November 2004 - Ausgabe 62
Kreuzberger
Sergeij Goryanoff »Berufspolitiker wollte ich nicht werden.«
von Sabine Lueken
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Sergeij kocht gut und gern. Mit einigen Kumpels aus früheren Lebensabschnitten verbindet ihn die châine des connaisseurs, ein moderner Orden für meisterliche Kochkunst. Hier gibt es Wertungsmenus mit Protokollführung und Kritikzwang. »Au ja, prima!« reicht da nicht und führt zum sofortigen Ausschluß aus der Gästeliste. Tatsächlich gehört eine Privateinladung zum Kochabend in seiner Kreuzberger Männer-WG zu den erstrebenswerten Privilegien dieses Viertels. »Gute Volksküche auf hohem Niveau« nennt er das und gibt sich auch sonst als Vertreter einer Generation zu erkennen, die »subversive Lust« propagiert. Als willige Helfer einmal einen Spargelsalat mit Balsamico anmachten, bekamen sie eine stundenlange Philippika zu hören: »Balsamico an Spargel ist verboten, ihr Banausen!« Die Gäste rächten sich noch an demselben Abend mit dem Vortrag einer frischgedichteten Mittelalterfabel über die erschröcklichen Abenteuer der Ritter der Tafelrunde, ihren unablässigen Kampf mit dem Drachen Malgout (»schlechter Geschmack«) und die Schlacht am Lago Balsamico: »Am nächtlichen Kaminfeuer versammelten sich die nichtswürdigen Knappen um die Ritter und lauschten andächtig der Verkündung der ehernen Koch-Gebote: 1. Iß nur Fleisch von Tieren, die du mit Vornamen kennst. 2. Weichgekochte Pasta gehört nicht auf Eßtische, sondern in die Abfallgruben. 3. Braune Pampe mit Zuckerculör hat in der Küche nichts verloren. 4. Prosecco ist Puffbrause«. Und so weiter. Goryanoff amüsierte das wenig, er ließ die Freunde des Balsamico zur Strafe die Jahrgänge sämtlicher anwesender Bordeauxweine bestimmen. Sergeij Goryanoff also liebt den guten Geschmack: Beim Essen, bei der Kleidung, bei den Frauen, bei seinem stets erstklassigen Schuhwerk, bei Pferden und in der Politik. »Da ist es am schwierigsten«, sagt er. Als einer der ersten grünen Abgeordneten wurde er 1982 Kreuzberger Bezirksverordneter. Damals hieß die Grüne Partei noch »Alternative Liste« und verstand sich als links und kriegsgegnerisch. Das konnte Goryanoff mit seinem guten Geschmack vereinbaren. Dann aber wurde es unappetitlich: 1987 wurde er ins Abgeordnetenhaus gewählt und gelangte als baupolitischer Sprecher der AL in den Untersuchungsausschuß der Schwanz-Diepgen-Affäre. An jedem Sitzungstag kamen neue Verwicklungen der christlichen Stadtregierung zur Sprache, Bordell-Gelage und Auftragsmorde. Sergeij Goryanoff, der an der TU Stadt- und Regionalplanung studiert und gelehrt hatte und dies in menschenfreundliches Wohnen umsetzen wollte, mußte zusehen, wie der korrupte CDU-Baustadtrat Antes komplette Wohnungsgesellschaften an private Profiteure verhökern ließ. Im Abgeordnetenhaus, 1988 Foto: Privat
Sein Limit an schlechtriechenden Alkoholiker-Politikern und miesen Affären war erreicht, und er entzog sich der Ochsentour in der eigenen Partei. »Berufspolitiker wollte ich nicht werden,« lautet sein Fazit. Der SFB-Mitschnitt seiner Parlamentsrede gegen Landowsky und Konsorten wird oft und gerne gezeigt, wenn man bei Goryanoff zu Gast ist. Auf demselben Band folgt dann sein größter Erfolg als Jockey und der Siegeslauf seines eigenen Pferdes in Baden-Baden. Eitelkeit gehört zu seinen besonderen Vorzügen. Geboren wurde er am Ende des Zweiten Weltkriegs in Paris. Seine Mutter führte dort das Leben einer Bohemienne, lebte in Hotels und wollte niemals einen eigenen Haushalt, was sich später mit zwei kleinen Kindern als Problem erwies. In Deauville lernte sie Sergeijs zukünftigen Vater kennen, der dort mit seiner Kosakenreitertruppe auftrat. Sergeijs Großvater war Kosakenataman in Astrachan, ein Großgrundbesitzer mit 300 Kamelen, 1000 Pferden und unzähligen Schafen. Sein Vater kämpfte unter General Wrangel auf der Seite der Weißen gegen die russische Revolution. 1920 war er einer der vielen aristokratischen russischen Emigranten in Paris. Er zog eine Reitershow auf, doubelte den Hauptdarsteller in dem Film Taras Bulba, und einmal kündigte sich hoher Besuch bei den Goryanoffs an: Großfürst Jussupow, der Mörder Rasputins. Großfürst Jussupow im Frack (Mitte), Sergeijs Vater (ganz rechts im Vordergrund). Foto: Privat
In Hannover brachte der Vater seinem Sohn das Reiten bei. Der Kosakenmythos, die Pferde, die »Räuber-Horde«, das Anarchistische und Nomadische ist seitdem ein unübersehbarer Teil von Sergeij. Und er steht dazu. Mit 16 ritt er Turniere, das blieb eine Konstante seines Lebens, ebenso wie das Skifahren: Weil er Rennen fahren wollte, suchte er einen Job in den Bergen und landete beim »5. Gebirgsjägerbataillon in Bad Reichenhall«. Er trainierte nicht nur die Soldaten, sondern auf der Winkelmoosalm auch mit der späteren »Gold-Rosi«, der 11jährigen Rosi Mittermeier. Seine Karriere als Skilehrer fand ein jähes Ende, als er bei einem Unfall knapp an einer Querschnittslähmung vorbeischrammte. Unsterblich in seine Krankenschwester verliebt, wollte er unbedingt in Bad Reichenhall bleiben und wurde Croupier im Casino, seine dritte Leidenschaft bis heute. Er ging als Saisonnier nach Westerland, nach Bad Homburg, nach Monte Carlo. Und immer wieder reiste er nach Paris. Die existentialistischen Kneipen, die Jazzclubs in St. Germain du Près, das antibürgerliche Leben, all dies gefiel ihm so gut, daß er es auch in seinem damaligen Wohnort Hagen etablieren wollte. Ein Jazzclub wurde mit ein paar Freunden gegründet, allerdings nach einiger Zeit von der Kripo geschlossen. Damals hielt man Sartres Ideen für staatsgefährdend. 1968 ist die Zeit reif für Revolten. Sergeij zieht nach Berlin. Er studiert an der TU, ist studentischer Vertreter im Direktorium. »Bürger, laßt den Kaffee und die Sahne, reiht euch ein unter der Roten Fahne!« Dieser holprige Vers hindert ihn nicht daran, 1974 in die SEW einzutreten und dort eine konspirative Fraktion der »Eurokommunisten« zu organisieren. Die Reformbestrebungen scheitern, die Gruppe tritt 1978 geschlossen aus. Sie war bis zum Hals von MfS, KGB, kanadischem Geheimdienst und CIA unterwandert. Die Geheimakten über diese Berliner Gruppe kamen bei einem Prozeß in Ontario ans Licht. Es ist die Zeit der Bürgerinitiativen. Goryanoff engagiert sich im Stadtteil, gründet den Mieterrat Chamissoplatz mit. Als er noch für die AL im Parlament sitzt, wird 1982 in Berlin das erste Haus besetzt, die Mieterräte helfen der neuen radikalen Bewegung. In einem Haus in der Willibald-Alexis-Straße kann er gerade noch das Einreißen tragender Wände verhindern. Natürlich wurde er erstmal als Reaktionär beschimpft, später war man doch froh … 1986 war er für ein Semester Dozent an der »École Nationale des Ponts et Chaussées« in Paris. Im alten Hôtel de Ville in der Rue St. Jaques war diese ehrwürdige Schule gelegen, nahe beim Café de Flore und dem Deux Magots. Wenn er hier saß, fühlte er sich in die Zeit von Sartre, Beauvoir und Merleau-Ponty versetzt. »Das war schön!« Außerdem klapperte Sergeij hier alle Hippodromes ab, fern von zu Hause traute er sich erstmals wieder zum Pferderennen. Denn »zwischenzeitlich fand ich das zu bourgeois.« Er ging sogar für zwei Jahre nach Frankfurt, um die Lizenz als Amateur-Rennreiter zu erwerben. Dabei konnte er seinem Faible für schnelle Pferde und schöne Frauen nachgehen. Den Mauerfall erlebt er fern von Berlin als »nichts Besonderes«. Als er 1991 zurückkehrt, bringt er zwei Pferde mit. Eins davon wird Gemeineigentum des »Galoppklubs Chamisso«, den er mit dem damaligen Wirt des Heidelberger Krug gründete. Von Sergeij trainiert landete »Inigo« als totaler Außenseiter tatsächlich einmal als Sieger im Ziel. Die anderen Clubmitglieder hatten daran nicht mehr geglaubt und ihre Wetteinsätze verbaselt. So kam es, daß in Kreuzberg keine Pferdewettleidenschaft entstand. Sergeij auf »Mikdo«. 1. Platz 1993. Foto: Privat
Der neueste Coup des Stadtplaners Goryanoff ist ein Gutachten zum NKZ, das heute, nachdem Millionen städtischer Mittel hineingeflossen sind, höher verschuldet ist als zu Beginn. Sergeij hat alle Zahlen dem Journalisten Matthew D. Rose für sein neues Buch zur Verfügung gestellt. Sergeij Goryanoff sieht die Notwendigkeit einer gesellschaftlichen Linksentwicklung auf allen Ebenen und begrüßt auch die neue Linkspartei. Er lacht sein jakobinisches Lächeln: »So gefällt mir das!« Und die Grünen, bei denen er immer noch Mitglied ist? »Die werden mitmachen müssen, wollen sie nicht untergehen«. Mit seiner Kreuzberger Gruppe ist er aber ganz zufrieden: der Abgeordnete Ströbele hat als einziger aus der Koalition gegen Hartz IV gestimmt. Und wenn die Wogen des schlechten Geschmacks und der schlechten Politik mal wieder über ihm zusammenschlagen, rettet er sich auf den Pferderücken. In Hoppegarten übernimmt er zweimal die Woche das Morgentraining für seine Rennstallfreunde. Alle seine Vorbilder sind französisch: Robespierre, Napoleon, der Marx der Pariser Manuskripte, Sartre, Camus. Und wenn er es gar nicht mehr aushält unter dem deutschen Himmel, fliegt er für 2,99 Euro nach Nizza, wo im Café du Turin die haushoch beladenen fruit de mer-Platten auf ihn warten. »Das schmeckt und macht Spaß«, grinst Sergeij, und das könnte sein Motto sein: Gutes Leben für sich – und für alle. |