April 2005 - Ausgabe 66
Herr D.
Herr D. auf Abwegen von Hans W. Korfmann |
Zwei Grad plus und Nieselregen. Das war auch in Kreuzberg kein Vergnügen. Griesgrämig schaltete er schon beim Frühstück den Fernseher ein, das gestochen scharfe Bild der lächelnden Thailänderin unter der Palme mit dem Coconutshake in der Hand ließ Herrn D. den grauen Samstag einen Moment lang vergessen. Dann aber schwenkte die Kamera zurück zur Moderatorin mit der neckischen Dauerwelle, die in sensationslüsternem Ton etwas von 180 Ländern quasselte, von 152 000 Quadratmetern und dem seit Jahren wachsenden Interesse der zwar finanzschwachen, aber um so sonnensüchtigeren Berliner an der Internationalen Tourismusbörse. Als sie erzählte, daß die Branche trotz Tsunami und anderen Katastrophen optimistisch in die Zukunft des Jahres 2005 blicke, und daß ein Rückgang lediglich bei Reisen in den Nahen und Fernen Osten zu verzeichnen gewesen sei, wollte Herr D. die Dauerwelle schon wieder ausblenden. Dann aber besann sich die Kamera eines Besseren und schwenkte zurück zur noch immer lächelnden Asiatin, und da Herr D. noch nie auf einer dieser Berliner Messen gewesen war, beschloß er, Kreuzberg zu verlassen. Aber schon, als der Busfahrer vor dem Eingang des Messegeländes seine gesamte Ladung entleerte, ahnte Herr D., daß er nicht der einzige war, der die Idee hatte, auf der Tourismusbörse vom nächsten Urlaub zu träumen. 12 Euro zahlte er für den Eintritt in die heiligen Hallen, doch die Investition lohnte sich. Kaum hatte er die Kontrolleure hinter sich gelassen, betrat er eine andere, eine lächelnde und heile Welt. Wohin er auch blickte, sogar in Deutschland, in Polen oder in der Tschechei: Das Leben war eine einzige Freude. Leuchtende, farbenprächtige Bilder von grünen Wiesen, schneebedeckten Gipfeln, blaurauschenden Flüssen, blondgelockten Pferden auf den Weiden und blondgelockten Frauen an reichlich gedeckten Tischen neben satt lachenden Einwohnern der angepriesenen Urlaubsorte vermittelten das Bild vom Paradies. Zu hungern oder zu frieren brauchte niemand in diesen 180 Schlaraffenländern, auch wenn man dort nie jemanden arbeiten, sondern in Booten rudern, durch die Lüfte segeln oder die unschuldsweißen Hänge der Berge hinunterwedeln sah. Aber nicht nur die Bilder auf den Wänden und Gläsern, auch die real existierenden Hostessen versetzten Herrn D. in Staunen. Denn nicht allein die Thailänderin mit ihrem Coconutshake, auch die deutschen, ja sogar die Berliner Hostessen lächelten, als wäre die Welt ein wahres Vergnügen, und trugen die Leichtigkeit des Seins in kurzen Röckchen und leichten Blusen zur Schau. Überall, auch in Skandinavien und am Nordpol, in den Anden und am ewig kalten Brocken im Harz herrschten 24 Grad Plus. Herr D. hatte Mantel und Pullover ausgezogen und schwitzte noch immer. Einen Moment lang beneidete er den halbnackten Eingeborenen mit den platten Füßen, der auf dem Plastikteppich der Ausstellungshalle vor dem Halbrund der Touristen stand, die fotografierten, als befänden sie sich tatsächlich in Neuguinea und nicht am Kaiserdamm. Herr D. begann sich unwohl zu fühlen in der heilen Welt der Messehallen er empfand so etwas wie Heimweh nach Kreuzberg. Nach Demonstrationen, schimpfenden Berlinern, kackenden Hunden. Er sah auf die Uhr. Er war einmal um die Welt gekommen, in knapp vier Stunden. »Wozu?«, dachte er, ganz so wie ein richtiger Urlauber, zuhause war es eben doch am schönsten. |