Kreuzberger Chronik
Juli 2005 - Ausgabe 69

Die Geschäfte

Bärenparty am Mehringdamm


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von Martin Blath

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Irgendwann mitten in der Nacht, im Urlaub, war die Entscheidung getroffen. »Gut, sagte meine Frau, wir machen das«. Das war 1995. Am Morgen darauf folgte der Anruf bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, und Frau Hahn verkündete ihrem Chef, daß sie nach dem Urlaub nicht mehr zurückkomme. Der fiel aus allen Wolken und wollte wissen, ob sie sich diesen Schritt gut überlegt habe. Ja, hatte sie. Einige Wochen nach dem Schock für den Chef kehrte in das Erdgeschoß des Hauses am Mehringdamm 64 Leben ein. Heute sind es mindestens 5.000 Bewohner, wahrscheinlich noch mehr (keiner weiß das so genau), die auf etwa 80 Quadratmetern friedlich zusammenleben. Die meisten von ihnen sind Bären, die auf den schönen Namen »Cherished Teddies« hören, und Figuren aus Kinderüberraschungseiern, im Fachjargon auch ÜEier genannt.

»Berlins SammlerPalette No. 1« ist das Eldorado für leidenschaftliche Sammlernaturen, die keine Kompromisse kennen, wenn es darum geht, den persönlichen Schatz irgendwie noch ein wenig aufzustocken. Klaus M. Hahn kennt diese Leidenschaft gut. Bei dem ehemaligen Druckereibesitzer brach das Fieber mit dem Aufkommen der vermeintlich so wertvollen Telefonkarten Anfang der neunziger Jahre aus. »Damals dachte jeder, das wird eine tolle Geldanlage.« Bis zum Zusammenbruch des Marktes  und das ging relativ schnell  war dem wohl auch so. »Dann hieß es, ihr müßt ÜEier kaufen, das ist jetzt eine große Sache.« Diese Rechnung ging schon eher auf. Für einige der drolligen Plastikkerlchen werden inzwischen bis zu 1.000 Euro auf den Tisch geblättert.

Hahn, der seit 1978 in Berlin lebt, machte Nägel mit Köpfen und kaufte einem stets klammen Bekannten dessen gesamten Bestand an Biene Maya und Co. ab  und gewährte ihnen und seinen Telefonkarten Unterschlupf am Mehringdamm. Die Geschichte mit den ÜEiern reicht allerdings noch weiter zurück. Der im damaligen Bonner Diplomatenstadtteil Bad Godesberg geborene Drucker und Schriftsetzermeister und seine Frau riefen 1994 den ersten deutschen ÜEierClub ins Leben. »Damals hatten die meisten Leute noch Angst, sich zu outen, weil sie befürchteten, von Nachbarn oder Freunden für bekloppt erklärt zu werden.« Doch als die Hahns ihr erstes Vereinslokal eröffneten, überwanden viele erwachsene Spielzeugsammler ihre Scham: Sie kamen in Scharen. »Selbst an eisigen Wintertagen bildeten sich vor dem Lokal lange Schlangen, weil längst nicht alle reinpaßten  und dann standen die da in der Eiseskälte und tauschten und handelten.« Wahre Leidenschaft kennt keine Kompromisse.

Klaus M. Hahn auch nicht. Und das war klar: Ein leidenschaftlicher Sammler braucht einen Katalog. ÜEiBörsen hatten Hahn und seine Frau bereits ins Leben gerufen, aber ein Nachschlagewerk suchte man noch vergebens. Also fertigte der heute 64jährige Geschäftsmann den ersten deutschen ÜEiKatalog in mühevoller Handarbeit an: mit possierlichen Zeichnungen in Schwarzweiß, sorgsam mit der Schreibmaschine beschriftet und selbst vervielfältigt und geheftet. Das in Kreuzberg ausgebrochene und so langsam auf die gesamte Republik überschwappende ÜEiFieber rief ein gewaltiges Medienecho hervor, das auch der AmerikaGedenkbibliothek am Halleschen Ufer nicht verborgen blieb. »Eines Tages rief die Pressesprecherin an und fragte, ob wir nicht Lust hätten, dort eine Ausstellung zu machen.« So wurden unter dem Thema »Alltagskultur und Sammelleidenschaft« die Vitrinen im Foyer der Bibliothek mit den begehrten Produkten der Firma Ferrero bestückt und erstmals in einer solchen Fülle der Öffentlichkeit präsentiert.

Doch allein mit dem Inhalt der Schokoladeneier und den Telefonkarten würde in dem neuen Laden kein Blumentopf zu gewinnen sein. Das war dem Ehepaar Hahn von Anfang an klar. Als nächstes sollten die »Cherished Teddies« am Mehringdamm einziehen. Das war leichter gesagt als getan. Anruf beim Vertreter mit der Bitte um Besuch: Der gute Mann hatte jedoch anderes im Sinn, als sich auf den Weg zu einem neuen Kunden zu machen. »Der sagte mir, daß sie keine neuen Kunden bräuchten.« Schlußendlich ließ er sich doch erweichen und lieferte die putzigen, aus einer KunststoffPorzellanVerbindung hergestellten Bären auch nach Kreuzberg. Dieser freundliche Akt tat dem Umsatz des jungen Geschäftes äußerst gut, denn der vermeintliche Kitsch aus China steht auch bei den leidenschaftlichen Berliner Sammlern hoch im Kurs. Ständig kommen neue Varianten auf den Markt, die in keiner Sammlung fehlen dürfen. Sommerkollektionen etwa, oder die zu »Halloween« oder Weihnachten passenden Figuren.

Natürlich haben sich die Bärensammler längst in Clubs und Vereinen organisiert und bilden den Hauptteil der Kundschaft in »Berlins SammlerPalette No.1«. Dort finden sie die »größte Auswahl zwischen der dänischen und der tschechischen Grenze«, wie Klaus M. Hahn in aller Bescheidenheit zu Protokoll gibt. Doch damit nicht genug: Ein wirklich leidenschaftlicher Sammler begnügt sich nicht mit den speziell für den europäischen Markt produzierten Teddies. Er setzt vielmehr einiges in Bewegung, um auch von den amerikanischen Bärengattungen Besitz zu ergreifen. Kein Problem für Hahn: »Die besorgen wir über Partner in Kanada, mit denen wir tauschen«, und alle zwei Monate findet dann eine Bärenparty statt. Dort gibt es zum Austausch unter Gleichgesinnten nicht nur Kaffee, Kuchen und belegte Brote  sondern auch einen ganz individuellen Bären, der nur bei dieser seltenen Gelegenheit käuflich zu erwerben ist. Kein Wunder, daß die Parties immer von 40 bis 50 eingefleischten Fans besucht werden.

Parties für »Diddle«Fans gibt es bisher noch nicht. Dennoch trägt auch diese schier unüberschaubare Produktpalette aus Plüschtieren, Tassen, Schreibblöcken, Kugelschreibern, Schulmäppchen und anderem Krimskrams erheblich zum Umsatz bei. »Und nicht, daß Sie denken, die Sachen würden nur von Kindern und Jugendlichen gekauft«, warnt Hahn vor falschen Rückschlüssen  und berichtet zum Beispiel von einer durchaus erwachsenen Kundin aus Reinickendorf, die in schöner Regelmäßigkeit jeden Monat mindestens 250 Euro am Mehringdamm läßt. Nicht viel anders verhält sich ein Kunde, dessen ganze Sammelleidenschaft den Häuschen der Marke »Lilliput Lane« gilt. Da auch dieses Unternehmen Neuheiten ohne Unterlaß auf den gigantischen Markt wirft, dürfte es in der Wohnung des Mannes allmählich eng werden: »Wahrscheinlich stapelt er die Häuser schon in Kisten auf dem Dachboden«.

Der »schwerreiche Mann« aus dem Grunewald, der regelmäßig mit seinem Mercedes 300 SEL am Mehringdamm 64 vorfährt, hat in seiner Villa wahrscheinlich mehr Regale zur Verfügung, auf denen er seine »Cherished Teddies« und ÜEierFiguren ausstellt. Auch mehr als die Rentnerin aus Moabit, die sich jedes halbe Jahr einmal zwei Bärchen leisten kann. Aber in der großen Gemeinde der leidenschaftlichen Sammler ist jeder willkommen.

Martin Blath

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