Kreuzberger Chronik
Februar 2006 - Ausgabe 74

Die Geschichte

Dannenberger in der Köpenicker


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von Werner von Westhafen

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Die Stimmung ist heute anders. Der unbändige Optimismus der Gründerzeit ist der Depression des 21. Jahrhunderts gewichen. Mitte des 19. Jahrhunderts aber konnten sich selbst nörglerische Zeitgenossen der Faszination der aufstrebenden Stadt Berlin nicht entziehen: »Regen und Schnee, Sturm und Kälte lassen die großen Schmutzflächen der Berliner Plätze und Straßen doppelt schauerlich erscheinen. Unabsehbar sind diese Wasserspiegel. Unter den Linden fegen die Straßenkehrer eine ganz eigentümliche breiige Masse zusammen, ein fünftes Element, das bekanntlich auch nur in oder doch bei Berlin die Erfindung einer gewissen Plastik aus Straßenkot möglich gemacht hat.«

Doch wenig später ist der Reisende voll des Lobes: »Die Zunahme Berlins an Straßen, Häusern, Menschen, industriellen Unternehmungen aller Art ist außerordentlich. Auf Stellen, wo ich mich entsinne, mit Gespielen im Grase gelegen und an einer Drachenschnur gebändelt zu haben, sitzt man jetzt mit irgendeiner Dame des Hauses, trinkt Tee und unterhält sich über eine wissenschaftliche Vorlesung aus der Singakademie. Wo sonst die blaue Kornblume im Felde blühte, stehen jetzt großmächtige Häuser mit himmelhohen geschwärzten Schornsteinen. Die Fabrik und Gewerbstätigkeit Berlins ist unglaublich.«

Der Besucher schwärmt vom Lokomotivenbauer Borsig, der bereits 500 Lokomotiven auf die Gleise geschickt und 3 Millionen Taler damit gemacht hat. Er schwärmt vom florierenden Eisenwarenhandel Ravenés am Schlesischen Tor, der es sich leisten konnte, nur aus einer Laune heraus sämtliche »verkäuflichen Weine in Bordeaux« aufzukaufen und »das Modell einer großartigen, aber soliden Weinhandlung aufzustellen, an der es ihm in Berlin sehr nötig schien«. Auch Goldschmidt und Dannenberger erwähnt er, zwei Kattunfabrikanten, die »Tausende von Menschen, die Bevölkerung kleiner Stadtbezirke, beschäftigen«. Heute ist die Dannenberger Kattundruckerei in der Köpenicker Straße ebenso vergessen und Vergangenheit wie der große Aufschwung. In der Gründerzeit aber war der Sohn des Berliner Uhrmachers ein Shootingstar unter den Industriellen, den man in den Preußischen Landtag berief und mit dem Titel des Geheimen Kommerzienrates würdigte.

Obwohl es Stimmen gab, die, wie Jürgen Kuczynski in seiner Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus zitiert, nicht viel von diesen Industriellen hielten: »Noch jetzt bestehen selbst in Berlin Baumwollfabriken ... mit einem Umsatze von 50100 Tausend Talern«, deren Besitzer »mit Mühe ihren Namen schreiben, ihre einfachen Bücher nicht abschließen können, und denen die Erde mit Potsdam und Frankfurt a./O. begrenzt ist.«

Auch der Stil der Unternehmer ließ an Ehrgefühl vermissen. Weltweit belauerten die neuen Firmeninhaber einander und verfolgten die technischen Errungenschaften der Konkurrenz im In und Ausland mit Argusaugen. Immer wieder reiste man ins Feindesland, um sich an den Ideen anderer zu bereichern. »Durch Täuschung, Betrug und Bestechung gelang es Festlandseuropäern immer wieder (...), die englischen Rechtsvorschriften zu unterlaufen. Zu den findigsten Unternehmern auf dem Felde der Wirtschaftsspionage zählte der Berliner Kattundruckereibesitzer Johann Friedrich Dannenberger.«

Denn führend in der Kunst der Baumwolldrucktechnik waren die Engländer. Bereits 1785, ein Jahr vor Dannenbergers Geburt, war es ihnen gelungen, die erste Walzendruckmaschine herzustellen, mit der sie den aus dem fernen Osten importierten handbedruckten Baumwollstof
fen namens Indiennes und Kattune Konkurrenz machten. 1803 entwickelten sie die sogenannten Kupferstichmaschinen zur Herstellung der Druckwalzen. »Durch Maschinenausfuhr und Auswanderungsverbote und das Verbot, Ausländern Zutritt zu den Fabriken zu gewähren, suchte Großbritannien seine technischökonomische Vormachtstellung« auf dem Markt der Baumwolldruckerei zu retten. Doch der Mann aus der Köpenicker Nr. 3 ließ sich nicht einschüchtern. Er brachte nicht nur eine neue Maschine, sondern gleich die dazu passenden Arbeiter aus England mit.

Dannenberger kam von unten und wollte nach oben. Als Elfjähriger verließ Johann Friedrich die Schule, trieb sich einige Jahre als so genannter »Streichenjunge« herum, besann sich dann eines Besseren und begann eine Lehre als Kattundrucker, besorgte sich Fachliteratur und besuchte das technologischchemische Kolloquium an der Berliner Universität. Dort erregte er die Aufmerksamkeit des Professors, der seinen Famulus der Gewerbebehörde empfahl. 1812 gründet Dannenberger mit 1.000 Talern Grundkapital in der Köpenicker Nr. 3 eine Kattundruckerei, in der Muster und Farben allerdings noch mit Holzmodeln händisch aufgetragen werden. Aus Paris besorgte er sich das Modell einer Walzendruckmaschine, um sie nachzubauen  nicht, ohne das Konstrukt weiterzuentwickeln und patentieren zu lassen. Auch seine Rezeptur für das bei den Färbern unersetzliche »TürkischRot« wird patentiert, denn mit der neuen Methode benötigen die Druckereien für die Herstellung des roten Farbstoffes nur noch wenige Tage anstatt mehrerer Wochen.

1820 beantragt er den zollfreien Import einer Dampfmaschine, um seine »Fabrikate billiger zu stellen und zugleich den höchsten Grad der Vollkommenheit zu geben«. Dem unverschämten Antrag wurde stattgegeben. Als 1822 die Kunde einer neuartigen und extrem schnellen Maschine zur Herstellung von Druckwalzen Berlin erreicht, reist er allerdings lieber heimlich nach Manchester, besticht einen dort tätigen preußischen Agenten, die Sache für ihn auszuspionieren, kauft dann an mehreren Orten mehrere Textilverarbeitungsmaschinen, »die getrennt verpackt, zu verschiedenen Zeiten und von verschiedenen Häfen zum Versand gebracht wurden. Als eine dieser Sendungen vom Zoll aufgespürt, beschlagnahmt und dann versteigert wurde, standen schon Beauftragte Dannenbergers bereit, um die Sendung aufzukaufen und doch außer Landes zu bringen.« Zum Schluß überredet er noch zwei englische Drucker und den besten Stahlgraveur der Stadt, mit ihm nach Deutschland zu reisen.

Dannenberger war die Nummer 1 der preußischen Kattundrucker, selbst in Großbritannien genoß er den Ruf des Fachmanns. 97 Drucktische standen in der Köpenicker Nr. 3, bis zu 350 Menschen fanden Arbeit. Als die Kattundrucker in den vierziger Jahren streikten, weil die Maschinen ihnen die Arbeit nahmen, hatte Dannenberger die Firma bereits verkauft und saß als Politiker in bequemen Sesseln. Als die sogenannte »Gründerkrise« übers Land kam, bezog er längst seine Rente. Erst 87jährig starb der Kattundrucker und Geheime Kommerzienrat Johann Friedrich Dannenberger in Berlin.

Werner von Westhafen

Literaturhinweis: Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz; Berlinische Monatsschrift, Heft 9/94; »Made in Kreuzberg«, Kreuzbergmuseum, 1994, Edition Luisenstadt, 1998

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