Kreuzberger Chronik
Mai 2005 - Ausgabe 67

Die Geschäfte

Die Venus-Frisierbar


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von Hans W. Korfmann

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Die Kreuzbergstraße, das unbekannte Anhängsel der Bergmannstraße mit ihrem prallen Leben, macht selten von sich Reden. Obwohl sie am Fuße des Kreuzbergs liegt, der dem Viertel seinen Namen gab, brachte sie es selbst noch nie zu Ruhm und Ehre. Jahrzehntelang war die »Osteria« das einzige Lokal in der Straße mit Tradition und treuer Kundschaft, ansonsten kam hier nur freiwillig durch, wer zum Viktoriapark wollte. Jetzt sitzen gegenüber des Wasserfalls, wo einst eine eher lichtscheue Eckkneipe residierte, Menschen an Tischen in der Sonne und trinken italienische Weine. Auch an der Ecke zur Katzbachstraße hat ein kleines Café unter der Markise Stühle und Tische aufgestellt.

Zwischen den beiden steht neuerdings ein Schaukelstuhl auf dem Trottoir, genau vor einem Blumentopf mit Räucherstäbchen und gelben Lilien. Auf der anderen Seite der Tür steht unter dem Fenster eine Bank, davor ziehen acht kleine Holzhocker mit orientalisch bestickten Sitzkissen und zwei niedrige Bambustische mit jeweils einem Schälchen voller Kürbiskerne die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich. Über dem gemischten Ensemble hängt eine rote Laterne, auf der steht geschrieben: »Bar«. Und dann, über dem Schaufenster, wird man präziser und gibt dem Laden einen Namen: »Venus-Frisierbar«.

Die Passanten bleiben stehen, manche setzen sich sogar und bestellen einen Kaffee, nur um dieses Rätsel zu lösen: Ist das nun eine Bar mit Venus oder ist das keine Bar? Sie setzen sich und bestellen einen deftigen Espresso für 1,20, einen duftenden Macchiato oder einen noch unbekannten Cortado für 1,50. »Ein Cortado, das ist eine spanische Variante, im Grunde ein verlängerter Espresso mit Milch ...«, sagt ein junges Mädchen, und der Blick des neugierigen Gastes fällt in ihren Ausschnitt und bleibt da irgendwie haften. Es ist Frühling.

Andere nehmen die frisch zubereitete Tagessuppe für drei Euro, um sich ein bißchen umzuschauen, um zu verstehen, was hier vor sich geht. Sie wundern sich über die Öffnungszeiten, die für eine Bar ausgesprochen ungewöhnlich sind. Denn die Venus-Frisierbar schließt, wenn andere erst aufmachen, nämlich schon um 20 Uhr. Nein, das kann keine Bar sein, auch wenn dieses junge Mädchen, das die Suppe brachte, regelrecht bezaubernd ist. Ein Friseur kann es aber auch nicht sein, denn nirgendwo hängt das Bild des durchgestylten Frauenkopfes, das bei kaum einem Friseur fehlt, auch bei den alternativsten nicht. Auch von der üblichen Trockenhaube im Fenster keine Spur.

»Sagen Sie, was heißt eigentlich Frisierbar?«, fragt dann der Gast ganz unverblümt eine nicht mehr ganz so junge Frau, und erfährt, daß vorne die Bar ist und hinten der Friseur. »Aber ...  daß da hinten ein Frisiersalon ist, darauf kommt doch kein Mensch!«, sagt der Gast. »Das ist eben eine versteckte Perle ... die muß man finden ...«, sagt Silvia Hennig und lacht. Denn Silvia Hennig braucht nicht mehr zu werben. Sie hat ihre Kunden mitgebracht. Aus Schöneberg, aus der Goltzstraße.

19 Jahre lang hat sie dort frisiert. Einige ihrer Kunden halten ihr schon seit 19 Jahren die Treue, folgen ihr auf dem Fuß. »Venus« hieß der Salon, es war ihr Salon, er hatte sieben Stühle, und er war Kult. Aber eines Tages wurde ihr das mit den Angestellten, dem Papierkram und diesem ganzen Geschäft einfach zu viel. »Außerdem hat sich die Goltzstraße mit den Jahren ganz schön verändert.« So wie die Bergmannstraße ja auch. Deshalb hat sie sich nach einem kleineren Laden umgesehen, nach »etwas Schnuckligerem«, etwas für ihren Sohn und sie. »Man muß sich ja heute, wo es kaum noch vernünftige Arbeitsplätze gibt, etwas länger kümmern um die Kinder.« Und da kam Frau Hennig die Kreuzbergstraße mit diesem Platz an der Sonne gegenüber dem Park gerade recht.

Denn Miro, ihr Sohn, arbeitete früher schon im Freischwimmer. Und er arbeitete gern da, er mag den Job hinterm Tresen, die Berliner Cafészene, diese Landschaft aus Tischen und Stühlen auf der Straße. Jetzt ist er sozusagen sein eigener Chef. Von der Mutter einmal abgesehen. Auch wenn die Mutter die Bambustische ausgesucht hat, dieses bunte Ensemble, diese Kreuzberger Mischung aus Orient und Okzident, die jeden, der vorbeikommt, irgendwie neugierig macht.

Sie haben gleich zwei Anträge stellen müssen für ihr Geschäft, einen für den Friseursalon und einen für die Bar. Um den für die Bar zu bekommen, oder für »eine Getränkehalle, oder wie das hier offiziell heißt«, mußten sie einen 6-stündigen und kostenpflichtigen Kurs in Gastronomie absolvieren, in dem ihnen erklärt wurde, was verboten und was erlaubt ist in Berlin. Öffnen allerdings durften sie ihren Getränkeausschank trotzdem nur bis 20 Uhr. Wegen des Friseurgeschäftes im Hinterzimmer.

Foto: Michael Hughes
Doch Miro und Silvia Hennig sind nicht nach Kreuzberg gekommen, um ausgerechnet da, wo die Nächte noch lang sein sollen, um 20 Uhr Feierabend zu machen. Denn da war nicht nur die viele Arbeit, die ihr Salon im Nachbarbezirk machte, da war noch etwas anderes: »Mir fehlte das Brodeln in Schöneberg«, sagt Silvia Hennig, »da wohnten irgendwann nur noch brave Familien.« Am Fuße des Kreuzberges glaubt sie, ein bißchen von diesem Brodeln wieder zu spüren. Hier, mit der kleinen Kneipe nebenan, aus der von morgens bis abends Betrunkene taumeln, den Joggern gegenüber im Park, den rodelnden Kindern im Winter, den Leuten aus den Hinterhöfen mit ihren kleinen Verlagen und Handwerksbetrieben ...  »Das ist keine Einkaufsmeile, das ist noch Kiez!« Die Kreuzbergstraße ist eben noch nicht durchgestylt. Styling ist nicht alles. Nicht einmal für die Friseurin Silvia Hennig.

Sie könnte, wenn eine Kundin das wollte. Stylen. Kunstwerke auftürmen, die auffallen würden. Selbst in Kreuzberg. Sie macht es auch manchmal noch. Venus in der Goltzstraße war Kult. Aber sie kann auch so schneiden, daß es kaum einer merkt. Daß einem nicht gleich alle entgegenrufen: Warst du beim Friseur? Sie schneidet die verschiedensten Frisuren, «sonst wäre das doch langweilig«. Und Langeweile erträgt sie nicht. Überhaupt nicht.

Nur noch zwei Stühle hat sie jetzt hinten im schlichten, tonfarbenen Frisierzimmer. In einem sitzt ein Mann, Frau Hennig setzt die Schere an. Mit der Gelassenheit eines langjährigen, jahrzehntealten Kunden beobachtet er im großen Spiegel, wie das Haar fällt, während sich vorn am Tresen zwei Männer über den Garten eines Hauses unterhalten. Dann über die Frauen. Und dann über das Essen. Vielleicht hört der Mann im Frisiersessel zu. Frau Hennig nicht. Sie konzentriert sich. Es ist ein bißchen wie im Süden in der Venus-Frisierbar. In diesen alten Cafés und Kneipen, in deren Hinterzimmern Kinder geboren werden, Zähne gezogen, die Rente ausgezahlt, der Bürgermeister gewählt, der Strom bezahlt  oder eben Haare geschnitten werden.

Hans W. Korfmann

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