Juni 2004 - Ausgabe 58
Essen, Trinken, Rauchen
Unter Pfauen von Michael Unfried |
Wo bald ein Jahrhundert lang die Molle war, wo über ein Jahrhundert lang eine Berliner Kneipe residierte, an einer dieser gewöhnlichen Straßenecken, gegenüber der Markthalle, wo Männer ihr Bier tranken und Bierkutscher in Lederschürzen nach dem Ausliefern noch eine Molle lang am Tresen stehenblieben – dort also, wo einst eine echt Berliner Kneipe war, die letzte in der Bergmannstraße, da ist jetzt das Pfau. Das Pfau in Kreuzberg ist nicht das Vau in Mitte, aber feiner als die Molle ist es schon. Das Pfau ist auch nicht so teuer wie das Vau. Aber teurer als die Molle ist es schon. Dafür aber sind die Kellnerinnen im Pfau schöner und jünger als im Vau oder in der Molle. Auch an diesem Abend. Sie hat einen gepiercten Bauchnabel und stemmt den Arm in die Hüfte wie vor hundert Jahren. Als müsse sie noch Mollen durch die Gegend tragen. Dabei ist sie ganz zierlich, und ihre Stimme wirkt ein wenig piepsig. Vielleicht, weil sie eine Erkältung hat. Wegen des fehlenden Stoffs in der Nierengegend. »Ein Bier bitte!«, sagt der Gast. »Ein Pils?«, fragt sie, Bleistift und Block schon in der Hand. »Ja, bitte!« Sie notiert. Dann fragt sie: »Und Sie bitte?« »One Tequila please, green!« »Ähm – Please?« »Green Tequila please! No ice!« »Grüner Tequila!« murmelt sie und wirft die Stirn in Falten. Seltsam. Dann geht sie mit ihrem Block zurück durch die leeren Tischreihen. Die beiden Männer sind die einzigen an diesem Abend, zu dieser späten Stunde. Die Gäste im Pfau sind jung, sie gehen früher zu Bett als die Gäste, die früher hier waren. Als das Pfau noch Molle hieß. Doch dann kommen noch zwei späte Gäste. Zwei Frauen. Sie setzen sich an den Tisch neben die beiden Männer, denn der eine der beiden Männer sieht interessant aus. Er spricht abwechselnd Englisch und eine andere fremde Sprache. Kein Türkisch, irgend etwas anderes. Türkisch spricht ja hier jeder! Die beiden Frauen legen ihre Handtäschchen auf den Tisch und packen aus. Ihre Männergeschichten. Sie piepsen ein wenig. Wahrscheinlich wegen des fehlenden Stoffs in der Nierengegend. »Und dann, du glaubst es nicht, dann hat er doch tatsächlich…« »Und weißt du, was meiner gemacht hat! Er hat…« »Wirklich! Ich fass’ es nicht! Dieser Wichser…« »We don’t have green Tequila!«, sagt die Bedienung. Die kleine Silberkugel in ihrem Bauchnabel blitzt im Scheinwerferlicht eines um die Kurve schleudernden BMW’s auf. Es ist eine laue, eine Frühlingsnacht, auf den Tischen flackern friedlich die Kerzen. »Ich habe extra nachgefragt: Wir haben keinen grünen Tequila! Nur weißen und braunen!«, wendet sie sich an den Deutschsprachigen mit der Pilsbestellung. »Dann nehmen wir einen braunen!«, sagt der Biertrinker. Sie zieht den Block wieder aus der Tasche. Möglicherweise streicht sie »Grün« durch und setzt an diese Stelle das »Braun«. Dann lächelt sie und geht. Der Tequila ist gut. Das Bier ist auch ganz frisch. Und kühl. Alle sind zufrieden, und die beiden Männer sitzen noch eine Weile neben den jungen Frauen, die ein wenig piepsen. Manchmal schauen die Männer hinüber zu den Frauen, manchmal die Frauen hinüber zu den Männern. Es ist eine laue, eine erste Frühlingsnacht. <br> |