September 2004 - Ausgabe 60
Strassen, Häuser, Höfe
Die Feilnerstraße von Werner von Westhafen |
Sie haben noch immer etwas von ihrem alten Glanz. Sogar dann noch, wenn sie zerbrochen unter einem staubigen Haufen aus Schamott und Ruß und Tonziegeln enden: die cremefarbenen Kacheln der Berliner Kachelöfen. Fast zweihundert Jahre lang prägten die großen Öfen das Aussehen der Berliner Zimmer: kleine, wärmespendende Monumente, die ein Leben lang in der Ecke standen und doch stets so etwas wie der Mittelpunkt des Lebens waren. Die glänzenden Kacheln des Tobias Christoph Feilner machten die sogenannten »Berliner Kachelöfen« weit über die Grenzen der Stadt hinaus berühmt. Sieben Jahre lang hatte Feilner, der in einer Töpferwerkstatt in der Hasenheger Gasse arbeitete, seine Freizeit geopfert, um sich Vorlesungen über Chemie und Physik anzuhören und in der Mineralogie auszubilden. Vor 200 Jahren war es soweit: Der Angestellte Feilner entwickelte 1804 ein Verfahren zur Herstellung einer Unterglasur auf den bis dahin stumpfen Tonkacheln, das der Höhlerschen Töpferwerkstatt ein »zehnjähriges Privileg« des Preußischen Staates zur Herstellung von Ofenkacheln einbrachte. Der Chef der Werkstatt war über dieses Patent so erfreut, daß er Feilner erst zu seinem Teilhaber, und später zu seinem Erben machte. Doch Feilner, der eingewanderte Sproß einer Handwerkerfamilie aus der Oberpfalz, experimentierte noch so lange mit seiner Glasur, bis er endlich jene porzellanartigen, hellen Kacheln herstellen konnte, die noch heute auf den Öfen in den Wohnungen der Studenten, der Arbeiter und Sozialhilfeempfänger in Wedding, Neukölln und manchmal auch in Kreuzberg zu finden sind. Zwar fertigte Feilner nebenbei immer schon kunstvolle Einzelstücke, Kacheln für die Meisterwerke der Ofenbaukunst, die bis nach Italien und England verschifft wurden. Darüber hinaus verzierten seine Arbeiten nicht nur Öfen, sondern auch die Innenräume einiger Kirchen. Feilner verstand sich auf die Herstellung großer Fresken. Seine nur in zwei großen Platten gebrannte »Apotheose der Königin Luise« (…) »im Königsstuhl der kleinen Dorfkirche zu Paretz« ist ein Kunstwerk. Doch von diesen aufwendigen Arbeiten allein konnte die Töpferei nicht leben. Also gingen Feilners Kacheln in Serienproduktion. Tobias Christoph Feilner schien sich ohnehin in der Rolle des Handwerkers und des Fabrikanten wohler zu fühlen als in der des Künstlers. Aus der ehemaligen Höhlerschen Töpferei mit ihren sieben Angestellten wurde eine Fabrik mit mehr als hundert Beschäftigten und die Attraktion der Straße. Doch auch, wenn sich immer mehr Neugierige in der Straße einfanden und der Erfolg schmeichelte, änderte Feilner seine Gewohnheiten nicht. Zeit seines Lebens fuhr er mit seinem Kutscher Schröder persönlich zu den Kunden, sah nach dem Rechten, »zog die Weste aus und legte selbst mit Hand an, wenn es nötig war«. Sein Mittagessen nahm er in einem kleinen Hofzimmer ein, das als Kontor diente, und von wo aus er das ganze Fabrikwesen überschauen konnte. »Da roch es nach schlechtem Kaffee, den Schröder in lappriger Löschpapiertüte drüben von Musje holte, und nach dem besseren Tabak, den Meister Feilner aus langer weißer Tonpfeife schmauchte.« Abends dann saß er über Büchern und Ordnern und wurde nicht selten am nächsten Morgen von Schröder schlafend am Schreibtisch gefunden. Feilner war ein braver Handwerker, kein Haudegen, kein Lebemann. Ein Schoppen Wein am Wochenende und »ein Kegelschub in der benachbarten Tabagerie«, das genügte ihm. Ab und an feierte man einen Geburtstag, doch nicht viele, da von den sechs Kindern Feilners nur zwei groß wurden. Seine Frau, die Tochter eines bettelarmen Musikers, war zwar musikalisch, doch war ihr nach Tanz nicht zumute: Sie lahmte und lag am liebsten auf dem geblümten Sofa. Gegessen wurde auf den Festen zwar standesgemäß, doch bedächtig. Ein Gelage gab es nicht, und es soll Gäste gegeben haben, die verärgert die Tafel verließen, da man um sieben Uhr noch immer nicht beim Braten angelangt war, obwohl schon um halb Vier das Rindfleisch gereicht wurde. So ging alles seinen Gang, und so hätte es auch weitergehen können, bis zum Schluß. Aber dann trat doch noch eine Wende im Leben des Handwerkers ein. Schinkel entdeckte den Kachelkünstler und sann darüber nach, die großen Flächen seiner Ziegelbauwerke mit den glänzenden Produkten Feilners zu verblenden. Feilner bekam den Auftrag, die Werdersche Kirche mit Ornamenten aus Keramik zu verzieren. Gemeinsam mit seinem Schwiegersohn schuf er Fresken und Skulpturen. Wieder war der Erfolg groß. Doch während Schinkel an weitere Prachtbauten dachte, wuchs im Handwerker Feilner, wie Schinkel selbst es formulierte, »der Wunsch, diese Fabrikation noch gemeinnütziger und für gewöhnliche Bürgerhäuser nutzbar zu machen«. Also entschloß sich Feilner, in der Hasenhegerstraße ein Haus für seine Familie zu bauen. Schinkel, so schreibt man, schenkte Feilner einen Entwurf, doch so pompös wie Schinkel zeichnete, wollte Feilner nicht bauen. »Das Unbehagen des einfachen Handwerkers«, dem »ein so prächtiger Rahmen für seine Lebensgewohnheiten« zu unbescheiden schien, war stärker als der Respekt gegenüber dem Stararchitekten. Feilner realisierte nur einen Teil von Schinkels Plänen. Dennoch wurde das Haus mit seinem blühenden Garten, den tönernen korinthischen Säulen, den zahlreichen Fresken und der kleinen Kegelbahn zur Attraktion und später zur Legende. Noch heute ist das »Feilnerhaus« ein Begriff. Nach Feilners Tod hielt schließlich auch die gehobene Gesellschaft Einzug im Feilnerschen Haus, Mendelssohn fand sich in der ehemaligen Hasenhegerstraße ein, die jetzt Feilnerstraße hieß, und wo einst die schweren Kugeln der heimischen Kegelbahn rollten, erklang Quartettmusik und floß Champagner. Über Jahre belebten Musiker und Künstler das Haus, bis ein Bildhauer namens Walsleben einzog, mit seinem stinkenden Widder, einem ausgestopften Adler, anderem »getrocknetem Getier« und der Mumie eines seiner Kinder, »mit eingefallenen Augen und schiefem Mund achtlos und bestaubt«. Der merkwürdige Walsleben aber war der letzte Künstler im Feilnerhaus. Danach zog die Industrie ins Haus des Kachelfabrikanten, und lebte der alte Feilner noch, er hätte es wahrscheinlich begrüßt: Weberschiffchen sausten, Nähmaschinen surrten und Webstühle knarrten. Bis eine Bombe das Haus zerstörte. 1962 wurde es endgültig abgerissen, heute steht ein schmuckloses Seniorenheim an seiner Stelle. Feilner, dessen schmales Profil mit der Hakennase eher an römische Feldherren erinnert als an feiste Handwerkermeister, hatte den Titel des »Hoftöpfers« und des »akademischen Künstlers« erhalten, seine Terrakottaplastiken und seine Kacheln schmückten bedeutende Bauwerke, er kreierte den »Berliner Kachelofen«. Doch die Geschichtsschreibung erwähnt den Töpfer nur selten. Literatur über ihn ist rar, selbst im Personenverzeichnis der vielen Biographien über den Stararchitekten Schinkel sind unter »F« meist nur Berühmtheiten wie Fontane, Fontaine und Fichte zu finden. Auf der Gedenktafel der Werderschen Kirche mit ihrem Schinkelmuseum bleibt Feilner unerwähnt, seine Büste dort ist eine unter vielen. Der Töpfer blieb eben ein Töpfer. Feilners Grabstätte war auf dem Luisenstädtischen Friedhof. Sie ist inzwischen eingeebnet. <br> |