November 2005 - Ausgabe 72
Die Geschichte
Das Berliner Zeitungsviertel - 2.Teil von Werner von Westhafen |
Es war die Zeit des Aufschwungs und der Industrialisierung, Berlin war nicht mehr nur die Hauptstadt Preußens, sondern Deutschlands, das Geschäft mit der Vermittlung von Anzeigen blühte. Mosse, Scherl und Ullstein, tief in diesen Anzeigengeschäften verwurzelt, hatten mit ihren gutgehenden Geschäften das notwendige Kapital erwirtschaftet, um in der neuen Hauptstadt eine moderne Zeitungslandschaft entstehen zu lassen. Jedes der drei großen Verlagshäuser brachte mehrere Zeitungen und Zeitschriften heraus, und im Ullstein Buchverlag erschien zu Anfang des neuen Jahrhunderts so etwas wie das erste Taschenbuch: das schon bald beliebte »Ullsteinbuch«. Der erstaunliche Erfolg des Papierhändlers Ullstein, des Anzeigenvermittlers Mosse und des ehemaligen Rollschuhbahnbesitzers Scherl als Zeitungsverleger basierte zum einen auf der starken Nachfrage nach neuen, weltoffenen Zeitungen, wie man sie in London oder New York bereits kannte. Zum anderen waren es die technischen Entwicklungen, die das Erscheinungsbild der Zeitungen veränderten. Fotokameras wurden entwickelt, die mit lichtempfindlicheren Objektiven ohne Stativ auskamen und die Pressefotografie revolutionierten. Die neuen, bebilderten Beiträge prägten die sogenannte »Illustrierte«, und es dauerte nicht lange, da erschien auch wieder bei Ullstein das erste Boulevardblatt: die BZ am Mittag. Die BZ wurde ein Erfolg. In ihren Glanzzeiten erschien das Blatt aus der Kochstraße gleich viermal täglich mit einem ausführlichen Sportteil, der in einer eigens eingerichteten Redaktion entstand. In der BZ erschienen auch die ersten Filmkritiken, sogar einen Feuilletonteil leistete sich das alle paar Stunden erscheinende Blatt. Der eigentliche Trumpf aber waren die aktuellen internationalen Berichte. Ullstein hatte Telefonreporter in aller Welt, die die Berliner mit den neuesten Nachrichten versorgten. Das Telefon und der Fernschreiber, aber auch die sich rasant weiterentwickelnde Drucktechnik, veränderten die Berliner Zeitungslandschaft nachhaltig. Es vergingen keine 15 Minuten mehr zwischen dem Eintreffen einer Nachricht und der Herausgabe eines Extrablattes oder einer aktualisierten Ausgabe der BZ am Mittag. Auch die ersten Frauenzeitschriften kamen in diesen Jahren auf den Markt. Wieder war es der Ullstein Verlag, der das a#Blatt der Hausfrau, Die Dame oder Die praktische Berlinerin herausgab, schon bald mit ganzseitigen Modefotografien und beiliegendem Schnittmuster für die heimischen Schneiderinnen. Schon damals ahnte man, daß die Damen im Grunde die besseren Leser waren als ihre Herren. Die Herren suchten sich in einer halben Stunde jene Informationen aus der Zeitung, die sie brauchten. Die Damen aber lasen aus einer Charaktereigenschaft heraus, die man gemeinhin als weibliche bezeichnete: aus Neugierde. So stürzte auch der Erste Weltkrieg die großen Verlage nicht in die Krise, die Damen blieben ja daheim. Auch wenn das Papier allmählich knapp und die Zeitungen immer dünner wurden: Der alltägliche Bedarf an Informationen wollte gedeckt sein, die Berliner hatten sich an eine aktuelle und freie Presse gewöhnt. Am 9. November 1918 jedoch verkündete die BZ am Mittag: Der Kaiser hat abgedankt«. Und schon am Abend schrieb sie: »Ebert voraussichtlich Reichskanzler. Vor der Einführung einer Regentschaft. Ausschreibung der Wahlen für die Nationalversammlung. Arbeiter- und Soldatenräte in Berlin.« Da gerieten die großen Blätter plötzlich in eine Krise. Man sprach von der November-Revolution. Noch am Abend des 9. November besetzten Spartakisten die Redaktion im ehemaligen Scherl-Verlag, wo ein gewisser Hugenberg noch immer als Herausgeber des Lokal-Anzeiger fungierte. In den folgenden Tagen druckte man nicht mehr den kaisertreuen Anzeiger, sondern die Rote Fahne. Am 5. Januar eskalierte der Kampf ums Zeitungsviertel, die Spartakisten besetzten das Mosse-Haus in der Schützenstraße, die großen Papierrollen wurden zu Barrikaden auf die Straße gerollt, und »in den folgenden Tagen herrschte eine unheimliche Stille in dem ansonsten so lebhaften Viertel. Niemand traute sich mehr auf die Straßen, denn aus den Häusern wurde geschossen« (Agnes Lanwer in Geschichtslandschaft Berlin). Erst am 11. Januar siegten die von Friedrich Ebert beauftragten Truppen nach erbittertem Kampf über die Spartakisten. Was dann kam, waren die Glanzzeiten. Im Windschatten des kulturellen Höhenflugs der 20er Jahre wuchsen auch die Tageszeitungen der Hauptstadt weit über sich hinaus und erreichten eine Qualität in Wort und Bild, an die bis heute kein Berliner Magazin je wieder herankam. Besonders das Feuilleton wurde in jenen Jahren kultiviert. Die Autoren waren keine gewöhnlichen Journalisten mehr, sondern namhafte Schriftsteller. Es gab Fortsetzungsromane, Essays, Reisereportagen, Satiren, in den Tageszeitungen herrschte ein literarisch-intellektueller Ton vor. Allein Theodor Wolff, langjähriger Chefredakteur des Berliner Tageblatt und Namensgeber des nach dem Kisch-Preis wohl renommiertesten deutschen Journalistenpreises, versammelte ein literarisches Autorenensemble um sich, von dessen Kaliber heute sogar Buchverlage nur noch träumen. Im BT aus dem Hause Mosse schrieben Else Lasker- Schüler, Heinrich Mann, Stefan Zweig, Gerhart Hauptmann, Alfred Kerr oder eben auch Egon Erwin Kisch. Bei der Vossischen Zeitung, die Ullstein übernommen und komplett renoviert hatte, schrieben Kurt Tucholsky und Arthur Schnitzler, und Berthold Brecht überließ Ullstein einen Roman zum Abdruck in Fortsetzungen. Bei der Berliner Illustrierte wiederum zeichnete niemand anders als der berühmteste Maler Berlins schlechthin: Heinrich Zille. Foto: Kreuzberg Museum
Von den vielen Millionen Reichsmark blieb nicht viel, und von 4.703 deutschen Zeitungen blieben am Ende nur noch 352. 1945 endlich zerstörten Engländer und Amerikaner das Zeitungsviertel aus der Luft. Ullstein allerdings kehrte 1947 nach Berlin zurück. Das Druckhaus in Tempelhof war unbeschädigt geblieben und kündet durch seine Größe und Lage noch heute vom alten Glanz. In der Brache des alten Zeitungsviertels aber siedelte sich nach dem Krieg ein neuer Hamburger Verleger an: Axel Springer. |