Dez. 2006/Jan. 2007 - Ausgabe 83
Herr D.
Der Herr D. und die Winterwelt von Hans W. Korfmann |
Herr D. war vor dem plötzlichen Wintereinbruch in den gut geheizten Untergrund am Potsdamer Platz geflüchtet, hatte in den Geschäftsauslagen nach warmen Handschuhen gesucht und war zu dem Schluß gekommen, daß alles, was hier zum Konsum angeboten wurde, so überflüssig war wie die Teddybären, die Ampelmännchen oder die mit den Jahren immer kleiner werdenden Mauerbröckchen der Souvenirläden am Checkpoint. Verärgert, aber aufgewärmt, verließ er auf einer Rolltreppe die glänzende Unterwelt aus Granit und Glas, trat ans trübe Tageslicht des Potsdamer Platzes, wo ihm ein fieser Regen entgegenwehte, und lief ein paar Schritte, als sich ihm plötzlich eine große Holzhütte in den gewohnten Weg stellte. Die Holzhütte hieß »Salzburger Stiegl-Alm« und war, wie gerade eine Lautsprecherstimme verkündete, aus 300 Jahre altem Hüttenholz gezimmert und wegen des »durchschlagenden Erfolgs im letzten Jahr 2,5 Mio. Besucher! bereits zum 3. Mal in Berlin«. Es dauerte eine Weile, bis Herr D. verstand: Die »Winterwelt am Potsdamer Platz« war eine Verkaufsausstellung, in der Österreicher versuchten, Österreich zu verkaufen. »Und in der Mitte dieses wunderschönen Platzes« Herr D. sah sich kurz um, konnte den wunderschönen Platz aber nicht finden »ist die Snow & Fun Arena Hinterklemm für die Kinder.« Herr D. sah eine Art Karussell, auf dem sich fünf Kinder mit Skiern auf braun-grauem Kunstschnee im Kreis drehten wie die Ochsen in der Tenne. »Außerdem haben wir für Sie die größte mobile Rodelbahn Europas auf diesen wunderschönen Platz gestellt &« Herr D. sah eine etwa 50 Meter lange, sieben Meter hohe Holzpiste, auf die ständig neuer Kunstschnee gespritzt werden mußte, weil der Regen ihn gleich wieder wegschwemmte. »Its Snowtime, das freut die Kinder und die Erwachsenen auch &« Nebenan warben österreichische Reiseveranstalter in kleinen Holzhütten mit 30 km schneesicheren Pisten in 2.526 Metern Seehöhe. Sogar einen »waschechten Salzburger DJ« hatten sie »einfliegen assen«, und auch »an feschen Mädels soll es heute Abend nicht mangeln, meine lieben Berliner &« Tatsächlich sah Herr D. einige Blondinen in futuristischer Skikleidung durch schnittige Sonnenbrillen ins graue Tageslicht gucken, während an den Würstchenständen andere Damen traditionelle Strickmode präsentierten. Allmählich fühlte sich Herr D. wie in der Trumanshow , der letzte Echte in einer künstlichen Welt. Entschlossen, wie Truman bei der Flucht durch die Leinwand, trat Herr D. auf die »Schmankerl Hütte« zu, über deren Tür in fetten Lettern »Republik Österreich« stand, als warne man vor dem Überschreiten der Staatsgrenze. Tatsächlich war drinnen alles in Nationalfarben, rot-weiß kariert die Tischdecken und die Gardinen, ein hölzerner Jesus hing über der Bühne des »Ski-Circus«, und an den Wänden Perchten und Bilder röhrender Hirsche. Dazu gabs Brezerln, Germknöderln und Erdäpfelsuppen. Auch die von der Firma »Bergmann Eventgastronomie« errichtete Partyhüttn bestand aus 180 Jahre altem Hüttenholz. Am Ende wußte Herr D. nicht so recht, was ihm lieber war: Die Teddybären unter dem Granit von Sony und Daimler oder diese Österreichinvasion mit warmen Leberkässemmeln. Aber er wußte jetzt, warum er Kreuzberg an den kommenden Vorweihnachtswochenenden besser nicht verlassen sollte. Denn die zehn Jahre alten Bretter der Stände des Flohmarktes am Marheinekeplatz mit ihrem billigen, aber praktischen Kram reichten ihm vollkommen aus. |