Oktober 2004 - Ausgabe 61
Die Geschichte
Das Tor zur Welt von Werner von Westhafen |
Das Tempelhofer Feld war Berlins beliebteste Spielwiese. Nicht weit vom Tivoli, dem großartigen Vergnügungspark am östlichen Ende des Feldes mit seinen Brauereien und Biergärten, diente die Wiese nicht nur den Militärs zum Schaulaufen, sondern auch den zivilen Bewohnern zum Karten- und Ballspiel, zum Picknick und zum Biertrinken. Eine besondere Attraktion waren die bemannten Gasballone, die unter dem Applaus der Wochenendler am Rand der Stadt in den Himmel stiegen. Den ersten Höhepunkt erreichte die Schaulust auf dem Tempelhofer Feld, als Herrmann Wölfert 1897 sein motorbetriebenes Luftschiff »Deutschland« vorführte. Die Menschen kamen aus ganz Berlin, um das 28 Meter lange Flugobjekt zu sehen. Die Spannung stieg, als Wölfert in den Korb stieg und dramatische Worte sprach: »Das ist meine letzte Fahrt, entweder sie glückt, oder ich bin eine Leiche!« Und die Vossische Zeitung schrieb: »Atemlos verfolgte die Menge stehend, auf kleinen Klappstühlchen die Hälse reckend oder in ihren Kutschen sitzend, das Abheben des Flugkörpers. Als der Motorballon im zweiten Anlauf einige Meter über dem Boden schwebte, brach sie in brausende Hochrufe aus. Höher und höher stieg das Luftschiff, (…) da züngelte plötzlich eine Flamme vom Motor zum Ballon empor, und nur Sekunden später explodierte das Luftschiff. Ein einziger Schrei stand über dem Tempelhofer Feld.« – Die »Deutschland« stürzte ab und Wölfert war tatsächlich eine Leiche. Doch die unerschrockenen Pioniere der Luftfahrt gaben nicht auf, schon im November ging der Österreicher David Schwarz an den Start, und die Schaulustigen kamen aus ganz Deutschland zum Tempelhofer Feld, ein Graf namens Zeppelin reiste eigens vom Bodensee an, um das Luftschiff mit den Aluminiumstreben zu begutachten, und Wilhelm II. wollte partout mit in den Korb steigen, doch der war für Passagiere ungeeignet. Das Luftschiff erhob sich mit großer Leichtigkeit und trieb wegen eines gerissenen Steuerriemens mit ebensolcher Leichtigkeit bis nach Wilmersdorf ab, wo es notlanden konnte. Graf Zeppelin aber war inspiriert und kehrte 1909 mit einem 136 Meter langen Luftschiff zurück. Kirchenglocken läuteten, Feuerwehrsirenen heulten, auf dem Dach des Roten Rathauses spielte eine Kapelle, und auf dem Tempelhofer Feld jubelten 250.000 Berliner. 1909 aber katapultierte der Amerikaner Orville Wright mit einer Art Steinschleuder seinen »Flyer I« in den Himmel und kreiste über den verwunderten Köpfen der Berliner. Das erste Motorflugzeug der Welt, das bei seinem Jungfernflug in Colorado gerade mal drei Meter Flughöhe erreichte, blieb bereits über zwei Stunden in der Luft über dem Tempelhofer Feld. Gesponsert vom KDW und von dem Berliner Lokalanzeiger wurden die Flugschauen schnell zur Attraktion, bald stiegen die ersten Passagiere zu Rundflügen vom Tempelhofer Feld auf. Als auch der begeisterte Kronprinz Wilhelm zu Wright ins Flugzeug stieg, verordnete ihm der Kaiser kurzerhand Hausarrest. Für »närrische Akrobatenkunststücke« habe er kein Verständnis. Noch immer war das Tempelhofer Feld eine Spielwiese. 1922 aber beginnt man mit der Einebnung des Feldes. Hausmüll und Unrat füllen die Kuhlen, 300.000 Kubikmeter Erde werden aufgetragen, Rasen wird gesät, der nicht wachsen will im märkischen Sand. Man hilft mit 225 Tonnen Kunstdünger nach, woraufhin »Flughafenschafe« die emporschießenden Grashalme im Zaum halten müssen. Am 8. Oktober 1923 ist es soweit: »Flugplanmäßig um 10:30 vormittags erhob sich der silbergraue Junkers-Aluminumvogel« vom »Flughafen Tempelhofer Feld«, zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als einige Holzbaracken. Sechs Jahre später steht das 100 Meter lange Hauptgebäude mit einer Schalterhalle, Wartesaal, Friseur, Post, dem Aero-Club und dem Restaurant mit Aussichtsterrasse. Junkers und Aero Lloyd verbrüdern sich zur Lufthansa und fliegen 47 Städte im In- und Ausland an, die ersten Non-Stop-Atlantikflüge folgen, und Tempelhof wird zum »Tor zur Welt«. Der monumentale Flughafen trotzt dem 2. Weltkrieg bis zum Schluß und bleibt nahezu unbeschädigt. Als im März 1945 Hitler den Befehl »Verbrannte Erde« gibt und Major Rudolf Böttger den Auftrag erhält, das Tor zur Welt zu sprengen, widersetzt er sich und begeht Selbstmord. Ohne diesen letzten Akt des Majors wäre das berühmteste Kapitel aus der Geschichte des Flughafens Tempelhof nicht geschrieben worden: Drei Jahre nach Kriegsende und bis zum Oktober 1949 wurden insgesamt 1,7 Millionen Tonnen Versorgungsgüter nach Tempelhof geflogen. Die Bilder der Berliner Kinder auf den Trümmerhaufen, die den Rosinenbombern entgegenwinken, sind um die Welt gegangen. Einige Jahr später teilte eine Mauer Berlin, 1989 fiel sie. Pläne für einen neuen, noch gigantischeren Flughafen am anderen Ende der Stadt wuchsen heran. Und deshalb endet am 31. Oktober 2004 die lange Geschichte vom Flughafen Tempelhofer Feld. <br> |