Kreuzberger Chronik
April 2005 - Ausgabe 66

Kreuzberger
Die Trilogie vom Yorckschlösschen - Teil 2:

Rudy Stevenson

Its just my job


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von Hans W. Korfmann

Titelfoto: Michael Hughes

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Manchmal steht er auf der Bühne. Und spielt. Mit seiner Gitarre, die er so eigenwillig spielt. In seinem Anzug, der so aussieht, als wäre es ein überholtes Modell aus vergangenen Zeiten. In diesem Jackett, auf dem bis heute etwas vom Scheinwerferlicht der goldenen Zwanzigerjahre zu glitzern scheint. Mr. Rudy Stevenson.

Und manchmal sitzt er im Yorckschlösschen auf dem Sofa ohne Polster. In dieser verrauchten Kaschemme mit der kleinen Bühne, dieser Mischung aus Kneipe, Wohnzimmer und Jazzlokal, die kein bißchen gealtert ist, die immer so aussah wie jetzt, ein Stück Heimat. Stevenson erzählt und betrachtet die Stromleitungen, die unter dem Stuck entlanglaufen. 17 Stück sind es, dick mit brauner Ölfarbe bestrichen, eine unter der anderen, wie die Bambuswände von Onkel Toms Hütte.

Rudolph Stevenson hat drei Cds hier aufgenommen. Er ist einer der drei Ehrengäste im Schlösschen, er ist eingeladen, auf Lebenszeit. Doch wann Stevenson den Wirt vom Yorckschlösschen zum ersten Mal traf, weiß er trotzdem nicht mehr genau. Er hebt entschuldigend die Hand, die gerade noch so lässig auf der Lehne des Sofas lag, zieht die Schultern und die Augenbrauen hoch. »Wie soll ich wissen, wann ich Olaf getroffen habe? Das ist schon lange, lange her! Und ich habe so viele Leute getroffen! Wahrscheinlich hab ich irgendwo gespielt...«

Im Yorckschlösschen 2005
Foto: Michael Hughes
Rudy Stevenson, eigentlich Rudolph Stevenson, macht nicht viele Worte. Er gibt auch kaum Interviews. In New York nicht, und in Kreuzberg nicht. Zahlen, Orte, Namen, die nackten Eckdaten einer Biographie, interessieren ihn nicht. Er winkt ab. Und es ist ja auch egal. Denn wenn Stevenson spricht, dann fesselt er nicht nur durch große Namen oder große Hits, die er irgendwann mit irgendwem einmal spielte, auch nicht durch nette Anekdoten aus dem Showbusiness. Er fesselt durch den Ton seiner Stimme. »Hes got the blues.« Diese Melodie. Diesen eigenwilligen, sanften Ton. Diesen alten Sound, den auch die hölzernen Körper seiner Gitarren alle haben. Auch die sind alt, »und die klingen, ich weiß nicht, woran es liegt, am Holz, am Alter &  aber die klingen einfach wunderbar!«

Zwei Gibson hat er und eine Stratocaster, eine alte Fender. Das gleiche Modell hat Eric Clapton  »You know Eric Clapton?«  gerade für eine halbe Million Dollar verkauft. Das ist dann eine Zahl, die auch Stevenson nicht vergißt. »Eine halbe Million!« sagt er und massiert sich nachdenklich die Schläfe, vielleicht hat er doch etwas falsch gemacht, aber egal, so ist es eben, das Leben. »Half a Million! A lot of money!« Stevenson hat seine Gibson vor dreißig oder vierzig Jahren  genau weiß er das nicht mehr, »its such a long time ago«  irgendwo in New York gekauft, in einem Secondhandladen, für 150 Dollar. »Das war ne Menge Geld damals«.

Aber der Einsatz hat sich gelohnt. Bei jeder von ihnen. Sie sind herumgekommen, er und seine Gitarren! Mit der Super 400 ist er um die halbe Welt getourt. Und immer ist er ihr treu geblieben, bis heute. Auch wenn sie nicht mehr die schlankeste ist, und eigentlich viel zu korpulent für die Fonds dieser kleinen deutschen Automobile. In New York waren die Autos größer. Aber sonst ist Berlin wie New York. »Vielleicht nicht ganz so verrückt.« Aber es gibt immer was zu essen, die ganze Nacht. Und überall Musik. »I like Berlin. Ich könnte zurückgehen, aber ich will nicht. Manchmal rufen sie mich an und fragen, ob es nicht gefährlich ist in dieser Stadt mit den ganzen Nazis und so. Dann erzähle ich ihnen, daß ich mit meiner alten Gibson in der U-Bahn in die Clubs fahre und nachts um drei zu Fuß nach Hause gehe!«

Im Yorckschlösschen 2005
Foto: Michael Hughes
Welche von seinen drei Gitarren er am liebsten spielt, weiß er nicht genau. Alles hat gute und schlechte Seiten. Auch Gitarren. Selbst, wann er angefangen hat, warum er überhaupt angefangen hat, Musik zu machen, auch das hat er irgendwie vergessen. »Its such a long time ago &« Vielleicht waren es die Sechzigerjahre, vielleicht die Fünfziger. Sicher war es New York, Brooklyn vielleicht, da, wo er großgeworden ist. Jedenfalls lernte er Saxophon, so wie viele Jazzer damals: Sax, Flöte und Klarinette. Aber dann gab es dieses Verbot in den Clubs. Das New Yorker »Cabaret-Law«. Plötzlich durfte in vielen Vierteln der Stadt kein Schlagzeug mehr gespielt werden. Auch in Manhattan nicht. Die schwarze Musik war den weißen Bürgern zu laut geworden. Und deshalb suchten die Bands plötzlich wie wild nach Gitarristen, die ihre Saiten nicht nur sanft zupften, sondern laut schlugen. Die sogenannte Rhythmusgitarre wurde zum Ersatz für das geächtete Schlagzeug. Deshalb begann auch Stevenson, Gitarre zu spielen. Diese schrammende, rhythmusbetonte Gitarre, die er noch heute spielt. Im Yorckschlösschen. Oder im A-Trane. Oder sonstirgendwo in Berlin. »It was just a job«, sagt Stevenson und schraubt die Stimme bei jedem Wort dieses Satzes einen Halbton höher. Er will sagen, daß er eigentlich nur Musik machte, um Geld zu verdienen. Gitarre oder Saxophon, es ging ums Geld. Den Mythos vom armen Schwarzen, der, beseelt vom Blues, sich aus den kleinen Straßen Brooklyns allmählich bis in die 152. Straße hochspielte, bis ins achtzehnköpfige Hausorchester des Apollo- Theaters hinaufzupfte, diese Geschichte erzählt Stevenson nicht. Er hat ein Handwerk gelernt, um sein Brot zu verdienen, er hat auf der Musikschule Noten lesen gelernt. Er trinkt nicht und er raucht nicht, er paßt nicht zum Klischee vom armen Poeten. Stevenson war Produzent, Manager, er war am Broadway. Er war mittendrin im großen Musikgeschäft New Yorks. Wenn die Stars kamen und »brauchten für ein Konzert in der Stadt ein paar Trompeter, Bassisten, Saxophonisten, was weiß ich, dann fragten sie bei mir nach. Aretha, Aretha Franklin mein ich, kam immer zu mir, wenn sie jemanden brauchte. Sie brachte ihre eigene Rhythmsection mit und ein oder zwei Musiker, den Rest mußte ich ihr in der Stadt zusammensuchen. Ich war der einzige Schwarze auf dem Markt, dem sie vertrauten. Ich wußte, wer trank, wer Drogen nahm, und ich wußte, wer pünktlich war«. Die Szene war groß, und sie veränderte sich rasend schnell, auch nach dreißig Jahren kannte »the chief«, wie ihn seine alten Freunde gerne nennen, nur einen Teil. »Aber ich kannte die Guten! Those, who knew how to play that fucking music!«

Rudy Stevenson und Bobby Durham, Drummer des Oscar Peterson Trios, Silvester 2001 im Yorckschlösschen Foto: Privat
Rudy Stevenson mit dem Drummer des Oscar Peterson Trios, Bobby Durham, Silvester 2001 im Yorckschlösschen.

Kürzlich war er daheim, bei seinen drei Söhnen, in New Jersey. Da hat er sich mal ein Haus gekauft, ein Mietshaus, ewig ist es her. Von dem ersten großen Scheck, den er bekam, 13.000 Dollar  noch so eine der wenigen Zahlen, die er nicht vergessen hat. Es waren Tantiemen für eine kleine schwarze Scheibe, die sich über viermillionenmal verkaufte, ein Lied, das um die Welt ging: Aquarius von den Fifth Dimension. »Dont Cha Hear Me Calling you« hieß der Titel auf der Rückseite, und der war von Rudolph Stevenson. Auch, daß Stevensons Stücke von Joe Zawinul, George Benson oder Dexter Gordon gespielt wurden, daß Herbie Mann schon 1966 Stevensons »Comin Home Baby« spielte, das weiß kaum noch einer von denen, die dem alten Mann an der Gitarre applaudieren, wenn er mal wieder einen Abend im Yorckschlösschen verbringt. Das weiß fast nur noch er selbst. Aber er verliert nicht viele Worte darüber, »hes got the blues«.

»I just do music! Its my job«, sagt er und spielt alles ein bißchen runter. Die Jahre des ersten Erfolgs, als er mit der Lloyd Price Band auf der Bühne stand und jede Nacht Stack-O-Lee spielte, 1959 die Nummer Eins in den Charts! Als er den Job beim Apollo-Theater in New York bekam, als er im Duke Ellington Orchestra spielte, und als ihn die berühmte Nina Simone engagierte, die zuvor einen der größten Hits aller Zeiten gelandet hatte: »My baby just cares for me«. Neun Platten machte er mit ihr, aber keine war so erfolgreich wie diese. Nach fünf Jahren wechselte er zu den Fifth Dimension. »Man hat mich oft gefragt, warum ich Nina verlassen habe.« Sie war ein Star. Sie war gut, und sie war eine nette Person. »Aber das war eine ganz einfache Entscheidung: Nina zahlte pro Tour, bei den Fifth Dimension bekam ich eine Monatsgage!«

Jahre später rief sie ihren alten Gitarristen an, sie wolle mit ihm nach Berlin und durch Europa touren. Aber Stevenson, der jahrelang mit den großen Musicals über die Bühnen des Broadway getourt war, hatte gerade einen Vertrag mit André Heller unterschrieben, der mit Body & Soul nach Berlin wollte. »Den Vertrag wirfst Du weg!« sagte Nina. Aber Stevenson wirft keine Verträge weg. Vertrag ist Vertrag. Stevenson ging mit Heller nach Berlin. Und das war 1988. Seitdem ist er hier.

Er war schon einmal in der Stadt gewesen, drei Monate lang hatte er im Theater des Westens das Broadwaymusical Bubbling Brown Sugar gespielt. Und abends die Clubs und die Musiker der Stadt kennengelernt. Auch mit Black and Blue, dessen Musik er schrieb, war er in Berlin erfolgreich gewesen. André Hellers Musical aber wurde ein Reinfall. Nach drei oder vier oder fünf Tagen  »I dont know exactly«  wurde es wieder abgesetzt. Sie hatten keine Zeit zum Proben gehabt, der Beleuchter verfehlte mit seinem Spot immer wieder die Schauspieler, und bei der Premiere setzte die Musik vom Tape zwei Minuten zu spät ein. Die Berliner Presse überhäufte Heller mit Komplimenten rüdester Art. Doch Stevenson ging nicht zurück nach New York, er suchte sich eine Wohnung nicht weit von diesem großen Park, der Hasenheide, so einer Art Kreuzberger Central Park.

Wenn Stevenson von New York spricht, leuchten seine Augen. Nicht wegen vergangener Zeiten. Die sind vergangen. Er meint die Seele der Stadt. Den Ton. Die Melodie. Als er kürzlich einen Freund anrief, der ihm beim Text für ein Booklet helfen sollte, und der gleich meinte, Rudy solle vorbeikommen  »But it was sunday!«  da rief Stevenson: »Thats great, thats like New York!« Wieder schraubt sich seine Stimme mit jedem Wort des Satzes höher. Sogar das Wetter in der Stadt an der Spree findet Stevenson sympathisch, nur weil es ähnlich ist wie daheim. Eigentlich ist alles, was Stevenson an Berlin gefällt, das, was ihm auch an New York gefällt. Aber als Olaf ihn einmal fragte, ob er nicht doch vielleicht manchmal Heimweh habe und irgendwann einmal zurück wolle, da sagte er: »Vielleicht. Wenn ich einmal alt werde. Aber das ist ja schon 25 Jahre her!«

Über sein Alter spricht er nicht gern. Stevenson grinst und dreht an einem matten, filigranen Goldring: »Its such a longlong time ago &« Auch die meisten Freunde wissen nicht, wie alt er ist. Er erzählt ja nie etwas. Und wenn es mal einer weiß, dann hüllt er sich in Schweigen. So wie Wolfgang. Wolfgang Rügner, »a very good man!« Der ist so etwas wie der Direktor der Rudy Stevenson All Stars. Er hat sie zusammengetrommelt, um ein bißchen traditionellen Jazz zu spielen, und so spielt der alte New Yorker jetzt mit lauter deutschen Bleichgesichtern. »But I dont care, if they are black or white. Das war mir schon immer egal. Auch damals in New York. Die müssen was von Jazz verstehen. Und Jazz, weißt Du, Jazz, das ist eine Stimme &« Und Silvester vor drei Jahren, als Bobby Durham, der Drummer des legendären Oskar Peterson Trios, seinen alten Kumpel in Berlin besuchte, da stieg auch der mit auf die kleine Bühne des Yorckschlösschens, spielte mit den weißen Rudy Stevenson All Stars und feierte die schönste Silvesterparty »of my whole life &«

Stevensons Blick wandert zu den Stromleitungen an der Decke. »Ich möchte mal nach Afrika!«, sagt er plötzlich. »Da komme ich her. Mein Großvater ...«. Und endlich wird klar, daß das Leben und die Musik von Rudy Stevenson doch viel mehr sind als »just a job!«


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