Kreuzberger Chronik
Oktober 2005 - Ausgabe 71

Strassen, Häuser, Höfe

Die Kochstraße


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von Herbert Ostermann

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Früher, viel früher, hieß sie wie so viele andere auch: Kirchstraße. Wegen der Kirche. Jetzt heißt sie Kochstraße. Lange schon. Doch der Name ist umstritten.

Hört er den Namen »Kochstraße«, denkt der Berliner zuerst einmal an die U-Bahnstation, vielleicht an die taz oder an Springer, die hier ihren Sitz haben und an das alte Berliner Zeitungsviertel erinnern. Vielleicht denkt man noch an einen gewissen Robert Koch. Niemand aber denkt an den Königlich-Preußischen Hof- und Geheimrat und Kommissar der Serviskammer Johann Jacob Chochius, sprich Koch, der bereits 1734 das Zeitliche segnete. Seit diesem
Jahr allerdings trägt die Straße zwischen Charlottenstraße und Wilhelmstraße seinen Namen.

Womöglich war die Umbenennung der Kirchstraße im Todesjahr des Herrn Chochius ein letzter Dank dafür, daß der brave Bäckermeister seine Meierei am Tempelhofer Mühlenberg der Stadt schenkte, damit in Tempelhof endlich diese Straße gebaut werden konnte. Allerdings revanchierte sich der König für die geschenkten Wiesen und Ställe des Herrn Chochius mit Baugrundstücken an der späteren Kochstraße 21 und 65, sowie einem Filetstückchen an der Friedrichstraße 209. Auch den Posten des stellvertretenden Bürgermeisters erhielt Chochius zu dieser Zeit. So machte man auch damals schon seine Geschäftchen mit Ämtern und Immobilien in der Politik.

1964 wurde die eher kurze Kochstraße bis zur Lindenstraße verlängert. 271 Jahre lang hat der Name nun Bestand, womit sie zu einer der ältesten Straßen Berlins gezählt werden muß. Und das, obwohl dieser Koch doch im Grunde ein ziemlich unbedeutender Kommunalpolitiker war, über den in den Geschichtsbüchern auch reichlich wenig vermerkt ist. Jetzt aber soll ein wahrhaft geschichtsträchtiger Name auf das Straßenschild: der des Studentenführers Rudi Dutschke, der 1968 durch gezielte Kopfschüsse so schwer verletzt wurde, daß er das Sprechen nur mühselig wiedererlernen konnte und zeit seines Lebens an epileptischen Anfällen litt. An den Folgen eines solchen Anfalls ist er 1979 verstorben.

Die Idee, die Straße, in der einst Axel Springer das Volk gegen die Studenten aufwiegelte, ausgerechnet nach einem Wortführer der Bewegung zu benennen, kam nicht von den Grünen oder der PDS. Sie kam von der taz, die mit der neuen Namensgebung anläßlich des 25. Todestages von Rudi Dutschke einen Mann ehren möchte, der »die jüngere Vergangenheit Berlins wie der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich geprägt hat, der als Studentenführer eine gesellschaftliche Bewegung mit ausgelöst und getragen hat und der zum Symbol von Gegenöffentlichkeit und Meinungsfreiheit geworden ist«.

PDS und Grüne in Stadt und Land fanden Gefallen an dieser Idee, die SPD-Politiker verhielten sich sicherheitshalber erst einmal abwartend, und Eberhard Diepgen und seine CDU protestierten. Auch Kurt Wansner, Kreuzbergs politisches Fossil und amtierender CDU-Vertreter, empfindet die Aktion als »Provokation für alle aufrechten Demokraten«, denn Dutschke sei ein Feind der Demokratie und der Bundesrepublik gewesen. »Deshalb wäre es grotesk, wenn ausgerechnet die Institution, die er bekämpft hat, ihm diese Ehre zukommen lassen würde.«

Dabei war es, im Gegensatz zu vielen anderen 68ern, genau dieser Rudi Dutschke gewesen, der auf Podiumsdiskussionen in den Universitäten mit Argumenten und mit demokratischen Mitteln agierte. Er war es, der in Fernsehsendungen mit Philosophen, Politikern und Schriftstellern diskutierte, er tat das, was heute jeder Politiker tut: Er ließ keine Talkshow aus. Allerdings war er ein besserer Redner als die heutigen Politstars bei Frau Christiansen. Dutschke war der Wortführer der Bewegung, ausgerüstet mit Mikrophon und Megaphon. Radikal in seinen Ansichten, gemäßigt in der Tat. Dennoch wurde er zum Staatsfeind. Und hört man auf die CDU, dann ist er es noch heute. Im Osten habe er den Pazifisten gespielt und im Westen heimlich die Stadtguerilla aufgebaut, sagt Joachim Kohl.

Vielleicht befürchtete CDU-Sprecher Meissner, daß sich seine Kollegen mit derart veralteten Argumenten und verstaubten Formulierungen parteiideologischer Natur 25 Jahre nach dem Tod Dutschkes nur lächerlich machen würden, als er auf eine wesentlich pragmatischere Seite der Diskussion hinwies: Eine Namensänderung der Straße sei mit erheblichen Kosten verbunden. »Die Umbenennung kostet die Firmen in der Kochstraße ein Vermögen, weil sie vom Briefpapier bis zu den Visitenkarten alles umstellen müssen«. Man denke an die neuen Straßenschilder, die Änderungen in den Stadtplänen, Telefonbüchern usw.  Auch der U-Bahnhof Kochstraße müßte umbenannt werden, was eine exorbitant teuere Angelegenheit sei. Daß seine Regierungsgenossen nach dem Fall der Mauer nichts Eiligeres zu tun gehabt hatten, als sämtliche sozialistischen Namensgeber aus dem Berliner Straßennetz zu tilgen  was die Berliner tatsächlich ein Vermögen kostete, und manche von ihnen sogar ein Stück Identität und Heimat , das störte Meissner bei seiner Argumentation nicht.

Ebensowenig fehlte es der SPD an Einwänden. Auch wenn sich am Tag der ersten Abstimmung einige der gemäßigten Genossinnen und Genossen in der Kreuzberger Bezirksverordnetenversammlung für Dutschke aussprachen. Die Mehrheit war gegen Dutschke, und Frau Ingeborg Junge-Reyer, Berlins Bausenatorin, verstieg sich sogar in Spekulationen darüber, ob es nicht zu einer gefährlichen »Assoziation mit alten Konflikten« käme. Denn schließlich kreuze die neue Dutschkestraße dann auf halber Höhe die Axel-Springer-Straße. Dabei hat der ehemalige Dutschke-Feind Springer längst mit der weißen Fahne gewunken: »Wenn es zu einer demokratisch legitimierten Entscheidung kommt, werden wir diese respektieren«. Wahrscheinlich möchte der Verlag keinen Wirbel um die alten Geschichten. Anders als viele CDU-Politiker haben die Führungskräfte bei Springer längst verstanden: Die wilde Hetze gegen die Studentenbewegung gereichte dem auflagenstärksten Blatt der Republik nicht zum Ruhme.

So schieden sich scheinbar nur noch die politischen Geister an der Frage »Dutschke oder Koch?«. Doch eben nur scheinbar. Denn welchen Grund gäbe es, an einen vor 271 Jahren verstorbenen Bäckermeister zu erinnern, über den man ohnehin kaum etwas nachlesen kann? Rudi Dutschke dagegen ist über die Landesgrenzen hinaus bekannt, und Kreuzberg ist, so ausnahmsweise der SPD-Fraktionschef Andreas Hehmke, »als ein Ort des antiautoritären und radikaldemokratischen Protestes der richtige Ort für eine Ehrung«.

Und deshalb war man sich im Grunde auch in den politischen Gremien  trotz der öffentlichen Kontroversen  doch längst schon einig und sicher, daß es eine Dutschkestraße geben würde. Im September war es dann endlich beschlossene Sache. Koch geht, und Dutschke kommt. Zumindest auf dem Straßenschild.


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