Kreuzberger Chronik
September 2004 - Ausgabe 60

Norbert Lukaszyk Kreuzberger
Norbert Lukaszyk

»Sag niemals ›Du‹ zu deinem Chef!«


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von Hans W. Korfmann

Fotos: Dieter Peters

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Norbert Lukaszyk hat eine Leidenschaft. Er putzt gerne das Auto. Also hat er sein Hobby zum Beruf gemacht. Der gelernte Kfz-Schlosser arbeitete zuerst in einer Autowerkstatt, als Gebrauchtwagenverkäufer und auf zwei Tankstellen. Überall wollte man den gewissenhaften Mitarbeiter mit der stämmigen Gestalt, dem kurzen Haar, der geradlinigen Berliner Sprache und dem kleinen Diamanten im Ohr behalten. Aber das Putzen in der Waschanlage befriedigte ihn nicht. Er hatte seinen Platz in der Welt noch nicht gefunden.

Jetzt steht Norbert Lukaszyk in seinem Anzug und in Gummistiefeln auf dem Hof, neben ihm ein Eimer kaltes Wasser. Er wischt feucht ab und trocknet mit dem Wolltuch, bis die Karosse glänzt wie neu. »Alles von Hand.« So steht es jetzt sogar in seinem Vertrag. Er duldet keine vollen Aschenbecher, keine Brotbrösel und auch keine Bananenschalen. Als einer seiner Fahrgäste auf dem Rücksitz des Mercedes eines Tages den strengen Blick seines Chauffeurs sah, der ihn beim Schälen der exotischen Frucht im Rückspiegel beobachtete, sagte Peter Strieder: »Keine Angst, Herr Lukaszyk, ich werde die Bananenschale schon wieder mitnehmen.« Lukaszyk nickte schweigend. Und Bärbel Grygier, der er einen silberfarbenen Mercedes als Dienstwagen einreden konnte – weil man beim Silber den Dreck nicht so sieht, und weil Mercedes, wenn auch nicht unbedingt PDS-konform, so doch das bequemste Automobil sei –, konnte es sich gerade noch verkneifen, die Leidenschaft ihres Chauffeurs für glänzendes Blech in seine dienstliche Beurteilung zu schreiben. Ein Zeugnis, das Lukaszyk zu Tränen rührte: »Seine persönliche Integrität und vollständige Loyalität, die hohe Zuverlässigkeit und wohltuende Umsicht, mit der er diese Aufgabe wahrgenommen hat, werden mir sehr angenehm in Erinnerung bleiben.« Und »sein wohldosiertes Temperament, seine besonnene Herangehensweise, seine Hilfsbereitschaft und die vorausschauende Art waren mir eine stets willkommene Unterstützung.«

Norbert Lukaszyk
Das würden auch die Vorgänger der Chefin Grygier unterschreiben. All die anderen Kreuzberger Bürgermeister. Schon während seines ersten Dienstjahres fiel Lukaszyks Hang zu Ordnung und Sauberkeit auf. Er stand am Flughafen, um den Wiesbadener Oberbürgermeister abzuholen. Kaum hatte der Fahrer Herrn Exner ausfindig gemacht, wollte er ihm den Koffer abnehmen. »Den kann ich schon noch selber tragen!«, brummte der Wiesbadener, und fügte hinzu: »Sie sind ja nicht mein Butler!« Lukaszyk muß das Wort Butler irgendwie im Kopf herumgegangen sein und sich dort eingenistet haben. Denn später, als die Politiker beim Essen saßen und der Chauffeur das Gepäck des Gastes ins Hotel bringen sollte, ließ er es sich nicht nehmen, den Koffer eigenhändig aufs Zimmer zu bringen. Und als er den Oberbürgermeister und seinen Chef am Abend auf einem Empfang wiedersah, deuteten sie mit dem Finger auf ihn. »Waren Sie das?«, fragte Exner. Lukaszyk nickte. »Mir war’s unwahrscheinlich peinlich, ich hätte mich am liebsten unter den nächsten Tisch verkrochen!« Lukaszyk hatte den Koffer ausgepackt, den Anzug des Gastes geglättet und auf den Haken gehängt, die Schuhe vors Bett gestellt, die Zahnbürste ins Bad getragen … – »Der Anzug verknittert doch sonst!«

Lukaszyk hat den Blaumann des Tankwarts gegen den Anzug des Chauffeurs getauscht. Dabei hatte er sich nur als Pförtner beim Bezirksamt beworben. Wahrscheinlich wußte er, daß er nicht lange hinter der Scheibe des Pförtnerhäuschens sitzen bleiben würde. Schon wenige Wochen später war der Mann, der offenbar etwas von Automobilen verstand, bei der Hauskolonne, zuerst als Transportarbeiter, ein halbes Jahr später als Vorarbeiter, und schließlich als Fahrer. Er fuhr Essen auf Rädern, Behinderte und Akten. Seit 18 Jahren aber ist er »ständiger persönlicher Fahrer des Bürgermeisters von Berlin Kreuzberg«.

Er hat sie alle gefahren, egal ob CDU, SPD, Grüne oder PDS. Sie hießen Wolfgang Krüger, Günter König, Peter Strieder, Erika Romberg, Franz Schulz und Bärbel Grygier. Jetzt heißt sie Cornelia Reinauer. Er kam mit allen gut klar. Außer mit dem von den Grünen natürlich: Schulz wollte lieber mit dem Fahrrad fahren! Lukaszyk stand plötzlich nutzlos im Hof des Bezirksamtes, sollte den Hausmeisterposten übernehmen. Aber Lukaszyk hat seinen Stolz und zog es vor, in einer Reinigungsfirma zu arbeiten. Putzen ist eben seine Leidenschaft. Dennoch rief er eines Tages Peter Strieder an, der inzwischen beim Senat war. Der Chauffeur wollte wieder Chauffeur sein. Die Sekretärin sagte: »Nur, wenn es um Leben und Tod geht.« – »Genau darum geht es!«, sagte Lukaszyk. Strieder versprach, zu helfen, doch die Grünen hielten sich in Kreuzberg, und es dauerte fünf Jahre, bis Lukaszyk endlich eine neue Chance bekam. Auf einem Empfang nahm Strieder die neue Kreuzberger Bürgermeisterin Grygier beiseite und sagte: »Wenn du einen guten Fahrer brauchst, da weiß ich einen …« – Aber Bärbel Grygier ließ sich von einem SPDler nicht gerne sagen, welchen Fahrer sie zu nehmen habe. Sie zuckte mit der Schulter und sagte: »Ich hab schon einen!« Als sie Strieder später beim Arm nahm und zu ihrem Auto führte, staunte er nicht schlecht: Lukaszyk strahlte längst schon wieder hinterm Steuer.

»Ich bin mit allen gut klargekommen!«, sagt der Chauffeur der Bürgermeister. Aber das »Du« hat er vorsichtshalber immer abgelehnt. Das ist einer seiner Grundsätze: »Sag niemals du zu deinem Chef! Egal, wie oft man es dir auch anbietet. Weil, es läßt sich leichter ›du Arschloch‹ sagen als ›Sie Arschloch‹!«

Norbert Lukaszyk
Und man spricht über so einiges. »Man sitzt ja lange genug zusammen im Auto«, manchmal 25.000 Kilometer im Jahr. Aber Lukaszyks Fahrzeug ist schalldicht. Auch das ist Prinzip. Das hat er gleich am Anfang bei König gelernt. »Da stieg mal einer mit ein, so ein Parteigenosse, und fragte plötzlich den Chef: Wie sieht denn das aus, können wir uns hier im Auto unterhalten, oder wollen wir warten bis nachher? – Das hat mich dann so ein bißchen in meiner Ehre verletzt. Ich bin also kurz mal rechts rangefahren, und in dem Moment guckte mich König schon an und sagte: Was soll ’n das jetzt? Ich hab mich abgeschnallt und gesagt: Ich verlasse jetzt das Auto, damit Sie sich unterhalten können! – Ich habe gedacht, der geht ab durch die Decke! Das ist ja wohl das Letzte, Herr Lukaszyk! Sie steigen jetzt sofort wieder ein und fahren weiter. Und dann sagte er zu seinem Genossen: Und dir sag ich jetzt auch was: Was in meinem Auto gesprochen wird, das hört kein Mensch. Denn der Lukaszyk ist einer von uns. Der hört nichts. – Stimmt’s, Herr Lukaszyk?«

Natürlich bekommt so ein Chauffeur schon mal Sachen mit, wo »man sich dann hinterher fragt: Was war denn das eben?« Aber Probleme hat Lukaszyk mit dem Schweigen nicht. Er ist eben der geborene Butler. Er fährt für die Chefs, putzt für die Chefs, schweigt für die Chefs.
»Ich verlasse jetzt das
Auto, damit Sie
sich unterhalten können!«

Er schweigt auch dann noch, wenn sie abgelöst werden. Keine Andeutung verrät, wem seiner Bürgermeister er den Vorzug gab. Er weiß von allen nette Anekdoten zu erzählen. Vom alten König, der bei den Kreuzberger Festlichen Tagen behend wie ein Reh auf die Bühne sprang, um eine Betrunkene vor dem Sturz zu retten. Oder von dem Tag, als seine Frau ins Krankenhaus mußte und Lukaszyk darum bat, früher gehen zu dürfen. Worauf der Bürgermeister »erst mal eine drüber rauchen« mußte. Dann ging er zur Sekretärin und sagte: »Verlegen Sie alle Termine ab 14 Uhr zu mir, und geben Sie Herrn Lukaszyk einen Zwanziger, damit er seiner Frau ein paar Blumen kaufen kann!«

Norbert Lukaszyk
Wer Lukaszyk nervte, wenn es spät geworden war, wer ihn nötigte, bei Rot die Ampeln zu überqueren, weil es nur noch drei Minuten zum Termin waren, oder wer sich darüber ärgerte, wenn der Chauffeur wieder mal beleidigt war, weil jemand in ihm so etwas wie einen Busfahrer sah, davon erzählt er nichts. Der Chauffeur der Bürgermeisters schweigt. Vor allem über Politik. Parteipolitik war ohnehin tabu in der Karosse. »Es hat mich auch nie einer gefragt, was ich wähle!« Aber dann sagt der ehemalige Tankwart und Kfz-Mechaniker doch etwas, das darauf hinweist, daß es nicht immer ganz leicht war während der langen Dienstfahrten mit den von Terminen gestreßten Chefs, ganz egal, welcher Fraktion sie angehörten: »Wenn ich eins gelernt habe, dann ist es das: Werde nie Politiker!« Lukaszyks in 18 Dienstjahren gereiftes Fazit!

Aber etwas anderes als Chauffeur will Lukaszyk ohnehin nicht sein. Chauffeur ist sein »Traumjob«. Zum Beispiel das Sicherheitstraining damals, als man Strieder die Patrone und die Morddrohungen schickte, aus 100 Sachen abbremsen, um 180 Grad drehen und wieder beschleunigen. »Wie im Film!« Und dann in der Praxis, ein Polizeiwagen kommt von rechts auf die unübersichtliche Kreuzung, ohne Martinshorn, Lukaszyk sieht ihn im letzten
»Wenn ich eins gelernt
habe, dann ist es das:
Werde nie Politiker!«

Moment, gibt Gas und reißt das Lenkrad herum. »Sonst wär von der Bürgermeisterin nicht viel übrig geblieben! So war ’s nur der Kotflügel!« Und Lukaszyk steigt aus und geht zu den verdatterten Polizisten und sagt: »Sind das jetzt die neuen Sparmaßnahmen: Horn abdrehen?« Wie im Film eben: kaltschnäuzige, geradlinige Berliner Sprache.

Lukaszyk ist zufrieden. Mit seiner Eigentumswohnung, seinem Mercedes, seiner Frau, ohne die er die fünf Jahre der vorübergehenden Suspendierung vom Dienst »wahrscheinlich nicht ohne größeren seelischen Schaden überstanden hätte!« Fahren ist sein Leben. Bürgermeisterfahren sein Stolz. Das bekam auch seine bislang letzte Chefin zu spüren, als sie bei Amtsantritt gegenüber einer Berliner Tageszeitung leichtfertig äußerte, sie bräuchte im Grunde keinen Fahrer, ihr sei es egal, ob sie mit dem Taxi oder dem Amtswagen führe. Am nächsten Morgen hatte ihr Lukaszyk die Zeitung schön säuberlich gefaltet auf der richtigen Seite aufgeschlagen und auf den Rücksitz gelegt. Frau Reinauer soll darauf beteuert haben, daß sie das so nicht gesagt, jedenfalls niemals so gemeint habe. Lukaszyk nickte schweigend. Und war zufrieden. Denn damit hatte er klargestellt: Sie hat ihren Job, er hat seinen. Sie sitzt da hinten, er sitzt da vorn. Die Rollen sind verteilt, die Welt hat ihre Ordnung. Und egal, wie oft die da hinten die Positionen wechseln, egal, wer da hinten sitzt: Er wird bleiben.

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