Kreuzberger Chronik
Juli 2005 - Ausgabe 69

Die Geschichte

Die Firma Bechstein


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von Werner von Westhafen

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Man kennt ihn heute noch, den goldenen Schriftzug unter der geschwungenen Krone auf der glänzend schwarzen Schellackpolitur: Bechstein. Über 700.000 Klaviere hat die Firma in ihrer 150jährigen Geschichte produziert. Der klare Klang und die »Sensibilität« der Anschläge Bechsteinscher Klaviere verliehen Chopin, Liszt, Brahms, Wagner, Grieg, Debussy oder Ravel Flügel. Auch moderne Pianisten wie Dave Brubeck, Leonard Bernstein, Chick Corea oder Arthur Rubinstein spielten auf den Klavieren aus Kreuzberg.

Doch die große Zeit der BechsteinFlügel ist vorüber. Und wieder einmal ist es der 2. Weltkrieg, der eine Erfolgsgeschichte abrupt enden läßt. Auch wenn Helene Bechstein eine gewisse Mitschuld trägt. Denn die Schwiegertochter des Firmengründers Carl Bechstein hatte ein auffallend vertrautes Verhältnis zu ihrem Feriensitznachbarn am Obersalzberg. Schon nach dem Putschversuch in München hatte sie gemeinsam mit Winifred Wagner den Politstar Adolf Hitler im Gefängnis in Landsberg besucht. In ihrem Haus, so vermutet man, hatte sich der Diktator der Unterstützung der Militärs versichert. Und wahrscheinlich war es der damalige Ministerpräsident Hermann Göring, der 1934 dafür sorgte, daß die Bechsteins mit ihrer »Abteilung Propellerbau« einen guten Preis für das Grundstück in der Johannisstraße erhielten, das sie dem preußischen Staat verkauften.

Die Sympathie der inoffiziellen Geschäftsführerin für die Nazis brachte der Firma kein Glück. Der offenkundige Antisemitismus Helene Bechsteins erregte Argwohn unter den Künstlern, auch verlor Bechstein mit der Deportierung und der Emigration der Juden viele seiner Kunden. Das Schicksal der Firma schien besiegelt, als die siegreichen Amerikaner 1946 die wertvollen Holzvorräte des Klavierbauers zu Särgen verarbeiten ließen. Was weniger aus hygienischen Gründen als mit der Absicht geschah, dem New Yorker Steinway eine Monopolstellung auf dem Markt zu sichern. Zudem beschlagnahmten die Kriegsgewinner die BechsteinAktien. Vierzig Jahre lang traf die Firma Baldwin Piano & Organ Company die Entscheidungen für die Firma mit dem deutschen Namen. In diesen vierzig Jahren eroberten die SteinwayFlügel die Konzertbühnen der Welt. Von Bechstein blieb vor allem der klangvolle Name. Vor den Kriegen sah die Welt anders aus. Allein in der Oranienstraße befanden sich um 1900 mehr als zwanzig Pianofabriken, 250 in ganz Berlin. Das Klavier gehörte zum guten Ton in vornehmen Häusern, Konzertsälen und auf den Ozeanriesen der Welt. Bechstein besaß 4 Fabriken, eine davon in der Reichenberger und eine weitere in der heutigen Ohlauer Straße. Hinzu kamen Verkaufsstellen und Magazine in London, Paris und St. Petersburg. In den letzten Jahren vor Ausbruch des 1. Weltkrieges produzierte Bechstein mit rund 1.100 Beschäftigten 5.000 Instrumente jährlich.

Begonnen hatte alles mit einem Konzertflügel, der die Nummer 100 getragen haben soll, obwohl der 29jährige Klavierbauer Bechstein damals gerade erst mit dem Bau eigener Instrumente begonnen hatte. Wahrscheinlich gab er dem guten Stück die prägnante Nummer, da dieser Flügel für einen Pianisten gedacht war, der Bechstein auf seinem Weg zu Ruhm und Erfolg von Vorteil sein konnte. Denn auf einen bedeutenden Pianisten an seiner Seite konnte kein Klavierbauer verzichten, der über die einfachen Bretterbühnen der Tanzlokale hinauskommen wollte. Pianisten wurden gehandelt wie heute die Fahrer der Formel 1.

Der kleine Betrug Carl Bechsteins mit der falschen Nummer unter dem Deckel machte sich bezahlt. Am 22. Januar 1857 spielte Hans von Bülow, ein Freund und Schüler Franz Liszts, auf Bechsteins Nummer 100. Und er spielte nicht irgendetwas, es war die Uraufführung von Liszts Klaviersonate hmoll. Ein Stück, das bald in dem Ruf stand, nicht nur den Pianisten, sondern auch den Klavieren selbst alles abzuverlangen. Grazile Flügel, wie die des bekannten französischen Klavierbauers Érard, sollen nach einer »Lisztschen Traktur« in Trümmern gelegen haben. Und Liszt selbst, der die Elfenbeintasten seines Instrumentes mit ungebändigter Kraft bearbeitete, soll es pro Soiree nicht selten auf zwei ruinierte Flügel gebracht haben. Doch am 22. Januar halten alle Saiten dem Ansturm des Pianisten stand. Hans von Bülow berichtet seinem Freund und Lehrer Franz Liszt begeistert von dem Instrument »eines gewissen Bechstein«.

Des Rätsels Lösung und das Rezept zum Erfolg war der Gußeisenrahmen des BechsteinFlügels, der eine ganz andere Stabilität und Klangfülle ermöglichte. Bechstein, der einmal mit ansehen mußte, wie bei einem Konzert von Franz Liszt »im Verlauf eines Abends eine Saite nach der anderen riß«, kombinierte diesen Rahmen mit der leichten englischen Tastenmechanik und der Steinwayschen kreuzsaitigen Bespannung, bei der die Baßsaiten quer über die Diskantsaiten laufen. Bechstein hatte sich nach Abschluß der Lehre in Paris und London umgesehen und die Erfindungen anderer geschickt zunutze gemacht. Zwar schreiben die Biographen gern vom musikalischen Talent und seiner Herkunft aus Thüringen, »einer der musikträchtigsten Regionen Deutschlands«, doch Bech stein war vor allem ein cleverer Geschäftsmann. Im Gegensatz zu anderen musisch veranlagten Zeitgenossen führte Carl Bechstein weder ein Tagebuch, noch ist überliefert, daß im heimischen Kreise musiziert worden wäre. In Paris studierte er nicht Klavierbau bei Pierre Èrard, sondern Unternehmenspolitik bei Kriegelstein, der »marktgerecht produzierte und ein Vermögen machte«.

Zum 1. Dirigenten des Berliner Symphonieorchesters allerdings pflegte Carl Bechstein seit dem 22. Januar 1857 nicht allein geschäftliche, sondern auch freundschaftliche Beziehungen. Hans von Bülow, der sich vor der schicksalhaften Begegnung mit Bechstein ständig darüber beschwert hatte, daß es »einen absoluten Mangel an passablen Klavieren« gebe, sah in Bechstein »den bedeutendsten Flügelmann in Deutschland, obwohl er erst drei gebaut hat.« Er läßt sich sogar einen Bechsteinflügel für ein Konzert nach Wien kommen, obwohl er fürchtet, sich damit »die ganze Meute sämtlicher Pianofabrikanten des öst. Kaiserstaates auf den Hals« zu hetzen. 1860 hatte Bechstein 300 Klaviere gefertigt, Steinway & Sons bereits 3.000. Doch von Bülow schwärmt vom »ultrasublimen Bechstein« und lehnt Angebote der amerikanischen Konkurrenten vehement ab. Als von Bülows Gattin, die Tochter Franz Liszts, sich mit Richard Wagner einließ und die Scheidung wollte, flüchtete der Pianospieler zu Bechstein, der ihn vor der aufdringlichen Öffentlichkeit abschirmte und ihm einen eigenen Diener »in weißer Cravatte« zur Seite stellte, »speciell darauf dressirt, keinen Menschen zu mir zu lassen.«

Von Bülow liebte die BechsteinFlügel über alles. Liszt und Bechstein waren eins für ihn. Auch wenn er, übelgelaunt, einmal schreiben konnte: »zu allen Teufeln habe ich Sie, d. h. Ihren elenden CastratKasten gewünscht. Ich habe nur ein Stück, Liszts Ricordanza, drauf spielen können und da klapperten die Bässe ganz Peraußlich.« Bechstein nahm es gelassen. Er wußte, daß dieser Mann der Schlüssel zu seinem Erfolg war. Daß seine Instrumente nur dann zur Wirkung kamen, wenn so eine übersensible, launische Künstlernatur auf ihr spielte.

Werner von Westhafen

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