Kreuzberger Chronik
Juni 2005 - Ausgabe 68

Die Geschäfte

Der Lebensmittelladen


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von Sigmund Leid

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So einen wie diesen gibt es nicht mehr. Alle anderen haben nacheinander zugemacht. Sie konnten die Mieten in der Bergmannstraße nicht mehr bezahlen, die mit jedem Szeneladen und jeder Kneipe, die dazukam, weiter stiegen. Die letzte, die ihr kleines Geschäft in der Bergmannstraße aufgab, war eine alte Dame mit Zigaretten neben grellfarbigen Büstenhaltern, Nähzubehör in der Schublade und Plastikblümchen zur Dekoration des Nachttischchens. Seitdem gibt es nur noch Edeka. Edeka in der Bergmannstraße Nr. 3.

Edeka ist so ein »Kaufmann«, zu dem man einst die Kinder mit einem Zettel in der Hand »einholen« schickte. Bei dem man anschreiben lassen konnte, bis er irgendwann einmal die Stirn krauszog und den Zettel hervorkramte und daran erinnerte, wieviel da schon draufstand. Es ist so einer, bei dem die Sonderangebote noch mit Kreide auf Tafeln geschrieben werden, und bei dem es noch immer so angenehm nach diesem Gemisch aus Wurst, Käse, Brot und Kaffee duftet. So, wie es früher immer roch in den kleinen Lebensmittelläden. Edeka in der Bergmannstraße ist gerade mal zwei mittelständische Wohnzimmer groß, da verdichten sich die Gerüche, die aus den Regalen strömen.

In der kleinen Vitrine gleich am Eingang liegen die Würste, die Schinken und die Käse. Es ist ein gut sortiertes, internationales Sortiment, es gibt die wunderbare französische Fenchelsalami, spanische Chorizo und die Hirschsalami, eine Spezialität, die schon seit Jahren im Angebot ist und 1,79 per 100 Gramm kostet. Solche Delikatessen liegen auch in den gutbeleuchteten Auslagen der Supermärkte oder der Markthalle, doch bei Edeka sehen sogar die Schinken und die Würste aus, als fühlten sie sich wohl. Als wären sie in dem kleinen Laden zuhause, irgendwo in Italien, Frankreich oder Spanien, in Parma oder in Mailand  je nachdem, woher sie kommen.

Foto: Dieter Peters
Auch die Käse sind gut gewählt, es gibt Manchego und Pecorino, es gibt Ziegen und Bergkäse, es gibt den würzigen Parmesan, den riesigen Emmentaler und die ganzen Holländer. Damit belegt man bei Edeka dann die Brötchen und Baguettes. Zwei kleine Stehtische zwängen sich im Laden zwischen die Regale, an sonnigen Tagen stehen sie draußen vor der Tür. Da finden sich dann morgens ab halb acht einige Bewohner der Straße ein, die Schreiner von gegenüber, Leute auf dem Weg zur Arbeit, eine Polizeistreife oder ein Spätheimkehrer, trinken Kaffee und beißen in die frisch belegten Schrippen. Kein Wunder, wenn die BZ dem Laden schon vor zehn Jahren eine Seite widmete und titelte: »Een mal Kreuzberg uff de Schrippe  Wo man mittags noch Frühstück kriegt.«

Er ist der letzte seiner Art, doch eine Attraktion ist er nicht. Er hat Kultur, aber Kult ist er nicht. Er verzichtet auf schöne Dekorationen, er ist anders als Knofi mit seinen akkurat gezwirbelten Knoblauchzöpfen und den bunten Blumentöpfen, bei Edeka sind die Blumen auf den Stehtischen aus Plastik. Edeka wirbt nicht mit durchgestylten Schaufenstern, Edeka begnügt sich mit seinen kreidegeschriebenen Angeboten. Edeka macht nicht auf alt und traditionell, das hat Edeka nicht nötig. Edeka ist tatsächlich seit 25 Jahren hier. Auch wenn das manche nicht merken.

Kaum einer von denen, die auf der Suche nach einem Stück Wurst, einer Packung Kaffee oder dem Toilettenpapier »Happy End« hereinkommen, registriert die alten Emailleschilder ganz oben über den Regalen mit den Nudeln, den Konserven, den Marmeladen, dem BrandtZwieback, den Gurkengläsern und Tomatensoßen. Da wirbt eine blonde Frau nach dem Krieg für »Rama  butterfein«, und ein starker Mann für »Dr. Klopfer Maccaroni  nahrhaft wie Fleisch«. Auch den drei großen Messingbehältern für Roh und Bohnenkaffee, die auf der kleinen Kühltruhe mit den Milchprodukten stehen, schenkt kaum einer Beachtung, obwohl sie authentisch sind. Aus ihnen wurde einst der Kaffee verkauft.

Selbst der Mann hinter der Theke fällt kaum auf. Obwohl auch er schon ein Original ist in seinem weißen Kittel, der traditionellen Kleidung eines Lebensmittelverkäufers, die schon längst aus der Mode ist. Ein Vierteljahrhundert steht er manchmal hinter der Theke, manchmal an einem der kleinen Tische, mit einem der Stammkunden, der auf einen Kaffee hereinkommt. Oder auch auf ein Gläschen Wein aus dem schmiedeeisernen Regal. Dann stehen sie und erzählen, vom Bayernspiel gestern, und daß die Bayern immer zu spät anfangen mit den Toren, von Reichelt, der so viele Jahre gleich nebenan war, oder von Ali, den sie seit zwei Tagen »PornoAli« nennen, nur weil er vorgestern Abend so lange fernsah, und weil es da »ja nur noch son Schweinekram gibt, nur noch nackte Weiber. Der kann doch gar nichts anderes gesehen haben!« Ali nimmts gelassen, schneidet die Wurst, packt die Schrippen in die Tüte, holt ein Glas Nutella aus dem Regal ...  solln die nur ihre Späße machen.

Ali arbeitet nun auch schon eine Weile in dem kleinen Laden. Daß vorne im Schaufenster zwei dicklippige Neger für den Kaffee werben, stört ihn nicht. Ali ist schon lange genug in Deutschland, er hat sich daran gewöhnt, daß man manchmal ein etwas merkwürdiges Bild von Fremden hat. Auf den ersten Blick scheint dieser Ali gar nicht hineinzupassen in diesen Laden, auch wenn die Lebensmittel aus aller Welt kommen und sich eines gewissen Einflusses durch die Kreuzberger Kultur nicht haben erwehren können. Im Grunde steht Edeka da wie ein Klotz in der Brandung. Ein kleines Stück Deutschland, das sich um Multikulti nicht viel kümmert, das die mediterranen Farben, die asiatischen Gerüche in der Straße hartnäckig ignoriert. Edeka erweckt den Eindruck, als wolle es mit seinem Habitus der deutschen »Tante Emma« kräftig dagegenhalten.

»Free Beer Tomorrow« steht in ein Messingschild graviert über dem runden Stehtisch, an dem zwei junge Männer kurz vor Ladenschluß noch ein Schnäpschen trinken. Es ist nur ein Gag, aber ein ernster. Die Botschaft lautet: Geschenkt wird einem nichts. Das spürt man auch bei Edeka: »Ich werde wieder zumachen!«, sagt der eine der beiden und stiert in sein winziges Glas. Und der andere junge Mann sagt: »Und dann?«  Dann schweigen sie eine Weile. Bis einer sagt: »Wir müssen den Gürtel eben enger schnallen!«.

»Jetzt denken schon die jungen Leute ans Sparen!«, sagt ein älterer Kunde an der Theke. »Wie soll das bloß enden mit diesem Land!« Die Jungen sehen etwas befremdet hinüber. Sie stehen vor dem großen Kaffeeregal mit den klangvollen Namen Segafredo, Cellini und Ionia, mit den roten, schwarzen und braunen Kilotüten. Sie stehen bei Edeka mit den belegten Brötchen, denen mit Krabbensalat, mit Fenchelsalami, mit Serranoschinken, mit Mortadella. »Den Gürtel enger schnallen ...«, sagen sie. Sogar bei Edeka, wo es so aussieht, als sei die Welt noch in Ordnung.


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