Kreuzberger Chronik
Oktober 2005 - Ausgabe 71

Die Geschichte

Das Berliner Zeitungsviertel - 1.Teil


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von Werner von Westhafen

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Vor allem ging es ihnen ums Geld. Die Idee, mit dem geschriebenen Wort Einfluß zu nehmen auf das politische und kulturelle Geschehen in der Stadt und im Land, war zumindest den Gründern jener drei großen Verlage, die das Berliner Zeitungsviertel irgendwann einmal weltberühmt machten, fremd. Der erste der drei Großen, der ins Zeitungsgeschäft einstieg, war Rudolf Mosse. Der gelernte Buchhandlungsgehilfe kam aus dem Anzeigengeschäft, hatte die Anzeigenbeilage der beliebten Leipziger Gartenlaube betreut und 1867 in der Friedrichstraße seine Annoncen-Expedition Rudolf Mosse gegründet. Mosse pachtete ganze Seiten in ausländischen und inländischen Zeitungen und Zeitschriften, er betreute den kompletten Anzeigenteil von so berühmten Blättern wie Kladderadatsch und Simplicissimus. Irgendwann soll der Schwager Mosses gesagt haben: »Warum sammeln wir eigentlich Annoncen für andere Leute? Können wir nicht selbst das bißchen Text vor unsere Anzeigen setzen?« So wurde 1871 in der verlagseigenen Druckerei das erste Berliner Tageblatt gedruckt. Drei Jahre später hatte dieses Blatt 50.000 Abonnenten, und am Ende umfaßte das Verlagsgebäude in der Jerusalemer Straße sechs Hausnummern und 6.000 Quadratmeter.

Kleine Buch- und Zeitschriftenverlage hatten sich in der Berliner Vorstadt schon viele angesiedelt, doch mit Mosse, Scherl und Ullstein erreichte das Verlagswesen eine neue Dimension. Tatsächlich avancierte das Viertel zwischen Jerusalemer-, Koch-, Schützen- und Charlottenstraße um die Jahrhundertwende zum größten Zeitungsviertel weltweit. Die drei Verlagsgründer, obwohl gar nicht als solche angetreten, hatten ein untrügliches Gespür für das Zeitungsgeschäft in Berlin entwickelt. Der Erfolg hatte kaum ausbleiben können. Es war höchste Zeit für eine moderne Presse, einen weltoffenen Journalismus in Berlin, wo die Bürger noch immer in Lesezirkeln und Cafés die ausländische Presse studieren mußten, um informiert zu sein über das, was andernorts und im eigenen Land geschieht. Denn in Paris, London oder New York hatte sich längst eine moderne Presse etabliert, die über die Landesgrenzen hinausblickte und mit einer internationalen Berichterstattung Leser in aller Welt fand.

Doch während die Times ihren unvergleichlichen Siegeszug durch alle Länder der Welt antrat, regierte in Deutschland noch immer die »Alte Tante Voss« (die Vossische Zeitung), die Kreuzzeitung oder der Sozialdemokrat. Zwar distanzierte man sich auch in Berlin allmählich von der königlichen Hofberichterstattung, doch während sich im Ausland längst eine allgemeingültige Pressefreiheit durchgesetzt hatte, bastelte man hier noch an den Paragraphen und gestand dem Deutschen im Artikel 4 der Verfassung zwar das Recht zu, »durch Wort, Schrift, Druck und bildliche Darstellung seine Meinung frei zu äußern«, verbot jedoch schon wenige Jahre später mit Paragraph 11 des »Gesetzes gegen gemeingefährliche Bestrebungen der Sozialdemokratie« sämtliche »Druckschriften, in welchen sozialdemokratische, sozialistische oder kommunistische« Inhalte zu lesen waren.

Auch noch im Jahr Vier nach der Nullnummer des Berliner Tageblattes spottete ein französischer Journalist: »Seit Berlin zu Ruhm gekommen ist, werden Zeitungen öffentlich verkauft. Aber unsere Kioske sind noch immer unbekannt, und der kleinste Schreibwarenhändler würde glauben, sich etwas zu vergeben, wenn er eine Zeitung in sein Fenster hängt. Nur in dem kleinen Gemischtwarenladen erspäht man zwischen einem sauren Hering und einer Schachtel Schuhwichse den Kladderadatsch oder den Ulk. Die Zeitung sieht das Auge an, aber es ist stets der Hering, zu dem der Berliner greift.« (Victor Tissot, 1875)

Die Unsichtbarkeit der Zeitungen in der Stadtlandschaft fand spätestens mit August Scherl, dem Zweiten im Bunde der glorreichen Drei, ein jähes Ende. Am 3. November 1883 ließ er von 2.000 Zeitungsjungen jeweils 100 Exemplare des ersten Berliner Generalanzeigers kostenlos in den Straßen verteilen. Die 200.000 kostenlosen Zeitungen waren die Grundlage für ein Verlagsimperium mit 5.000 Angestellten. Der Berliner Lokalanzeiger flatterte von nun an gegen eine vierteljährliche Zustellgebühr von 30 Pfennigen in über 150.000 Berliner Haushalte, wurde zur Lieblingslektüre des Kaisers und demzufolge zum Regierungsblatt.

Vom Journalismus hatte auch Scherl, der zuvor in Köln mit einer Rollschuhbahn ein Vermögen gemacht und dieses wegen einer Liebschaft auch gleich wieder verloren hatte, keine Ahnung. Doch holte er sich den ehemaligen Chefredakteur des New York Herald an seine Seite und entwarf das Konzept für eine kurzweilige Tageszeitung, die auf Leitartikel verzichtete und vollgestopft sein würde mit Nachrichten aus aller Welt. Was ihm vorschwebte, war eine Art Bild-Zeitung am Ende des 19. Jahrhunderts. »Die Sensation«, sagte der frischgebackene Verleger, »ist das Alpha und das Omega des journalistischen Berufs.«

Für Sensationen und Schlagzeilen sorgte Scherl dann gerne auch persönlich. Man sah ihn auf dem Flugfeld in Tempelhof, wo er Motorflugsport betrieb, oder er baute seiner Frau im Grunewald ein Märchenschloß, das er zwei Tage später wieder abreißen ließ, da es der guten Therese nicht gefiel. Man begann sich zu sorgen um den mehrfachen Millionär, dem die Millionen so wenig zu bedeuten schienen, und die Familie dachte bereits über eine Entmündigung nach, da entschloß sich August Scherl zum Verkauf. 1916 ging der Verlag an den Deutschen Verlagsverein unter dem Vorsitz eines gewissen Alfred Hugenberg.

Foto: Kreuzberg Museum
Pressefotograf während der Revolutionskämpfe 1918/19 in der Kochstraße.

»Gestern habe ich nun in der That und wirklich einen großen Kauf gethan, nämlich eine Zeitung nebst Buchdruckerei ...«, schrieb auch der Papiergroßhändler Leopold Ullstein und glaubte, damit für seine beiden Söhne ausgesorgt zu haben. 1877 erwarb er das Neue Berliner Tageblatt. Doch Ullstein, dem Dritten im Bunde der großen Verleger aus Kreuzberg, ging es nicht allein um Geld. Er war der einzige, dem es um mehr als nur wirtschaftlichen Erfolg ging. Er hatte »Vergnügen« an der ihm »zusagenden Beschäftigung«. Und er war politisch engagiert, Mitglied der Berliner Stadtverordnetenversammlung, immer wieder wurde die gesamte Auflage seines Blattes wegen »Bismarck-Beleidigung« beschlagnahmt. Im Hause sprach man bereits von »Sitzredakteuren«, so viele von ihnen mußten ihre Artikel aus dem Knast schicken. Dessen ungeachtet wuchs das Privatvermögen Ullsteins zu einem der größten Berlins, die Berliner Illustrierte Zeitung, die Berliner Abendpost und schließlich auch die Berliner Morgenpost erblickten in seinem Haus das Licht der Welt. Und von all den vielen Zeitungen, die vor dem Krieg im berühmten Berliner Zeitungsviertel entstanden, hat nur eine einzige überlebt: die so gern als »Mottenpost« verspottete Morgenpost.


(Teil II der Geschichte in der nächsten Kreuzberger Chronik)


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