Kreuzberger Chronik
Oktober 2004 - Ausgabe 61

Peter H?rmann Kreuzberger
Peter Hörmann

»Wer zu bescheiden ist, der kommt zu nichts!«


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von Hans W. Korfmann

Titelfoto: Dieter Peters

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Wenn Herr Hörmann von seinem inzwischen 84jährigen Leben erzählt, dann erzählt er nicht von Paris, London oder Dresden. Obwohl er auch von diesen Städten viel erzählen könnte. Herr Hörmann ist in der Welt herumgekommen. Aber wenn der alte Mann aus seinem Leben erzählt, dann landet er immer wieder auf dem Flughafen Tempelhof. Vierzig Jahre hat er hier gearbeitet – die paar Jahre im Krieg und die Jahre nach seiner Pensionierung, als er Touristen und Fernsehsender über den Flughafen führte und dessen Geschichte erzählte, wie sie kaum ein anderer erzählen kann, nicht mitgerechnet. Der Schauplatz seines Lebens war der Flughafen Tempelhof.

Sogar jene Frau, die seit sechzig Jahren an seiner Seite steht, die er noch immer »Kleines« nennt und mit der er jetzt eine bescheidene Wohnung im Seniorenheim teilt, hat er dort kennengelernt. Sie war in der Personalabteilung der Weser-Flugzeugbau beschäftigt, als sie eines Tages die Akte des Technikers Peter Hörmann auf dem Tisch hatte und sich sagte: »Den schau ich mir mal näher an! Im Mai des Jahres 1942, mitten im Krieg, verlobten sie sich. Mit dem endgültigen Jawort warteten sie, bis alles vorüber war.

Peter Hörmann war ein interessanter Mann, als Techniker innerhalb kurzer Zeit unerläßlich geworden für die Ausrüstung der Ju 87: »Steuerung, Tankanlage, Motor …«. Als das Reichsluftfahrtministerium den Druck auf die Flugzeugbauer erhöhte und mehr Maschinen anforderte, sagte Hörmann: »Wenn Sie für die termingerechte Lieferung der Bauteile sorgen, mache ich sieben Stück am Tag!« Keiner glaubte, daß er das schaffen könne, drei Maschinen waren das Maximum gewesen, erzählt Hörmann, und gibt zu, daß er »schon immer eine große Klappe gehabt« habe. »Wer zu bescheiden ist, der kommt zu nichts!«

Peter H?rmann
Peter Hörmann mit seinem Alliierten-Ausweis vom Mai 1945. Foto: Dieter Peters
Peter Hörmann ist »ein ehrgeiziger Mensch«. Ausgerüstet mit dem großen Wehrmachtsfahrschein fuhr er in die Tschechoslowakei, besorgte dreißig Meter lange Flugzeugrümpfe und verfrachtete sie in den Zug. Er suchte in ganz Europa nach einer winzigen Spezialbuchse, dem letzten Teilchen, das ihm noch fehlte, um den Auftrag auszuführen. Er fand es und lieferte pünktlich sieben Flugzeuge pro Tag. Woraufhin ihm die Nazis ein Verfahren wegen Sabotage anhängen wollten. »Weshalb«, fragten sie, »ging das auf einmal so schnell?« Hatte Hörmann womöglich die Produktion all die Monate vorsätzlich gedrosselt? War Hörmann ein Kriegsgegner?

Seinen Mechanikern, relativ gutbezahlten Spezialisten aus ganz Europa, – »Zwangsarbeiter habe ich auf dem Flughafen keine gesehen! Die waren alle schon weg!« – traute der Auftraggeber ohnehin nicht. Denn obwohl dort alle Flugzeuge für den Krieg bauten, »wetterten sie lautstark gegen ihn. Aber sabotiert hat keiner. Dafür hab ich gesorgt!«, sagt Hörmann. Halten konnte er die Arbeiter dennoch nicht. Viele kündigten, um in die Heimat zurückzukehren und »Krieg gegen Hitler zu führen!« Hörmann konnten sie das erzählen, der konnte hin- und weghören. Doch wer an den Falschen geriet, riskierte das Leben. »Ich erinnere mich noch, mit was für bleichen Gesichtern die eines Tages rumliefen, als drei Kumpel gehängt wurden«. Erzählt Hörmann.

Viel zu lachen hatte niemand in den Hallen. Auch Hörmann nicht. Er lachte nicht einmal, als er eines Tages zur Inspektion die Halle betrat, in der die Frauen arbeiteten. »Die hatten sich alle ausgezogen. Ich bin vor Schreck auf der anderen Seite gleich wieder rausgerannt«, erzählt Hörmann. »Ein dummer Scherz!«, sagt Hörmann. Aber ein Scherz, den Hörmann nicht vergessen hat. Ein Scherz aus dem Jahr 1942, als auch andere Frauen nackt auf Höfen antraten.

So fuhr wohl auch ihm manchmal der Schreck in die Glieder, doch im Grunde hat er »immer Glück gehabt.« Obwohl Hörmann nie mit dem Strom schwamm, immer seinen eigenen Kopf behielt. 1933 zum Beispiel, als nach dem Machtwechsel plötzlich lauter Offizierssöhnchen bei der Hitlerjugend auftauchten und kleine Pöstchen bekamen, hatte der dreizehnjährige Peter den Verein entrüstet wieder verlassen und für Aufregung in der Familie gesorgt. Erzählt Peter Hörmann. Oder später als Achtzehnjähriger, als er und ein Freund beschlossen, in die Rüstung zu gehen, um nicht zum Militär zu müssen. »Beim Militär werden Sie dich schon zurechtbiegen!«, hatte man daheim in Bayern gehofft. Aber Peter wollte sich nicht zurechtbiegen lassen. Deshalb fing er 1939 bei den Weser-Flugzeugwerken an. Sein Bruder dagegen flog in den Krieg. Und zwei Jahre später, als das Bremer Werk die Montage der Ju 87 in Tempelhof übernahm, stand Peter Hörmann das erste Mal am Lehrter Bahnhof: »Mir war ganz schwindelig«, so schnell bewegte sich alles in dieser Stadt. »Ich dachte noch immer als Fußgänger.«

Berlin war jedenfalls ein Glück für ihn. Der Vorwurf der Sabotage wurde schon im Vorverfahren wieder fallengelassen, am Ende erhielt Hörmann sogar das Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse. Zwar mußte er, als 1944 die Produktion der Ju eingestellt wurde, seine Verlobte zurücklassen, um in Norden-Hamm die Fokker zu bauen, und am 13. April 1945 mußte er tatsächlich noch in den Krieg ziehen. Aber der war längst verloren. In Dresden begrüßte man ihn mit den Worten: »Was willst denn du noch hier?«, und der Hauptmann befahl dem Mechaniker aus Berlin, schleunigst die Raketen zu demontieren und die Zünder zu verbuddeln. Erzählt Hörmann.

Nach vier Wochen war der Spuk vorbei, Mitte Mai war Hörmann wieder in Berlin, und wenig später war er wieder in der Halle Sieben, wo die ehemaligen Flugzeugwerke jetzt Straßenbahnen und Autobusse reparierten. »Mit List und Tücke« hatte er die Sicherheitskontrollen umgangen und sich Zugang zum abgeriegelten Flughafen verschafft: über eine unterirdische Verbindung vom U-Bahnhof Paradestraße. Hörmann hat nicht nur Glück gehabt, er wußte immer, was er wollte, und er wußte, wie er dahin kam. Schon am 8. Juni 1945 hatte er seine offizielle Zugangsgenehmigung für den Flughafen der Alliierten in der Tasche, und 1947 war der ehemalige Flugzeugbauer bereits Betriebsleiter des Heiz- und Wasserwerkes des Flughafens, in den dazugehörigen Werkstätten arbeiteten 300 Menschen, und er war ihr Chef.

Seine Chefs sprachen jetzt amerikanisch. Einer von ihnen hieß Gail Halvorsen und war eines Tages auf die Idee gekommen, kleine Fallschirme mit Schokolade
»Ein Amerikaner muß sich
eben immer etwas einfallen
lassen, um irgendwie
bekannt zu werden«

und Bonbons für die Berliner Kinder aus dem Flugzeug abzuwerfen. »Ihr müßt winken, wenn ich komme, damit ich euch sehen kann!« – »Woran sollen wir denn erkennen, daß das dein Flugzeug ist?«, sollen die Kinder ihn gefragt haben, und der Pilot sagte: »Ich wackle mit den Flügeln!« – So erzählt Hörmann und so erzählt es auch die Legende. »Ein Amerikaner muß sich eben immer etwas einfallen lassen, um irgendwie bekannt zu werden. Das fördert die Karriere!« Sagt einer, der etwas davon versteht, sich hochzuarbeiten.

Gail Halvorsen wurde 1971 Kommandant des Flughafens Tempelhof, und »Hörmen, the German,« reiste nach Amerika, war im Pentagon und in der berühmten Militärakademie in Westpoint im Bundesstaat New York. Dorthin hatte man auch den Kopf des gigantischen Seeadlers verfrachtet, der zu Zeiten Hitlers auf dem Dach des Flughafengebäudes gethront hatte. In Amerika aber wollte ihn niemand auspacken, die monumentale Kriegsbeute lag noch immer in der Holzkiste. Da legte Hörmann ein Wort für den flügellosen Vogelkopf ein, er könne doch zumindest den Hof der Flughafens zieren. »Für 550 Dollar«, erzählt Hörmann, trat das symbolträchtige Monstrum die Rückreise an und führt seit 1985 ein Leben in friedlicher Koexistenz mit dem zementierten Luftbrückendenkmal der Amerikaner, das nicht weit entfernt vor dem Flughafen steht.

Peter H?rmann
Preisverleihung 1970. Vierter von rechts: Peter Hörmann. Foto: Privat
Peter Hörmann hat Halvorsen später wieder getroffen. 1970 zum Beispiel, als die United States Air Force das Heizkraftwerk des Tempelhofer Flughafens wegen seiner Wirtschaftlichkeit wieder einmal mit einem internationalem Preis ehrte. Gail Halvorsen persönlich überreichte seinem ehemaligen »Superintendent« lächelnd den 1. Preis des William H. Bordner Award for Management, Operation and Maintainance of Combination Plants. Seit 1947 propagierte Hörmann den Bau eines neuen Kraftwerkes, 1956 wurde es endlich fertiggestellt. Das Lebenswerk des Peter Hörmann. Das hat Geduld gekostet – und davon hat Hörmann nach eigenen Aussagen nicht viel.

Auch jetzt wieder braucht er Geduld. Seit das Blut im Gehirn zum Stocken kam und Hörmann, der gerade noch im Garten auf einem Obstbaum herumgeklettert war, zu Boden sank, ist das Leben nicht mehr wie früher. Das erste Mal sah sich Hörmann auf der Leinwand in einer Wochenschau beim Bau der Ju 87, in den letzten Jahren vor dem Schlaganfall standen Journalisten und Fernsehteams bei dem Zeitzeugen in der Warteschlange, immer wieder war er im Fernsehen zu sehen und erzählte. Sie kamen aus aller Welt. Doch seit diesem Juni 2001 ist keiner mehr gekommen. Hörmann ist fast schon Vergessenheit geraten. Dabei hat er so viel zu erzählen. Dabei arbeitet er »mit unwahrscheinlicher Geduld an sich«, setzt sich auf den Heimtrainer, geht zur Gymnastik und in die Bibliotheken, um medizinische Bücher zu studieren. Er läßt sich nicht irritieren, wenn der Arzt sich über seinen Kräutertee lustig macht und fragt: »Nehmen sie die rechten oder die linken Blätter?« Hörmann nickt. «Geduldig bin ich nicht«, sagt er, »aber ehrgeizig.«

Big Ben schlägt an der tapezierten Wand des Wohnzimmers, doch das Pendel steht. Die Uhr läuft mit Batterien. Frau Hörmann schaut aufs Zifferblatt, sie muß einkaufen. »Bring doch bitte eine gelbe Rose mit, Kleines!«, sagt Peter Hörmann. Als wäre die Zeit stehengeblieben.

Wenn Peter Hörmann aus seinem langen Leben erzählt, dann erzählt er vom Flughafen. Ohne viel Pathos, ohne besondere Dramaturgie. Mechanisch reiht er die Erinnerungen aneinander, setzt sein Leben zusammen wie ein Mechaniker die Einzelteile einer Maschine. Als hätte es die großen, feierlichen Tage nie gegeben, als hätte es die dunklen Kapitel der Geschichte nicht gegeben. Es ist, als hätte die Zeit einen feinen Staub über alles gelegt und den Jahren ihren Glanz und ihre Dunkelheit geraubt. Vielleicht möchte er deshalb weiter erzählen. Damit der Staub verfliegt. Die Zeit wieder auflebt. Er weiß noch so vieles. Und er weiß vor allem: »Die auf dem Foto da, die sind schon alle nicht mehr!«

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