines seiner neugebauten Bahnhöfe die erste Markthalle Berlins eröffnete. Nach und nach entstanden über die Stadt verteilt vierzehn Hallen, um den Bedarf an Lebensmitteln für die Einwohner der Stadt zu sichern. Heute sind es noch drei. Der Trend zur Integration von Fachgeschäften, Bäckern und Schlüsseldiensten in Großkaufhäuser und Shoppingcenter hält weiter an. Überall, wo Platz ist in der Stadt, entstehen immer modernere Konsumtempel. Doch bis heute unvergeßlich geblieben sind die Berliner Urgesteine dieser Warenhäuser: Das Kaufhaus des Westens am Kurfürstendamm, das im Krieg zerstörte Karstadtgebäude am Hermannplatz, oder das erste Warenhaus von Wertheim am Moritzplatz. Die ersten Kaufhäuser waren ein gewaltiger Erfolg. »Namentlich von Frauen der unteren Stände«, schrieb Gustav Stresemann damals, wurden die neuen Häuser regelrecht »bestürmt«. Die Jagd nach den Schnäppchen hatte begonnen. Doch was der einen Freud war, war des anderen Leid: Nicht nur die zahlenden Ehemänner, auch die mittelständischen Kaufmänner wurden angesichts des Kaufrausches der Frauen skeptisch. Bereits als im Exportviertel in der Ritterstraße der erste »50PfennigBasar« eröffnete und für Aufruhr unter den Hausfrauen des Viertels sorgte, zeigten sich die Geschäftsbesitzer der Nachbarschaft wenig erfreut. Ihre Sorgen waren berechtigt, denn schon bald erlebten die 50PfennigLäden einen Aufschwung wie die heutigen 50CentGeschäfte mit ihren bunten Sonderangeboten. Das Geschäft mit billiger Ware in der Luisenstadt boomte. Bis Wertheim sich am Moritzplatz niederließ. Denn Wertheim, obwohl auch er die Kundschaft mit einem großen Warensortiment bei »festen Preisen« köderte, versuchte sich von Anfang an vom Image des Armenhauses und vom Begriff des jüdischen Ramschbasars zu befreien, der besonders durch antisemitische Zeitungen schnell und weit verbreitet wurde. Um sich zu distanzieren, setzte Wertheim schon bald die Bezeichnung »Warenhaus« hinter seinen Namen und prägte damit ein Wort, das heute einen festen Platz in unserem Wortschatz hat. Auch steht der Name Wertheim bis heute nicht für Billigware, sondern für gehobene Ansprüche. Begonnen hatte die Erfolgsgeschichte des Kaufhauses mit einem kleinen Manufaktur und Modewarengeschäft in Stralsund, das 1885 eine Filiale in der Hauptstadt eröffnete. Das Geschäft in der Rosenthalerstraße Nummer 27 florierte derart, daß die Familie drei Jahre später ihren Wohnsitz nach Berlin verlegte, in der Oranienstraße zusätzliche Lagerräume anmietete und 1890 bereits einen dreistöckigen Laden in der Straße besaß. Wiederum vier Jahre später wagte Wertheim den Sprung vom Manufakturwarenladen zum regelrechten Warenkaufhaus und öffnete in der Oranienstraße 53/54 die Türen zu einem Konsum Foto: Postkarte
Einer der bekanntesten Architekten der Stadt hatte im Zentrum der alten Luisenstadt ein respektables Gebäude »mit großem Lichthof« geschaffen, »der alle Etagen miteinander verband.« Doch schon vier Jahre später reichten die Räumlichkeiten nicht mehr aus, abermals befaßte man sich mit Bauplänen, und 1913 entstand gleich gegenüber in der Oranienstraße 149154 ein noch mächtigerer Bau mit vier großen Eingangsportalen und übersichtlich getrennten Abteilungen. In den Kellerräumen gab es Haushaltswaren und Porzellan, im ersten Stock Stoffe und Kleider, im Erdgeschoß »Kurzwaren und Trikotagen« sowie das riesige Konzertcafé mit seinen 1.228 Plätzen, aus dem später der berühmte Varieté Triumph Palast wurde. Bereits 1896 hatte Wertheim in der Leipziger Straße ein zweites Haus eröffnet, danach ein weiteres in der Königstraße. 1902 belief sich der Jahresumsatz des Familienunternehmens auf 50 Millionen Mark. Doch der Aufstieg der vier Brüder war nicht unaufhaltsam, die kleineren Kaufleute, die immer mehr in Bedrängnis gerieten, verfolgten die Aktivitäten der Brüder Wertheim mit Argusaugen. Ein Warenhaussteuergesetz wurde erlassen und forderte von den Kaufhäusern bis zu 2% des Umsatzes. Als Georg Wertheim die Tochter eines Großdestillateurs ehelichte und fortan den Kümmelschnaps günstiger als andere vertreiben konnte, wuchs der Unmut. Georg Wertheim notierte in sein Tagebuch: »Der Aufschwung unseres Geschäftes war erstaunlich und sensationell; dementsprechend gehässig waren die Anfeindungen von der sogenannten Mittelstandspartei, die sich gleichzeitig in antisemitischem Fahrwasser bewegte.« Obwohl einige Mitglieder der Familie angesichts der existentiellen Bedrohung vorsichtshalber aus der Jüdischen Gemeinde austraten oder anläßlich einer Heirat zum Christentum konvertierten, blieb das Unternehmen von den Nationalsozialisten nicht verschont. 1935 wurde es als »rein jüdisch« eingestuft. Kurzentschlossen tritt Georg Wertheim aus der Firma aus in sein Tagebuch schreibt er nur diesen einen Satz: »Firma als deutsch erklärt« , vermacht seine Anteile an die arische Gemahlin und läßt sich scheiden im Alter von 82 Jahren. Ein Jahr später stirbt er. Auch die prächtigen Warenhäuser am Moritzplatz überleben die Nazis nicht. Zuerst trifft es das Haus in der Königstraße, 1944 wird das Haupthaus in der Leipziger Straße dem Erdboden gleichgemacht, und am 3. Februar 1945 treffen die Bomben das Haus am Moritzplatz. Doch Wertheim überlebte. In den Werbeanzeigen der Kriegsjahre stand der Name des Gründers zwar nur noch an zweiter Stelle: »AWAG vormals Wertheim«. Doch schon wenige Monate nach der Zerstörung Berlins entstand in der Schloßstraße in Steglitz ein neues Haus. Es wurde an jenem Platz errichtet, den noch Georg Wertheim als zukünftigen Firmensitz auserwählt hatte, und es trug bereits 1945 wieder den alten Namen: Wertheim. Werner von Westhafen |