Kreuzberger Chronik
November 2005 - Ausgabe 72

Die Geschäfte

Docura - der Schokoladen


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von Isabelle Mayer

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Das schöne ist, daß die meisten, die hier reinkommen, gute Laune haben«, sagt Jascha Kappelmeyer, von Haus aus Wirtschaftsjurist. Früher, als er an der Börse arbeitete und Anleger von den Vorzügen diverser Aktien überzeugen sollte, die am Ende selten hielten, was sie versprachen, war er oft in der Defensive. Seit er anstatt wertloser Wertpapiere Schokolade verkauft, gibt es keine Reklamationen mehr. Die Kunden sind glücklich. Manchmal mehr als das.

»Ich möchte diese Chilischokolade von Venchi wiederhaben!«, sagt eine junge Frau, und beim Bezahlen verrät sie kichernd: »Die ist wirklich toll, ich hatte so einen richtigen Schokoorgasmus!« Kappelmeyer lächelt nachsichtig und plaudert ein paar Sätze über die Vorzüge der Schokolade. »Tschüssiii«, flötet die Kundin noch im Hinausgehen und gibt der nächsten jungen Frau die Klinke in die Hand. Die kommt auf Kappelmeyer zu und sagt: »Ich habe gehört, daß Sie alles über Schokoladen wissen. Ich suche etwas, das es woanders nicht gibt«. Kappelmeyer lächelt, er versteht seine Kundinnen gut.

Die meisten von ihnen sind Frauen. Es sind keine speziellen, es sind ganz normale Frauen, junge und alte, verheiratete und weniger verheiratete, schlanke und ein bißchen weniger schlanke. »Die Dicken gehen in den Supermarkt«. Männer kommen eher selten, die meisten von ihnen am Valentinstag und eben zu Weihnachten. Die Männer sind die einzigen, die keine wirklich gute Laune haben, keine Vorfreude auf den Genuß zeigen. Sie sind im Streß und wissen nicht, wonach sie suchen sollen, sie haben das Geheimnis der glückspendenden Kakaobohne noch nicht entdeckt, das ihre Frauen und Freundinnen schon so lange so glücklich macht.

Foto: Dieter Peters
Frauen dagegen nehmen sich das Bastkörbchen und lustwandeln die schokobraunen Regale entlang, sie stehen meditierend vor den verführerischen Tafeln, die in seidig glänzendes, geschmackvoll gefärbtes Papier geschlungen sind wie verführerische Körper in Samt und Seide. Blitzartig schnellen ihre Zungenspitzen hervor und benetzen ganz kurz die Lippen, wenn sie vor dem himmelblauen Karton mit den französischen Truffes Fantaisie zu dem verführerischen Preis von 4,95 für 250 Gramm stehen. »Davon verkaufen wir täglich mindestens einen Karton, das sind wirklich gute Trüffel!«

Auch angesichts der Nougatpackung von Caffarel bekommen die Schokokäuferinnen glänzende Augen, obwohl auf dieser Packung ausnahmsweise einmal keine Frau sinnlich lächelt wie die Stewardessen auf den Packungen von Starbrook Airlines, sondern ein krummes, koboldartiges Männchen grinst. Doch das stört die naschende Weiblichkeit wenig, womöglich sehen die Verklärten in dem Turiner Zwerg den siegreichen Napoleon. Schließlich war er es, der die Einfuhr von Kakao einschränkte, worauf die erfindungsreichen Konditormeister statt der Kakaobohnen Haselnüsse zu mahlen begannen und das Nougat erfanden. Der »Autentico Giandioutto di Torino« ist gerade 140 Jahre alt geworden, doch noch immer hat er blutjunge Verehrerinnen.

Auch Marina Pereira Montiero liebt Schokoladiges. Spätestens, seit sie mit ihrem Freund durch Italien reiste, durch Spanien, Portugal, Dänemark, um in jedem fremden Städtchen zuerst einmal nach der nächsten Konditorei zu fragen. Es war einmal ihr Traum, gemeinsam die halbe Welt zu bereisen, immer auf der Suche nach neuen Schokoladen. Inzwischen fahren sie einmal im Jahr auf die Messe nach Köln, wo Milka-Häschen und Ritter Sport die Hallen belagern. Das gehört jetzt zum Job.

Denn Marina Pereira Montiero ist keine in Schokoladen verliebte Träumerin, auch nicht Wirtschaftsjuristin: Sie ist Betriebswirtin. Und deshalb hat der kleine Laden in der Zossener Straße auch seine Kundinnen gefunden. Stammkundinnen, die mit angenehm beruhigender Regelmäßigkeit einmal in der Woche vorbeikommen und zwei Tafeln Schokolade kaufen. Tage wie jener nach der Arte-Reportage über den Trend zu »Plantagenschokoladen«, die nach Lagen und Gütern beurteilt werden wie edle Weine, woraufhin am nächsten Morgen 140 telefonische Bestellungen für »Superedelschokoladen« mit den Bezeichnungen Blend Nº I oder Barrique eingingen, sind selten. Doch betreten immer mehr Kunden den Schokoladen und fragen »nach der Schokolade von dem verrückten Italiener«.

Die Schokoverkäufer wissen sofort, wer gemeint ist: Domori ist »der Stern am Schokoladenhimmel«, meint Marina Pereira Montiero. Eine Schokolade, die selbstverständlich ganz ohne das unter Schokofetischisten verhaßte Lecitin auskommt, manchmal sogar ohne Zucker. Schokolade pur  zu 4,50 die 75 Gramm, oder, wenn es die edelste von Domori, »Puertofino«, sein soll, schlanke 25 Gramm zu 3,20. Stolze Preise, doch wer weiß, das der verrückte Italiener zehn Jahre warten mußte, bis er die erste Kakaobohne auf seinem Gut in Venezuela ernten konnte, der weiß immerhin, warum. Auch, wenn die Edle am Ende gar nicht schmeckt, »denn das hat mit Schokolade aus dem Regal an der Kasse bei Plus nicht mehr viel zu tun.«

Ebensowenig wie die Tafeln von Michel Cluizel oder von New Tree mit Zitrone zur Anregung der Verdauung oder Lavendel zur Beruhigung der Nerven  falls die Kakaobohne dann doch etwas zu glücklich macht. Skurril, wenn auch mit einer Spur Selbstironie, die Marke Zotter aus Österreich mit »Pusspuss  für Naschkatzen«, »Stutenmilch« oder ihrer »Grammelnussn vom Waldschwein«, einer Schokolade aus Kakao, Haselnüssen, Zucker, Salz, Zimt und echten Grammeln (»Grieben«  Anm. des Übersetzers) vom Waldschwein. Damit machen die Österreicher selbst Coppenuer mit ihren Creationen aus Kakao und »Ingwer mit Zitronengras«, »Rosenblüten in Grappa« oder »Berberitze an Erdnußcaramel« Konkurrenz.

Für den einfachen Geschmack der Engländer in der Stadt gibts Cadbury, denn alles andere sei keine Schokolade, und für politisch korrekte Männer mit Potenzproblemen protzig-dicke Schoko-Havannas. Es scheint also eine ernste Sache zu sein, die Sache mit der Schokolade, auf keinen Fall ist das Naschen heute Kinderkram.

Aber was wäre ein Schokogeschäft ohne Kinder? Zumal hinter dem Tresen schon der erste Nachfahr von Kappelmeyer & Montiero herumkrabbelt. Also gibt es in der Zossener Straße auch eine Kinderabteilung mit Schokobananen, Schokopilzen, Schokoglückskäfern, Schokozwergen, Schokomäusen und diesen surrealen, silbrig glänzenden Schokoladensardinen. Auch das Brausebonbon »Frizy«, die Lollies in schrillen Farben (seit 1885) und die glänzenden Zuckereier sind wahrscheinlich aus Liebe zum Kind ins Sortiment gewandert. Aber auch bei den Naschereien für die Kleinen weiß man eigentlich nicht, was kunstvoller ist: die Verpackung oder ihr Inhalt. Und so ist das ja schließlich immer bei echten Geschenken.

Isabelle Mayer

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