Februar 2005 - Ausgabe 64
Essen, Trinken, Rauchen
Die Kiwi-Torte in der Primel von Michael Eigner |
Diejenigen, die den Weg zur Primel finden, wollen meist nur eins: Kuchen. Obwohl es viel Kaffee und Kuchen gibt in Kreuzberg: Es gibt den jahrhundertealten Kuchenkaiser, oder das sonnige Café; Atempause gegenüber den Friedhöfen. Aber sie kommen ausgerechnet in die Primel. Dabei gibt es in der Regel nur vier Sorten in dem kleinen Café; in der Fidicinstraße: die legendäre Kiwi-Torte, die Kirsch-Käsetorte, den Zupfkuchen und einen Nußkuchen. Und von diesen vier Sorten sind an den Wochenenden spätestens ab 17 Uhr mindestens zwei ausverkauft. Vielleicht ist sie allein deshalb schon eine Legende, diese Kiwi-Torte, weil es schwer ist, überhaupt ein Stück von ihr abzubekommen. Weshalb die Kuchenesser inzwischen bei »Kuchennorbert« anrufen und sich ihre Kiwi-Torte oder ihren Nußkuchen reservieren lassen, bevor sie anreisen. Denn manchmal kommen sie vom anderen Ende der Stadt. »Ich hätte gern ein Stück von dieser weißen da!«, sagt eine junge Frau und strahlt übers ganze Gesicht. Der Kuchenbäcker schüttelt schweigend den Kopf und wartet, bis sich das Lächeln auf dem hübschen Gesicht verflüchtigt und einem enttäuschten Fragezeichen Platz gemacht hat. Schließlich ist diese Enttäuschung ja eine Art Liebeserklärung für die Kiwi-Torte. Und wann bekommt man heute schon noch Liebeserklärungen. Dann erst erklärt er: »Tut mir ja leid, aber die vier Stücke sind für so ’ne Seniorenbadmintonmannschaft reserviert. Die kommen jeden Samstag.«Doch gibt es Hoffnung, denn immer duftet es in der winzigen Backstube, diesem schmalen Küchenschlauch, der jeder Mutter einer vierköpfigen Familie zu eng wäre. Kuchennorbert irritiert das nicht. Kuchennorbert ist bescheiden. Nur, wenn die riesige Dogge ihren Kopf durch die Tür zur Backstube steckt, oder wenn diese Kinder auf ihrer ewigen Suche nach Süßem sich in die duftende Küche schleichen, dann wird es auch Norbert zu bunt. Dann dreht er sich kurz einmal um und sagt: RAUS HIER, ABER SOFORT! Und während die große Dogge dann mit beleidigtem Blick wieder zurück unter ihren viel zu kleinen Tisch trottet, sollen einige Kinder sich schon schreiend in die Arme ihrer Mütter gerettet haben. Und als einzige Lebewesen unter dem Berliner Himmel kurzzeitig ein gespaltenes Verhältnis zur Kiwi-Torte gehabt haben.Es ist nicht allein die »Kiwi«, die die Primel so liebenswert macht. Es ist der Ton, der darin herrscht. Dieser streng-freundliche Oma-Ton, diese Wohnzimmeratmosphäre mit silbernen Löffelchen und kleinen Täßchen, dem knarrenden Holzboden und dem Dackel auf dem Sofa und einem Backrohr, aus dem es immer duftet. »Wo ist denn das Schwein?«, fragt ein Gast, der in der Frankfurter Rundschau – Gott weiß, wie die Frankfurter in die Primel kamen! – gelesen hatte, daß sich nicht nur Doggen, Dackel, hübsche Mütter und badmintonspielende Greise in die Primel verirren, sondern daß mitunter auch ein Schwein seine Borsten an der Heizung versengt. »Das kommt nicht mehr«, sagt Norbert. »Das wohnt jetzt auf ’nem Bauernhof. Mit anderen Schweinen.«»Was ist eigentlich das Geheimnis dieser Kiwi-Torte? Da schmeckt ja sogar der Mürbteig«, fragt einer der Stammgäste. »Da gibt’s kein Geheimnis«, sagt Kuchennorbert, der wahre Kreuzberger Kuchenkaiser. Er kann das Rezept jedem verraten. So wie in der Primel wird es nirgendwo schmecken. Denn wenn man so viele Jahre lang immer nur vier Kuchen backt, dann kann man diese vier Kuchen eben. Und außerdem: zuhause fehlt der Dackel auf dem Sofa, die Dogge in der Küche, die beschlagenen Scheiben mit Blick auf den Wasserturm … <br> |