März 2005 - Ausgabe 65
Die Geschäfte
Der Laden von Tacettin Algül von Peter Lachmann |
Zuerst gab es nur Zigaretten. Zigaretten und Zeitungen. Und farbige Journale. Spiegel, Stern und Superillu. Einen großen Stapel BZ, zwei kleinere Stapel Morgenpost und Tagesspiegel, zwei noch kleinere Stapel Berliner und die ZEIT. Und dann noch die taz. Zwei oder drei Exemplare. Damit war der Bedarf an Tageszeitungen für diese Straße gedeckt. In dieser auch an sonnigen Tagen grauen und von Hunden verschmierten Eylauer Straße am Rande Kreuzbergs, kurz vor der Brücke nach Schöneberg. Eine namenlose Straße, die außer den paar Bewohnern und dem Postboten keiner kennt, nicht der Taxifahrer und nicht die eingefleischtesten Kreuzberger Patrioten. Restaurants, die hier eröffneten, schlossen bald wieder, Frisöre, Bäcker oder gar Feinkostgeschäfte haben in dieser Straße kaum Überlebenschancen. Nur Holst am Kreuzberg, das Vereinslokal von Hertha mit dem Spielautomaten, der schlechten Musik und den fünf Gestalten am Tresen hält sich hier noch. Und der kleine Zeitungsladen. Zeitungen und Zigaretten kann man überall verkaufen. Doch Zeitungen und Zigaretten gibt es auch am anderen Ende der kurzen Straße, und deshalb machte Tacettin Akgül das, was so viele seiner Landsmänner vor ihm auch schon taten: Er fuhr zum Fruchtmarkt, kaufte Obst und Gemüse und drapierte Äpfel, Birnen und Tomaten möglichst malerisch neben seiner Ladentür. Vielleicht lag es an dem schmucklosen Fünfzigerjahrebau gegenüber, an der Kriegsbrache nebenan, an der vielen Hundescheiße, die nicht zu dem Gemüse paßte, vielleicht lag es auch daran, daß schon bald zweihundert Meter weiter ein Konkurrent eröffnete, bei dem Äpfel und Birnen nur die Hälfte jenes Preises kosteten, den Herr Akgül verlangte: Aldi. Hätte er seine Aprikosen, »die besten Aprikosen, die man je in Berlin gegessen hat«, in der Bergmannstraße angeboten, es wäre wahrscheinlich keine einzige übriggeblieben. Auch bei einem Preis von 3 Euro nicht. In der Eylauer Straße aber hatten auch die besten Aprikosen Berlins keine Chance. Also überlegte er sich etwas anderes. Räumte die Obstkisten wieder beiseite, stellte einen Kühlschrank hin mit Butter, Gouda, Milch, mit Mettwurst, Schinken, Joghurt. Räumte ein Regal voll mit Nudeln und Tomatenmark, Marmeladen und Nutella. All dem, was die Menschen in der Eylauer Straße eben so aßen. Und die Menschen in der Eylauer Straße waren eben fast alle Deutsche. Mit Fünflitereimern türkischen Joghurts, Knoblauchwürsten und Fladenbrot hätte Herr Akgül in der Eylauer Straße schnell verspielt. Aber nicht nur das Warenangebot ist deutsch. Auch der Ton in Herrn Akgüls kleinem Laden ist deutsch. Es ist der trotzige Witz der Berliner Rentner mit ihren Sprüchen, der schnoddrig-charmante Stil der Bierbüchsenkäufer, der klagende und kritisierende Ton jener, die jetzt irgendwie »von Stütze« und auch noch hier in der Straße leben. Sie alle haben viel zu erzählen, und da ihnen sonst kaum noch einer zuhört außer dem Bäcker, dem Zeitungsverkäufer und dem Wirt, deshalb erzählt auch Herr Akgül. Er erzählt, egal, ob es nur um ein Päckchen Streichhölzer oder um eine Kiste Sekt geht, die er verkauft. Er lacht eben lieber, macht seine Witze. Was bleibt ihm übrig, wenn er nicht trübselig werden will? »Dreihundertsechzig Euro«, sagt er und schiebt dem Kunden das Päckchen Camel hin. »Dreihundertsechzig Euro« sagt auch sein Sohn, und genau wie der Vater muß er sich beim Rechnen immer am Kopf kratzen. Dabei hat Cihan Akgül die 8. Klasse übersprungen, dabei ist Cihan längst auf dem Lessing-Gymnasium, und da nimmt man nicht jeden, bestimmt nicht jeden Türken. Ihn haben sie genommen, in zwei Jahren macht er Abitur. Trotzdem steht er nachmittags noch oft im Laden des Vaters, macht die gleichen dummen Witze wie er, weil dumme Witze sowieso die besten sind, und verrechnet sich, weil er draußen vor dem Fenster gerade jemandem hinterhersehen mußte. Aber er weiß bei jedem Verrechnen sofort eine perfekte Entschuldigung. Das spricht für einen, der etwas lernt auf der Schule. Foto: Dieter Peters
Nur, als die Amerikaner Saddam Hussein im Erdloch entdeckt hatten, da wußten Tacettin und sein Sohn noch nichts. Ein Kunde kam mit der neuen Kunde. »Wirklich?«, fragte Cihan und wollte es zuerst nicht glauben. Schließlich ist das meiste, was zwischen den Zeitungen und dem Lebensmittelregal gesagt wird, nicht so ernst zu nehmen. Dann sagte er: »Gut so. Dieser Typ hat unsere Religion in den Schmutz gezogen!« Dabei ist Cihan kein religiöser oder strenger Mensch. Er grinst eigentlich immer. So wie sein Vater. Oder Özgür, der Cousin, der auch manchmal aushilft. Oder die Freunde der beiden, die ihnen abends im Laden Gesellschaft leisten. Neben dem Kühlschrank sitzen, auf dem Stuhl wippen, irgendeinen Energiedrink in sich kippen und dem Kunden erklären, warum es kein Becks mehr in Dosen gibt. Der junge Mann hält ein kleines Referat über die Zusammenhänge zwischen Dosenpfand und Wirtschaft und prophezeit, daß es nicht lange dauern wird, bis es wieder Becks in Dosen gibt. Abends ist eigentlich immer irgendjemand da, mit dem man reden kann. Nur morgens, da ist der Vater allein. Da kommen sie alle nur schnell herein, um die Zeitung, Zigaretten, Nutella zu holen – und natürlich die frischen Schrippen. Die sind besser als die vom Bäcker um die Ecke. Die backt nämlich die Frau vom Herrn Akgül. In der neuen Bäckerei am anderen Ende der Straße, die die Akgüls gekauft haben. Jetzt haben sie einen Laden, die Bäckerei und drei Kinder. Morgens um fünf oder um sechs schickt sie die ersten Schrippen immer gleich rüber in den Zeitungsladen. Da freuen sich die Rentner, diese alten Frühaufsteher, die nicht warten können bis sieben oder acht. So leben sie da in der Eylauer, die Deutschen mit dem türkischen Laden. Sie leben miteinander. Nicht nebeneinander. Nicht in der Bergmannstraße, nicht in der Oranienstraße, sondern ausgerechnet in der dreckigen kleinen Eylauer Straße! Die Deutschen und die Türken. Ganz parallellos. Von morgens früh um fünf bis abends spät um zwölf. Im Zeitungsladen. |