Februar 2006 - Ausgabe 74
Die Reportage
Das etwas andere Kaufhaus von Per Unhold |
Die Adresse hört sich nobel an. Friedrichstraße 226. Aber die Nummer 226 liegt schon am Ende der einstigen Prachtstraße, da kann sich sogar der Video-Store die Miete leisten oder der Jasmin-Shop mit Kinderjeans und Kleidern für drei Euro, von Kindern für Kinder. Dort, fast schon im Herzen Kreuzbergs, hat sich vor einem Jahr auch das sogenannte »Sozialkaufhaus« niedergelassen. In den vier Schaufenstern, die in Größe und Outfit denen von Karstadt kaum nachstehen, sind Skier, Kaffeemaschinen, Stehlampen, Langspielplatten mit Chris Barber und Singles von Otto ausgestellt. Porzellanpuppen, ein Teeservice, ein Fernseher, Jacken, Hosen, Mäntel ... alles, was der Mensch mehr oder weniger unbedingt zum Leben braucht. Auf einem Karton an der Tür steht: »Das etwas andere Kaufhaus. Wenn Sie nicht hereinkommen, werden Sie es nie erfahren.« Es gibt alles hier, »vom Silikonbusen bis zur Zylinderkopfdichtung. Haben wir alles schon gehabt!«, sagt der Mann hinter der Kasse. Auch die Kundschaft ist mindestens so vielfältig wie die in der Kneipe, die ihm einmal gehörte: »Hier kommen Tod und Teufel rein«, sagt Peter. Solche, die dringend ein Paar Handschuhe suchen, oder solche, die wieder eine Wohnung haben und sich hier die Einrichtung zusammensuchen. Es kommen die Schnäppchenjäger, es kommen die, die zufällig ins Schaufenster gesehen haben, und es kommen die Touristen. »Kürzlich haben wir einen alten Sekretär nach Holland verkauft«, sagt Peter. Der Laden scheint zu laufen. Was kein Wunder ist, denn anders als bei anderen Kaufhäusern, die ein und verkaufen, stammt das Warensortiment im Kaufhaus der motz ausschließlich von Spendern. Ebenso wie die komplette Einrichtung mit Regalen und Kleiderständern. Es gibt keinen Tag, an dem nicht vier, fünf Leute hereinkommen und eine Tüte voll Kram bringen. Der motz vertraut man. Foto: Michael Hughes
»Ich habe hier etwas für Sie«, sagt eine ältere Dame mit goldener Brille und echtem Pelz am Kragen, »Ich habe mir gedacht, Sie können das sicher gebrauchen. Und bevor ich es wegwerfe &«. Akkurat zusammengelegt präsentiert die Frau mit dem überfüllten Kleiderschrank und dem Herz für Arme eine Jacke, die in jedem anderen SecondHandUnternehmen wahrscheinlich einen Spitzenpreis erzielen würde. Hier wird sie kaum auf einen zweistelligen Betrag kommen. Denn auch, wenn es in der Kleiderecke des Kaufhauses in der Friedrichstraße ein bißchen so aussieht wie bei Humana: motz ist humaner. »Der Ausdruck :billig9 ist billig!«, sagt Peter, aber günstig ist es schon. »Hier war kürzlich einer, der hatte seine Wohnung verloren, mit allem drin und dran. Dann fand er eine neue Bleibe und kam zu uns. Der hat sich komplett eingerichtet, mit Stuhl, Bett, Schrank, Sessel, Fernseher, Musikanlage, Kleider, Blumenvase und was nicht sonst noch alles. Für 200 Euro«, sagt Peter und nickt. »Aber wir haben hier auch ein paar Sachen, die muß nicht jeder unbedingt haben. Und dann soll er auch zahlen.« Dann hat das eben seinen Preis. Und ein schlechtes Gewissen braucht hier dennoch keiner zu haben. Denn schließlich kommt alles, was eingenommen wird, den Obdachlosen zugute. Sei es nun der einzelne Euro, den das Seniorenpärchen mit den SherlockHolmesMützen auf den Köpfen nach fünfzehnminütiger Beratung für den BlümchenKochtopf hergibt, oder seien es die 25 Euro für das blau gestrichene »Philetta« von Philips. Oder eben das Paar Langlaufskier. »So viel Schnee liegt hier ja nun doch nicht, daß einer unbedingt die Skier braucht.« Und Luxus kostet eben. Foto: Michael Hughes
»Denn es gehört zu unserem Konzept, die Leute von der Straße zu holen und Arbeitsplätze einzurichten«, sagt Peter. Vor ein paar Jahren, als die motz mit der BVG im Streit lag (die Kreuzberger Chronik berichtete), steckte das Projekt noch in wackligen Kinderschuhen und hatte eine Handvoll Mitarbeiter. Inzwischen sind etwa 25 Arbeitsplätze entstanden. »Ohne, daß Staat oder Kirche einen Cent dazugegeben haben. Auch das gehört zum Konzept«, sagt Peter und grinst mit dieser Mischung von Trotz und Stolz, die einer hat, wenn er das Leben von beiden Seiten kennt. Auch bei der Internetpräsentation der Selbsthilfegruppe wird die finanzielle Unabhängigkeit erwähnt, jedoch sieht man sich im gesellschaftlichen Kontext. »Wir möchten auch darauf hinweisen, dass wir, obwohl wir selbst auf die professionelle Unterstützung von Sozialarbeitern und staatlicher Finanzierung verzichten, unsere Angebote als notwendige und wünschenswerte Ergänzung zu allen anderen Aktivitäten von Kirche, Staat und Sozialverbänden sehen.« Weshalb der Geschäftsführer des Vereins das Unternehmen motz trotz seines Erfolges noch nicht endgültig gesichert sieht. »Solche alternativen Projekte wie dieses sind prinzipiell gefährdet«, sagt Bernd Braun. Auch, wenn der Verein mit der Zeit geht, seine Sachspenden erfolgreich per ebay versteigert und »durch bundesweite Werbung und den Ausbau der Website (...) nicht nur die Finanzierung des Wohnprojektes sicherstellen, sondern auch eine Reihe von Arbeitsplätzen schaffen« kann. Die motz ist kein sozialromantisches Alternativunternehmen, und ihre Mitarbeiter sehen die Dinge realistisch. Das sogenannte Wohnprojekt in der Friedrichshainer Weserstraße zum Beispiel, offiziell »Notunterkunft« genannt, ist laut Geschäftsführer Braun schon eher so etwas »wie eine Pension. Die Leute übernachten da nicht nur, die wohnen rt sozusagen in Halbpension, haben ihre Zimmer und ihre Sachen drin für drei Euro pro Nacht. In anderen Einrichtungen müssen sie um sechs Uhr morgens ihre Sachen unter den Arm nehmen und wieder raus. Deshalb wird bei uns auch nur selten ein Zimmer frei.« Das ist ein Erfolg, wenn bei den Leuten etwas so gut ankommt. Aber es geht eben nicht nur darum, Quartiere zur Verfügung zu stellen. Es geht darum, die Leute ganz von der Straße zu holen. Und das heißt: Arbeitsplätze schaffen. »Denn draußen schlafen braucht hier eigentlich keiner mehr!«, sagt Bernd Braun. Auch, wenn man immer wieder von 10.000 Berlinern ohne Dach überm Kopf spricht. Bei vielen ist es wie bei Ingo, der seit Jahren auf der Verkehrsinsel unter der Brücke am Kottbusser Tor schlief. Man hatte ihm ein Zimmer angeboten, aber er wollte keines mehr. Er ist ein Naturmensch, hatte er gesagt. Und er friere nie. Aber in einer Novembernacht erfror er. »Es ist eben manchmal verdammt schwer, an die Leute überhaupt heranzukommen. Die sind eingeschüchtert, ängstlich, zurückgezogen«, sagt Braun. So wie Ingo. Ingo Burghardt war der erste Kältetote in diesem Winter, weshalb man in der BZ begann, plötzlich eifrig über ihn zu recherchieren. Der Tagesspiegel widmete ihm einen Nachruf. Wärmer wurde ihm davon auch nicht mehr. Von einer Mitschuld an seinem Schicksal würden ihn die von der motz wahrscheinlich dennoch nicht ganz freisprechen. Sie betrachten Obdachlose nicht vom Schreibtisch herunter durch ideologisch getönte Intellektuellenbrillen. Viele von denen, die heute beim motz & Co & e.V. sind, waren auch einmal ziemlich weit unten. Aber sie haben sich aufgerappelt. Jetzt arbeiten sie wieder. Haben zurückgefunden in das, was man hier so Leben nennt: die eigenen vier Wände, die geregelte Arbeit ... Und auch, wenn das alles mit der Zeit manchmal schon wieder Alltag ist: sie wissen, daß Arbeit heute Luxus ist. Peter, der hinter der Kasse des Kaufhauses sitzt oder hinten im Lager zwischen Bergen von Kartons sitzt und aussortiert, was die von der Wohnungsauflösung mitgebracht haben, hat diesen Luxus. Er war der erste, der im Laden einen festen Job bekam. Er war auch dabei, als die Zeitungen, das Fernsehen, die Sozialsenatorin KnaakeWerner dem Kaufhaus ihre Aufwartung machte und die prophetischen Worte sprach: »Der Bedarf an solchen Läden ist groß«. Er war dabei, als die ersten Touristen hier hereinmarschierten, obwohl das Kaufhaus doch so wenig mit den legendären Kreuzberger Trödelläden gemeinsam hat. Und schon bald hatte sich die Kunde von »Berlins billigstem Kaufhaus« (Berliner Morgenpost) herumgesprochen. Kein Wunder, wenn das motzTeam sich bereits auf die Suche nach Räumen für einen zweiten Laden begeben hat. Damit auch dort noch ein paar Arbeitsplätze entstehen. Denn irgendeiner muß ja etwas tun in diesem Land. |