Oktober 2004 - Ausgabe 61
Strassen, Häuser, Höfe
Der Columbiadamm von Michaela Prinzinger |
1918 saß Clarence D. Chamberlin zum ersten Mal in einem Flugzeug. Seine Reaktion nach der desillusionierenden Landung ist folgendermaßen überliefert: »Ich hielt das Fliegen für einen schrecklichen, schrecklichen Fehler.« Auch der Fluglehrer erachtete den Anfänger für vollkommen unbegabt. Nichts deutete damals darauf hin, daß Chamberlin neun Jahre später zum gefeierten Helden eines Rekordfluges zwischen New York und Berlin werden sollte – im Cockpit eines berühmten Flugzeugs, der »Miss Columbia«. Als erster Privatmann erwarb er, praktisch ohne Flugerfahrung, ein nach seinem genialen Konstrukteur Guiseppe M. Bellanca benanntes Fluggerät. Im Mai 1927 stellte er mit 51 Stunden einen Weltrekord im Dauerfliegen auf, was die Aufmerksamkeit von Charles A. Levine, dem Inhaber des Bellanca-Flugzeugs namens »Miss Columbia« auf Chamberlin lenkte. Denn für einen Non-Stop-Flug New York-Paris waren 25.000 Dollar Preisgeld geboten worden. Doch Charles A. Lindbergh schaffte als erster den Sprung über den Atlantik. Der Finanzier Levine und sein Pilot faßten ein neues Ziel ins Auge: Berlin! Förmlich in letzter Minute entschloß sich Levine, angestachelt durch Lindberghs Erfolg, als erster »Passagier« über den Antlantik ins Flugzeug zu springen – ohne Hut, nur in seinem Nadelstreifanzug. Schon bei Cape Cod gab der neumodische Induktions-Kompass seinen Geist auf. Doch der findige Pilot errechnete aufgrund der Abfahrtszeit eines Passagierschiffes, das sie überflogen, den Kurs. Nur kurz hatten sie an Umkehr gedacht, aber Levine graute davor, der hämischen Presse unter die Augen zu treten. Zudem würde Mrs. Levine ihren Gatten nicht wieder in das Flugzeug lassen, das sie, so hatte sie gedroht, eigenhändig anzünden wollte. Vor der irischen Küste gerieten sie in dichten Nebel, Chamberlin war erschöpft und übergab an Levine, der noch nie mit einer Bellanca geflogen war. Doch der hielt den Kurs und im Morgengrauen konnte sein Pilot wieder übernehmen. Nur der Sprit wurde langsam knapp. Bei der Notlandung mußte sich Levine nach hinten lehnen, damit sich die Nase samt Propeller nicht in den Boden bohrte. Es war kurz vor 6 Uhr morgens am 6. Juni 1927, die beiden Flieger waren 43 Stunden in der Luft gewesen und hatten Lindberghs Rekord um 295 Meilen übertroffen. Zuerst trafen sie auf eine Bäuerin, die von der Landung auf ihrem Weizenfeld wenig begeistert schien. Nach und nach fanden die beiden heraus, daß sie nahe dem Dorf Mansfeldt bei Eisleben gelandet sein mußten. Die Landbevölkerung wollte nicht glauben, daß die beiden vom Himmel Gefallenen aus New York kamen. Chamberlin hatte seine Deutschlandkarte in der Eile des Aufbruchs vergessen, und auch in Mansfeldt gelang es ihm nicht, eine zu organisieren. So blieb er auf der Suche nach der Flugroute auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen. Nach der Reparatur des Propellers wurde die Landung auf dem Tempelhofer Feld für den 7. Juni um 18 Uhr anberaumt. Tausende Schaulustige begrüßten die »Ozeanflieger«, und vom Flugfeld ging es durch eine jubelnde Menge zur amerikanischen Botschaft. Wie Chamberlin erfuhr, hatte das Berliner Publikum niemanden außer Reichspräsidenten von Hindenburg mit solch spontaner Begeisterung empfangen. Selbst eine kommunistische Großkundgebung fand aufgrund des Interesses für die amerikanischen Ozeanflieger keinen Zulauf. Am nächsten Tag wurden die Helden von Hindenburg empfangen, der an einer regelmäßigen Flugverbindung zwischen Amerika und Deutschland sehr interessiert schien. Am Nachmittag gab’s Tee bei Reichskanzler Marx und Außenminister Stresemann. Doch neben dem ehrgeizigen Chamberlin fand ein weiterer Mann nach der Landung bei Eisleben keine Ruhe: Karl Klotzsch war derjenige gewesen, der die »Miss Columbia« nach ihrer ersten Landung in Eisleben mit schlechtem Treibstoff versorgt hatte. Völlig zerknirscht reiste Klotzsch nach Berlin und wurde bei den Ozeanfliegern in der amerikanischen Botschaft vorstellig. Man zeige in Eisleben, so klagte er, schon mit dem Finger auf ihn. Chamberlin und Levine unterzeichneten ein Zertifikat, in dem sie bestätigten, daß er ihnen gutes Benzol verkauft hätte. Klotzsch trieb diese Großzügigkeit Tränen in die Augen. Die Begeisterung der Berliner nahm keine Ende und die Helden wurden von Honoratioren zu Honoratioren weitergereicht. Überall wollte man sie in den Kleidern sehen, die sie auf dem Ozeanflug getragen hatten: im Nadelstreif und in Knickerbockern. Bereits im Zuge ihres Aufenthalts wurde zu Ehren der Antlantikflieger eine Straße neben dem Flugfeld nach dem berühmten Bellanca-Flugzeug benannt. Sie heißt noch heute Columbiadamm. Zum Abschluß machten Chamberlin und Levine eine Tonaufzeichnung, um der Nachwelt die Erzählung von ihrem Ozeanflug zu hinterlassen. Und die »Miss Columbia« tourte durch ganz Europa und ließ sich feiern. Noch weitere Rekordflüge sollten in der Folge auf ihr Konto gehen, bevor sie 1935 ein Raub der Flammen wurde. Genau so, wie es sich Mrs. Levine immer gewünscht hatte. Literatur: Record flights by Clarence Duncan Chamberlin. Philadelphia 1928. <br> |