Dez. 2005/Jan. 2006 - Ausgabe 73
Essen, Trinken, Rauchen
Bei den kleinen grünen Oliven von Hans W. Korfmann |
Mann, wie lange ist das her?« »Naja, so dreißig Jahre werden es schon gewesen sein!« Es könnte tatsächlich sein, daß die beiden Männer, die sich gerade in die Arme fallen, einander dreißig Jahre nicht gesehen haben. Die Haare sind grau und immer noch so lang wie in den Siebzigern, und die Falten in den Mundwinkeln erinnern irgendwie an Keith Richards, der vom vielen Grinsen nach übermäßigem Rauschgiftkonsum immer irgendwie unheimlich freundlich aussieht. »Und wo war das noch mal?« »In Frankreich, glaub ich.« »Alter Schwede! ...« Die beiden Freunde kommen aus dem Umarmen, Schulterklopfen, Händehalten gar nicht mehr heraus. Da kommt Herr Brünger. Herr Brünger schenkt den Wein aus und den Kaffee ein bei El Naranco. Wenn er nicht gerade spanischen Käse oder Serranoschinken oder Chorizo oder spanische Oliven verkauft. Winzige grünglänzende Oliven, wahre Perlen unter den Ölfrüchten. Eigentlich hatte Herr Brünger ja nur einen Feinkostladen, aber dann sprach sich herum, daß man bei Herrn Brünger auch mal ein Gläschen Wein kosten konnte. Und da hat er neben der Theke ein paar Tische hingestellt und sich eine Espressomaschine geholt. Und dann kamen immer mehr und wollten Kaffee oder Wein. Und dann wollten sie noch ein bißchen Chorizo dazu oder Serrano. Dieser Herr Brünger kommt jetzt also an den Tisch und fragt: »Was, Ihr kennt Euch?« Herr Brünger kennt nämlich schon eine ganze Menge Leute, seit er mit seiner spanischen Frau den spanischen Wein und den spanischen Käse in der Markthalle verkauft. »Jaja«, sagt der mit dem Zopf, »aber wir haben uns seit dreißig Jahren nicht gesehen.« »Hättest Du eben öfter mal einen Kaffee hier trinken müssen«, sagt Herr Brünger. »Der ist fast jeden Morgen hier.« »Stimmt«, sagt der mit dem Hut auf dem Kopf. »Ich komme öfter. Weil ich hier schon so viele Leute getroffen hab, die ich lange nicht gesehen hab. Die stehen plötzlich da und löffeln ne Suppe hier oder essen ein paar Tapas oder lesen Zeitung und trinken Espresso. Oder sie laufen einfach nur vorbei, weil sie gerade in der Markthalle einkaufen sind. Und dann ruf ich: hey Jimmy, oder hey Rudy, oder hey Joe, und dann drehen die sich um und trauen ihren Augen nicht. Es gibt Leute, die kommen nur in die Markthalle, weil sie da alte Kumpels wiedertreffen. Echt!« »Und, was machst du jetzt so. Klimperst du immer noch auf der Gitarre rum?« »Na klar. Einmal Gitarrist, immer Gitarrist.« »Und du?« »Auch klar. Einmal Bassist, immer Bassist. Trinkst du was?« »Ok.« Herr Brünger bringt einen Crianza und Artischockenherzen mit Kartoffeln und ein Tellerchen von den grünen kleinen Olivenperlen. Er stellt den Teller auf den Tisch der beiden alten Freunde und will gerade eine dieser kleinen Geschichten aus Spanien erzählen, mit denen Herr Brünger seine Weine und Würste garniert, da sieht er draußen jemanden vorbeilaufen. »Na, sag ichs nicht?«, sagt der Bassist. »Hier triffst du immer jemanden«. Und Herr Brünger ruft zu dem Mann mit dem Schlapphut und den zwei Bodyguards: »Hey, Udo! Udo, warte mal. Guck mal hier, einer deiner alten Freunde.« Und hält ihm die Kreuzberger Chronik mit Hans Hartmann auf der Titelseite hin. »Oh, super!«, brummt Lindenberg, »der olle Hans. Lange nicht gesehn. Nehm ich ma mit.« |