Oktober 2005 - Ausgabe 71
Der Kommentar
Eine Straße für Rudi von Thomas Heubner |
Kürzlich verteilte die Kampfreserve der Berliner CDU vor dem Kreuzberger Rathaus Flugblätter und rief lautstark dazu auf, den elektronischen Briefkasten der Bezirksbürgermeisterin mit Protest-E-Mails zu überfluten. Motto: »Lieber Koch als Revolutionär!« und »Es gibt nur einen guten Rudi«, nämlich den Fußball-Völler-Rudi. Grund der Aufregung: Im Rathaus debattierten die Fraktionen noch heftig über die Umbenennung der Koch- in Rudi-Dutschke-Straße. Inzwischen ist es beschlossene Sache. Wahrscheinlich hätte demonstrative Gelassenheit anstelle propagandistischen Gefechtslärms den Jungkonservativen besser zu Gesicht gestanden. Denn erstens haben öffentliche Mißfallensbekundungen gegen Straßenumbenennungen in den vergangenen Jahren kaum etwas genützt. So hatten zaghafte Proteste gegen die Rückbenennung der Wilhelm- Pieck- in Torstraße in Mitte nichts bewirkt. Es ging ja nur um einen Tischler und den ersten Präsidenten der DDR. Auch über die Umwandlung der Dimitroff- in Danziger Straße im Prenzlauer Berg wurde wenig genörgelt. Warum einen Mann würdigen, der im Reichstagsbrandprozeß die Nazis demaskierte, wenn man dafür in der einstigen Reichshauptstadt der verlorenen Ostgebiete einschließlich Danzig gedenken kann? Zweitens dürfen die Christdemokraten und ihre Jugendorganisation nicht über jeden Stock springen, den ihnen der politische Gegner hinhält. Es ist zwar genial, wie die taz diesmal ein bißchen Geld sparte, indem sie auf eine neue Abo-Kampagne in eigener Sache verzichtete, dafür aber Reklame für die Dutschke-Straße machte, in der sich nun ihr Redaktionsgebäude befindet. Und schön auch, wie sich PDS, SPD und Bündnis 90/Die Grünen in trauter Aktionseinheit der taz-Kampagne anschlossen und die Straßenumbenennung unterstützten. Die CDU aber hätte sich nun wirklich nicht auch noch vor diesen Karren spannen lassen müssen, indem sie gegen Rudi wettert. Denn any press is a good press in diesem Falle eben für die taz und ihre neue Firmenadresse. Drittens, und das sollten die Buben und Maiden der Jungen Union bedenken, ist es mitnichten ein Treppenwitz der Geschichte, wenn künftig eine Rudi-Dutschke- auf die Axel-Springer-Straße stößt. Vielmehr ist es ein Sinnbild für jene Symbiose, die beide Männer schon vor über 30 Jahren heimlich eingingen, und die Dutschkes Sohn Marek heute wieder verkörpert, indem er mit einer BILD-Reporterin Küche und Bad teilt. Schon damals brauchte der kalte Krieger Axel Cäsar Springer den Rudi, die Studentenbewegung und den Enteignet-Springer-Slogan, um die Auflage seiner Blätter zu steigern. Und dem Rudi, wie dem Joschka, dem Jürgen und den anderen alten Straßenkämpfern kamen die publicityträchtigen Schmäh-Rufe der BILD-Zeitung gerade recht, um den langen Marsch durch die Institutionen anzutreten. Auf dem Weg dorthin verbreiten sie seitdem das beruhigende Gefühl, mit ihrer Partei könne man etwas für die Revolution tun. Auch, wenn die mit dieser Partei ganz gewiß nicht kommt. Wäre da ausgerechnet der Rudi aus der Reihe getanzt und ein unverbesserlicher street fighting man geblieben? Kaum anzunehmen. Vermutlich würde auch er heute im Wahlkampf für eine »solidarische Ökologisierung« streiten. Das ist bedenke dies, liebe Junge Union! ungefähr so revolutionär, wie sich einst der Meiereibesitzer und Königlich-Preußische Hofrat Johann Jacob Koch gegenüber seiner Obrigkeit gebärdete. Warum also sollte man nicht wenigstens einen Teil der Koch- in Rudi-Dutschke-Straße umbenennen? Es wäre nur zeitgemäß. |