Kreuzberger Chronik
Juli / August 2004 - Ausgabe 59

Siegrid Maier-Johnson Kreuzberger
Siegrid Maier-Johnson

»Ich kenne meine Schwächen.«


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von Thomas Heubner

Titelfoto: Michael Hughes

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Ein Glückskind ist sie heute, findet stracks vorm Haus eine Parklücke für den alten schwarzen Jeep. Und beim Tunesier direkt unter ihrer Wohnung steht ein Stuhl noch in der warmen Abendsonne. Schwungvoll und rasselnd landet der mächtige Schlüsselbund auf dem Tisch, daneben das Handy und der dicke Terminplaner. Der Wirt kann die Wünsche seiner Stammkundin aus deren Augen lesen und serviert ihr einen doppelten Espresso plus Averna.

Eigentlich könnte sie nun abschalten, den Arbeitstag langsam ausklingen lassen. Schließlich ist am Drehort in Moabit alles gut gelaufen, wo Siggi und ihre Crew die halbe Nacht und den lieben langen Tag ein ganzes Filmteam und Dutzende Komparsen bekocht, beköstigt und bemuttelt haben. Auch die Stars scheinen mit der Verpflegung vom Catering zufrieden gewesen zu sein. Moritz Bleibtreu stand brav in der Schlange an, um seinen Teller in Empfang zu nehmen, und weder Anke Engelke noch Harald Schmidt mäkelten am Essen herum, ließen Allüren, Ironie und Zynismus in der Garderobe zurück. Sogar Regisseur Helmut Dietl hatte nichts auszusetzen.

Gute Gründe genug, den wohlverdienten Feierabend geruhsam anzugehen. Wären da nicht das ständige Handypiepsen und die Kollegen Ulli und Hans, die sich ein paar Minuten später neben Siggi setzen. Im Nu wird aus der kleinen Runde am Kneipentisch eine Produktionsbesprechung: Für die Frühstücksvorbereitung am nächsten Tag müssen Leute neu eingeteilt werden, beim Großhändler wird frisches Gemüse und Obst geordert, die Wochenplanung für die Drei-Gänge-Menüs zum Mittagessen wird nochmal durchgecheckt, und irgendjemand soll klären, daß die Abwasserentsorgung der fahrbaren Küche funktioniert. Außerdem muß für den Konvektomat – dieses Wunderding von Kochmaschine, mit dem man dämpfen, backen, grillen und braten kann – ein Ersatzteil aus dem Lager am Flughafen Tempelhof geholt werden. Siggi zuckt mit den Schultern. »Was soll’s, ich kenne meine Schwäche«, seufzt sie und streicht sich eine blonde Strähne aus dem Gesicht. »Anstatt die Arbeit besser zu verteilen, will ich am liebsten alles selbst erledigen.« Sie greift zum Autoschlüssel, der Averna bleibt unberührt.

Skeptiker würden sie als workoholic bezeichnen, andere sprechen von einer Maus im Laufrad, wieder andere bewundern einfach das »Feuer unterm Arsch«. Siggi, das Energiebündel, kann mit solchen Komplimenten leben. Vielleicht ist ihr das Rastlose in die Wiege gelegt worden. Obwohl das Leben in einem schwäbischen Musterstädtle wie Biberach an der Riß eigentlich nicht von übermäßiger Hektik geprägt ist. Aber immerhin sind es acht Geschwister, mit denen Siggi im Häuschen der Eltern aufwächst. Da lernt man schon im Laufgitter sich durchzusetzen. Das Teilen und Sicheinordnen sowieso. Auch die elterliche Liebe gibt es zeitlebens gratis.

Dennoch ist im reichen Wirtschaftswunderland Kinderreichtum verdächtig. Bedienstete des Jugendamtes fühlen sich bemüßigt, in der Familie nach dem Rechten zu sehen und zu kontrollieren, was die Kinder zum Anziehen und zum Essen bekommen, ob die Betten sauber sind.
»Eine schöne,
aber verdammt
harte Zeit.«

Die Kontrolleure kennen kein Schamgefühl, doch den Eltern ist es peinlich. In jenen Tagen leidet auch die kleine Siegrid Magdalena. Vorm Einschlafen faltet sie über der Bettdecke die Händchen und wünscht sich vom lieben Gott, daß die Fremden den Eltern und Geschwistern nichts Böses tun. Ihr Stoßgebet wird erhört. Die fürsorgliche Obrigkeit hat nichts auszusetzen.

Die Großfamilie lebt zwar nicht in Saus und Braus, doch die Kinder werden gehätschelt und getätschelt. Die große Wäsche wird im riesigen Kochkessel im Waschhaus gewaschen, manchmal gibt es zum Abendbrot nur Margarine und Zucker aufs Brot, aber keines der Kinder vermißt etwas. Trotz »Schaffe« und »Häusle baue« wird jeder Groschen dreimal umgedreht, und jedes der Geschwister hat seine Pflichten im Haushalt. Nebenbei schaut Siggi ihrer Mutter über die Schulter und in die Kochtöpfe. Die Rasselbande gedeiht prächtig, und mittendrin Siggi.

G?tterspeise
Foto: Privat
Die Schule schafft sie mit Leichtigkeit, fühlt sich um so stärker von Spielhallen angezogen. Die jüngste Motorradfahrerin aus Biberach zockt beim Kickern und Flippern gnadenlos alle Jungs ab. Als der Teenager völlig vom Saturday Night Fever ergriffen wird, wollen die Eltern der Disko-Queen einen Riegel vorschieben und verfügen Hausarrest. Doch die wilde Tänzerin klettert leichtfüßig aus dem Fenster im ersten Stock. Nebenbei lernt sie Zahnarzthelferin und kellnert in einem Caféhaus. Bald erscheint ein Prinz, der sie Anfang der 80er auf seinem Schimmel aus der Enge der Kleinstadt entführt. »Blondgelockt und unbedarft landete ich in Berlin, im wilden Kreuzberg«.

Da die Eltern auch schon etwas von Christiane F. und den Kindern vom Bahnhof Zoo gehört haben, fällt es der 22jährigen nicht leicht, ihnen die Sorgen zu nehmen. Zumal ihr neuer Arbeitsplatz ausgerechnet eine Kneipe ist: die Nulpe, das heutige Enzian in der Yorckstraße, schon damals eine Schwaben-Hochburg. »Eine schöne, aber verdammt harte Zeit«, erinnert sich Siggi. »Da trafen sich nachts alle – die Anarchos und die Liedermacher, die jungen wilden Maler und die bedächtigen Schachspieler, der Typ mit der Wodkaflasche auf dem Tisch und die elegante Dame, die den ganzen Abend vornehm an einem Glas Selters nippte.«

Als Siggi merkt, daß ihr Märchenprinz das Windsurfen in der griechischen Ägäis mehr liebt als sie, will sie erst recht noch mehr vom Leben. Das Leichtgewicht fährt eine schwere Harley, kellnert im Yorckschlösschen, managt ein paar Meter weiter das Publique, steigt in der noblen Uhlandstraße in die »gehobenere Gastronomie« ein. Dann bekommt sie von einem guten Bekannten das Angebot, in dessen Filmcatering-Firma
»Anstatt die Arbeit
zu verteilen, will ich
am liebsten alles
selbst erledigen.«

mitzuarbeiten. Eine neue Welt. Acht Jahre kocht sie, beschmiert Tausende von Schrippen, kalkuliert, organisiert den Wareneinkauf. Dann hat sie genug, sich immer vor den Karren anderer spannen zu lassen. »Jeder kocht seinen Kaffee mit Wasser«, erklärt Siggi ihren Schritt, mit Götterspeisen ihr eigenes Filmcatering auf die Beine zu stellen. »Was andere können, kann ich auch, vielleicht sogar besser.« An Selbstbewußtsein fehlte es ihr nie. Seit vier Jahren werden die Götterspeisen von namhaften Filmproduzenten wie Constantin Film, Team Worx oder IOS Film geschätzt. Die LKWs mit der fahrbaren Küche und den riesigen Kühlschränken kutschieren von Potsdam-Babelsberg bis Hamburg oder München. Beköstigt werden Rotarmisten aus Stalingrad und deutsche Wehrmachtsoldaten mit Stauffenberg an der Spitze, ebenso die Polizisten vom Abschnitt 40 oder die Knastinsassen Hinter Gittern. Gibt es ein Betriebs-, ein Küchengeheimnis für Siggis Götterspeisen?

G?tterspeise
Foto: Michael Hughes
»Ich halte mich nur an Christoph Martin Wieland, den großen Sohn meiner kleinen Heimatstadt Biberach: Nichts halb zu tun, ist edler Geister Art.« Doch dann winkt sie augenzwinkernd ab und wird wieder irdisch. »Essen und Trinken hat mit Leib und Seele zu tun, also muß auch ich mit Leib und Seele dabei sein.« Dann erzählt sie von den unzähligen Einstellungen für eine Filmszene, daß von einem 16stündigen Arbeitstag vielleicht zwei Minuten Film übrig bleiben, daß Beleuchter und Techniker einen harten Job verrichten und nicht viel von der Übersichtlichkeit einer Nouvelle Cuisine halten. »Die wollen futtern wie bei Muttern, deshalb kommt bei uns der Schweinekrustenbraten frisch aus dem Ofen. Wir machen eine ehrliche Küche, mit frischen Produkten und nach alten Hausrezepten. Da muß es nicht immer Seeteufel geben. Auch Eintopf, Spätzle oder Pasta können schmecken.«

Doch manche Stars haben Extrawünsche. Zum Beispiel die amerikanische Hauptdarstellerin, die ihr Frühstücksrührei stets ohne Eigelb verlangt. Oder dieser berühmte, inzwischen in die Jahre gekommene Hollywood-Mime. Obwohl am Set Alkoholverbot herrscht, braucht er zum Arbeiten regelmäßig seine Ration. Da sich aber im Streß niemand von Regie oder Produktionsleitung um den Mann kümmert, übernimmt Siggi zwischendurch auch die Seelsorge. »Ich biete eine Dienstleistung an, diene und leiste etwas. Ich muß mich auf die Wünsche und Bedürfnisse der Leute einlassen. Sonst könnte ich diesen Job nicht machen«, sagt Siggi.

Vermutlich ist es tatsächlich so wie bei Mutter am Herd und wie in der Küche zu Hause, wo es stets am schönsten ist. Da wird eben nicht nur stur gemampft, sondern erzählt, gelacht und geheult. Da wird nach der Anspannung am ersten Drehtag, wenn das Team noch nicht eingespielt ist, die Freude geteilt. Da braucht einer manchmal Trost oder jemanden, dem er wie dem Pastor oder Frisör alles beichten kann. Und gelegentlich wird da auch Dampf abgelassen.

»Das auszuhalten, gehört zu meiner Arbeit. Mit Charme, Humor und guter Laune kann man schon einiges lösen.« Siggi wechselt fließend vom Schwäbeln ins Berlinern: »Aber weder meine Crew noch ich müssen uns alles bieten lassen. Ich bin kein Fußabtreter, auf dem jeder herumtrampeln kann.« Und dann plaudert sie doch noch einen Küchentrick aus, mit dem sie manchen lavaspeienden Vulkan besänftigt hat: Eine süße Nachspeise macht aus jedem Drachen eine schnurrende Katze.

Nach Fürsorge ist auch Siggi zumute, wenn nach zwei, drei Monaten beim Film endlich die letzte Klappe gefallen ist. Dann kocht zu Hause nicht die Gastronomin, sondern Zam, der Maler, Musiker und Ehemann. Oder die Frau vom Catering bestellt sich einfach was zu Essen aus dem kleinen tunesischen Restaurant von unten.

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