Februar 2005 - Ausgabe 64
Kreuzberger
Michael Wildenhain »Ja, Kreuzberg, da zünden sie ab und zu eine Mülltonne an, und dann wird darüber noch Literatur gemacht.«
von Hans W. Korfmann
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Er raucht nicht, er trinkt zivilisiert, er verbringt seinen Urlaub mit zwei Kindern und einer Frau in Frankreich. Manchmal geht er zum Mittagstisch in die Mensa im 11. Stock des ehemaligen Kreuzberger Rathauses in der Yorckstraße. Der Aussicht, aber auch der günstigen Preise und vielleicht auch der politischen Korrektheit wegen. Er redet mit leiser Stimme und nie zu viel, er unterbricht sich abrupt, sobald der Gesprächspartner die Lippen öffnet und den Anschein erweckt, etwas sagen zu wollen. Er ist ein bescheidener und unauffälliger Mensch, dieser Michael Wildenhain. Ein scheinbar braver Bürger, der sein Fahrrad gewissenhaft an die Laterne ankettet und den Kaugummi, den er gerade knapp neben den Gully gespuckt hat, dann ordnungsgemäß und zielsicher mit dem Fuß in die Berliner Kanalisation kickt. Er ist Trainer des FC-International, einer Schöneberger Fußballjugendmannschaft, in der sein Sohn spielt. Auch der Papa kickte früher, als der Platz vor dem Gebäude des Reichstages noch dem Volk gehörte, bei Lokomotive Reichstag, einer Studentenmannschaft. Und er turnte einmal bei der Berliner Jugendstadtmannschaft. Viele seiner Sportkameraden gingen zur Polizei, weil sie dort während der Arbeitszeit weiterturnen konnten. Sie wunderten sich, als sie ihren einstigen Sportkameraden dann plötzlich mitten unter den demonstrierenden Hausbesetzern wiederfanden. Sie öffneten die Lippen, um etwas zu sagen, aber Wildenhain erweckte nicht den Anschein, als hätte er Lust, mit diesen Männern hinter Schild und Helm zu diskutieren. Foto: Privat
Doch auch, wenn die Diskussion um Diskussionen oder Taten der Stachel war, der ihn antrieb, auch, wenn das Thema dieses ersten Buches ein politisches und aktuelles war, die Literatur hatte Wildenhain früher entdeckt. Zuerst hatte eine bunte Mischung von Autoren wie Perry Rhodan, Edgar Wallace, Simmel, Traven oder Beckett, der seine Leser seitenlang mit den kleinen Steinchen in den Hosentaschen eines Clochards beschäftigte, seine Sympathie gewonnen. Die sogenannte ernste Literatur war ihm zu »mühselig« und langweilig. Aber dann zeichnete sich eine Linie ab, dann stieß er auf die regenbogenfarbenen Bände der Suhrkamp-Bibliothek und »hatte das Gefühl, einen Schritt in eine andere Welt zu machen«. Er las Hesse, Frisch, Dürenmatt, traf sich mit Freunden zum Vorlesen, bis sie irgendwann damit begannen, selbst zu schreiben. Um der Muse zugänglicher zu sein, zog sich der angehende Dichter bis nach Südtirol auf einen Bauernhof zurück. Doch die Prämisse der kleinen Dichterrunde, nur Kritik und niemals Lob an einem Text zu äußern, schmälerte das Erfolgserlebnis erheblich. Wildenhain jedoch schrieb weiter. Sogar während seines Praktikums als Maschinenbauingenieur nutzte er die Pausen zum Schreiben. Allerdings schrieb der spätere »politische Autor« keine Industriereportagen, er schrieb Gedichte. Während er bei der AEG in der Abteilung für »Zeitwirtschaft« saß, die dafür Sorge trug, daß weder bei den Maschinen, noch bei den Akkordarbeitern ein Leerlauf entstand, und während sie bei Siemens tagelang »plan feilten« und schon wegen Kaugummikauens bei der Arbeit von den Meistern »zusammengefaltet« wurden, schrieb Wildenhain abstrakte Gedichte. Das Rattern der Maschinen, der Ton der Vorgesetzten, das alles floß erst viel später in die Texte der Stimme Kreuzbergs ein. So wie auch Kindheit und Jugend Wildenhains, diese Zeit in den Parkanlagen, wo Michael ständig auf der Flucht war vor den Großen, erst spät in die Literatur Eintritt fanden. Obwohl das eine prägende Erinnerung geblieben ist für den Fußballer Wildenhain, »daß die Großen den Kleinen ständig den Fußball wegnahmen, und daß man froh sein konnte, wenn man ihn am Ende wiederbekam«. Wildenhain hat sich Zeit gelassen mit diesen Erinnerungen. Er hat seit seinem ersten Buch über die Hausbesetzerszene mehrere Romane veröffentlicht, sie heißen »Die Haut der Stadt«, »Heimlich, still und leise« oder »Erste Liebe Deutscher Herbst«. Er hat Kinder- und Jugendbücher geschrieben, und eines davon trägt den Titel: »Wer sich nicht wehrt«. Aber erst in seinem neuen Buch, »Russisch Brot«, das Mitte Februar in den Buchhandel kommt, taucht der kleine Junge in die Welt der Romane ein. Zögernd, vorsichtig, unsicher tastet Joachim sich durch ein halbes Jahrhundert. »Dieses Buch ist anders«, sagt Wildenhain, vielleicht wird man dieses Mal mehr als nur »Authentizität«, mehr als nur den politischen Autor, sondern auch den Erzähler Wildenhain heraushören. Wildenhain sagt, »man kann nur ein politischer Autor sein, wenn es eine entsprechende politische Bewegung gibt. Sonst fehlt der Resonanzboden«. Oder anders formuliert: Da wir uns in einer bewegungslosen Zeit befinden, gibt es auch keinen politischen Autor. Doch egal, wie Wildenhain auch schreibt: Immer scheint der moralische Anspruch durch. Befindlichkeitsliteratur, wie sie sich gerade einmal wieder gut verkauft, ist seine Sache nicht. Immer spürt man die politische Wachsamkeit des Michael Wildenhain, dessen erste Texte
Auch Wildenhain ist so ein kämpfender Gentleman. Er schweigt. Und schreibt. |