Oktober 2004 - Ausgabe 61
Essen, Trinken, Rauchen
Der Air Snack von Gerald Hausner |
Sie lächelt nicht mehr so wie früher, wenn jemand kommt und einen Kaffee oder ein kleines Bier bestellt. Oder eine Schokolade. »Eine große oder eine kleine? Mit Sahne oder ohne?« Der Gast fixiert die Preistafel: die kleine Schokolade kostet 1,45, die große mit Sahne 2,50. »Das ist ja billiger als bei Eduscho«, sagt der Fluggast. – »Ebend!«, sagt die Frau hinter dem Tresen zum Gast, der einer der letzten ist, die von hier auf die Reise gehen. Ein paar Wochen noch werden – aller Voraussicht nach – die sechs kleinen Tische mit den gußeisernen Sockeln auf dem Marmorflur vor der großen Empfangshalle im Dienst sein. Ein Pärchen mit Rucksäcken ist da, zwei Freundinnen in sommerleichten Kleidchen mit Handtäschchen, eine kleine Reisegruppe mit Blumensträußen, eine Stewardeß mit ihrem Rollköfferchen, ein Taxifahrer und ein Mann mit Schlips und Kragen und blauem Hemd, wie es bei den Männern der Lüfte noch immer in Mode ist. Ruhig sitzen sie an den Tischen des »Air Snack«, kein Reisefieber in Tempelhof, nicht die übliche Hektik, die von Tausenden eiliger Passagiere ausgeht. In Tempelhof ist längst Ruhe eingekehrt. Auch unter den 370 Menschen, die noch auf dem Flughafen arbeiten. Vor einigen Wochen war die Aufregung noch groß, heute nehmen sie es gelassener. Hin und wieder kommen sie zum »Air Snack«, stehen vor den vielen Zeitungsausschnitten, mit denen die Wirtin ihre Flughafenbar dekoriert hat und mit denen sie den Lauf des Schicksals gerne aufhalten würde. »Tempelhof bleibt!«, titelte die Welt am Sonntag, und die Morgenpost schrieb ein »Plädoyer für den schönsten Flughafen der Welt« – «Tempelhof wird absichtlich dicht gemacht!« und »In Schönefeld will keiner landen!« – lauter Überschriften, die Mut machen könnten. Wäre da nicht dieses unheimliche Schweigen all jener, die etwas wissen. Diese verräterische Stille, die allen Betriebsschließungen vorausgeht. Auf dem Tresen liegt eine Unterschriftenliste der ICAT, des International City Airport Tempelhof, gegen die Schließung aus. Den letzten Artikel aus der Berliner Zeitung hat die Besitzerin des Air Snack gleich fünfzig Mal kopiert – zum Mitnehmen für jeden, der hier ein Würstchen essen oder eine Packung Kaugummi zum Druckausgleich im Ohr mitnehmen will. Doch die Unterschriftenliste ist klein, es kommen eben keine 5,5 Millionen Fluggäste mehr vorbei wie in den siebziger Jahren, sondern nur noch ein Bruchteil davon. Die 370 Angestellten vom Flughafen haben alle unterschrieben. Sie reden ohnehin nur über eines: über ihre Zukunft. »Und dann such ich mir eben eine junge Frau. Wenn die zwanzig Jahre jünger ist, dann kann sie wenigstens für mich sorgen. Dafür bekommt sie alle Freiheiten!« – »Na, dann setz schon mal ne Anzeige in die Zeitung! So leicht wirste die nicht finden!« – »Nee, das mach ich schon alleine. Es gibt doch nichts schöneres als nach Frauen zu schauen!« Manchmal kommen Journalisten. Die Frau mit den Zeitungen und dem Kaffee und den Croissants ist nicht mehr so freundlich wie früher. Die Journalisten kommen ihr vor wie Aasgeier. Sie profitieren vom Ende. Und sie stellen alle dieselben Fragen, auf die sie immer dieselben Antworten gibt: »Keiner weiß, was wird. Ich weiß nur: Wenn bis zum 31. Oktober nichts geschieht, dann wird hier einfach die Tür zugeschlossen.« Eine Tür, die einmal das Tor zur Welt war, und die Tür zu ihrem Arbeitsplatz. Neben der Wirtin steht eine Pappfigur. Früher hielt sie vor der Brust eine Speisekarte. Heute hält sie einen Zeitungsartikel. Das Gesicht des Pappkellners kommt dem Journalisten bekannt vor. »Was, den kennen sie nicht?«, fragt die Frau. »Das ist doch Freddy, von Dinner for One!« Jetzt lächelt sie ein bißchen. Auch, wenn hier bald gar niemand mehr sitzt, dem der Butler noch etwas servieren könnte. <br> |